Premiere am 15. September 2018
Im Jahre 1993 erlebte die legendär gewordene Inszenierung von Heiner Müller, seine erste und damit auch letzte Opern-Inszenierung überhaupt, bei den Bayreuther Festspielen in den Bühnenbildern von Erich Wonder, den Kostümen von Yohji Yamamoto und im hier besonders bedeutsamen Lichtdesign von Manfred Voss unter der Stabführung von Daniel Barenboim ihre Premiere. Für mich war diese Produktion von Wagners „Tristan und Isolde“, die er selbst als „Eine Handlung in drei Aufzügen“ bezeichnete, das Beste was damals für längere Zeit in Bayreuth zu sehen war. Das ist nun 25 Jahre her, und der damalige Assistent von Müller, Stephan Suschke, seit einiger Zeit Schauspieldirektor am Musiktheater Linz, bekam vom Intendanten der Opéra de Lyon, Serge Dorny (der bald die Bayerische Staatsoper übernehmen wird), im Dezember 2015 einen Anruf. Dorny unterbreitete ihm seinen Plan einer Rekonstruktion dieser Produktion auf der Bühne in Lyon, die nun auch ihren Weg nach Linz ins Landestheater fand.
Natürlich ist die Ausgrabung einer Musiktheater-Produktion, zumal nach einem Vierteljahrhundert, wie gut sie auch immer gewesen sein mag, in mancher Hinsicht fragwürdig. Sofort stellen sich Gedanken ein wie Festhalten an Liebgewordenem (wie die „Ring“-Inszenierungen von Götz Friedrich in Berlin und Otto Schenk in New York), statisches oder gar museales Denken gegenüber der nicht zuletzt aus gesellschaftlichen Entwicklungen heraus notwendigen Weiterentwicklung des Musiktheaters, bisweilen gerade bei Wagner auch als gutes oder schlechtes „Regietheater“ wahrgenommen, oder das retrograde Frönen eines Kultes bis hin zur Kultur-Archäologie. Man denke nur an die diesbezüglichen Diskussionen um den Wiederaufbau des Berliner Schlosses vor einigen Jahren.
Nun gut. Stephan Suschke hat sich natürlich diese Gedanken gemacht, aber sie mit überzeugenden Argumenten – und die außerordentliche Qualität der Inszenierung von Heiner Müller machte das natürlich leichter – konterkariert. So sehen sich heute Menschen in Museen Bilder aus Zeiten an, die nichts mit ihrem Leben zu tun haben. Und gute Filme der 1950er und 60er Jahre begeistern noch heute (und wohl auch in Zukunft) nicht nur Cineasten. So nahm er das Angebot von Dorny an und der Müller-„Tristan“ kam mit Erfolg auf die Bühne der Opéra de Lyon, ein Haus, welches ohnehin durch eine interessante Wagner-Pflege in den letzten Jahren nicht nur in Frankreich auffiel.
Und auch in Linz kam die Inszenierung bei Premierenpublikum gut an. Da ja das Regietem nicht mehr vor dem Vorhang erscheinen konnte, wurde dies nicht zuletzt auch an dem überschwänglichen Applaus für Erich Wonder deutlich, als er bei der sehr zahlreich besuchten Premierenfeier auf das Podium trat. Das war ein ganz großer Augenblick dieses Abends. Auch Stephan Suschke wurde neben den Sängern und dem Linzer GMD Markus Poschner mit großem Beifall bedacht. Man hatte die Aufführung bei glücklicherweise gutem Wetter sogar in den Park vor dem Musiktheater auf eine Leinwand übertragen, wo es für das zahlreich erschienene Publikum in den Pausen auch Interviews gab, eines mit Markus Poschner. So erlebten etwa 2.400 Menschen diese Premiere des „Tristan“, wie Intendant Hermann Schneider später sagte.
Für Heiner Müller ist die „Tristan“-Musik, wie er in einem kurzen Aufsatz im Programmheft mitteilt, „eine ungeheuer theatralische Musik, ihr Wesentliches liegt im Schauspielerischen.“ Und „die Musik übernimmt bei Wagner die Funktion der Maske in der griechischen Tragödie.“ Und diese war bei beim Bayreuther Meister ja bekanntlich die Grundlage seines Opernschaffens. Diese darstellerische Archetypik hat Müller mit einer eher statisch konzipierten Personenregie und -bewegung verdeutlicht, die zeitweise an jene von Robert Wilson erinnert, der farb- und lichtästhetisch ähnlich inszeniert. Die Figuren bewegen sich bei Müller deutungsschwer meist nebeneinander, gewissermaßen forciert emotionslos. Denn gerade im 2. Aufzug wird die höfische und damit durch strenge gesellschaftliche Konventionen bis hin zu militärischen Zwängen begrenzte Liebe Tristans und Isoldes durch etwa 250 in militärischer Reih‘ und Glied aufgestellte Brustpanzer nahezu völlig unterdrückt. Suschke sieht nach Müller in diesen Brustpanzern auch „eine im Erdreich versunkene Armee, die das ‚Lager‘ für Tristans und Isoldes Liebe bietet, aber auch einen Verweis auf die Beziehung zwischen Tristan und Marke.“ Das alles hat Erich Wonder mit seinen kubischen und meist auf der Form des Quadrates aufbauenden Bühnenbildern mit der dramaturgisch außerordentlich bedeutsamen Farbgebung von Wolfgang Voss in einen stets eindrucksvollen und assoziationsreichen Rahmen gestellt – im wahrsten Sinne des Wortes.
Im kalten Blau des 2. Aufzugs entwickelt sich die Liebe zwischen Tristan und Isolde in „gesellschafticher Kälte“. Starrheit und Unnahbarkeit der Figuren werden optisch noch durch die Kostüme Yamamotos gesteigert. Sie wirken wie gepanzert mit übergroßen Schultern, auf denen sich jede Berührung unterbindende Spangen befinden, die erst im 2. Aufzug bei den beiden Titelfiguren verschwinden. Hier ist ihnen eine kurze intime Annährung und somit der Sündenfall vor Marke und der Gesellschaft sowie der auch militärisch aufgeladenen Beziehung Tristans als Vasall Markes in einem Moment völliger Dunkelheit möglich. Dazu singt Brangäne passend ihren Weckruf. Ein unglaublich starker Moment, der umso intensiver mit der dann folgenden Offenbarung bei grellem Licht kontrastiert!
Im 1. Aufzug konnten noch goldene bis rötliche Töne in den Rechtecken von Manfred Voss die Entwicklung einer Liebe andeuten, wenngleich damit auch schon herbstliche Assoziationen anklangen – also schon vor Beginn ein Zuendegehen eines beglückenden Sommers, der aber nie stattgefunden haben wird. Das immer näher kommende Haupt Markes mit der Königskrone wirft am Schluss des 1. Aufzugs einen bedrückenden Schatten auf die völlig entrückten Tristan und Isolde. Die beiden Wasser andeutenden Lichtleisten links und rechts im Kubus standen in Linz im Unterschied zur Bayreuther Fassung leider still. Ich kann mich erinnern, dass die Assoziation mit den Meereswellen der Schifffahrt nach Irland damals auch deshalb so stark war, weil es ansonsten wenig Bewegung gab.
Im 3. Aufzug ist dann alles in einem tristen Trümmergrau mit ebensolchen auf der gesamten Bühne zerstört. Wahrscheinlich nicht zu Unrecht wurde diese Trümmerästhetik mit dem Fall der Mauer (Wolfgang Wagner bot Müller den „Tristan“ kurz nach deren Fall an) und der im Sinne des in der damaligen DDR lebenden Schriftstellers nicht unbedingt positiv bewerteten „Wiedervereinigung" assoziiert. Nahe lag es aus damaliger Sicht schon, und das macht einmal mehr die Problematik des Wiederbelebens einer Opernproduktion deutlich, die zur Zeit ihrer Entstehung einen nachvollziehbaren und in diesem Falle auch sinnhaftenden Gegenwartbezug hatte.
Wen man den Müller-„Tristan“ in Bayreuth erlebt hat, hat sich natürlich auch das Tandem Siegfried Jerusalem und Waltraud Meier in das Gedächtnis eingebrannt, die beide damals wahrlich Erstklassiges leisteten, sowohl in darstellerischer wie in stimmlicher Hinsicht. Es gibt nicht viele, die diese fordernden Rollen heute singen (können). Dennoch ist dem Musiktheater Linz eine weitgehend gute Besetzung gelungen. Heiko Börner debutierte wie Annemarie Kremer mit der Rolle und hatte schon einige Erfahrung im Wagner-Fach mit Tannhäuser, Lohengrin, Erik, und Walther von Stolzing an mittleren Häusern. Börner ist jedoch nicht unbedingt ein Sympathieträger als Tristan. Seine Mimik gibt nicht die Intensität der Gefühle wieder, denen der Titelheld ausgesetzt ist, was sich insbesondere im 2. Aufzug zeigt. Bis zu einem gewissen Grad kann dies aber auch den Anweisungen des Regieteams geschuldet sein, wenngleich Isolde hier viel intensiver agierte. Börners Timbre ist stark baritonal gefärbt. Es fehlt der Stimme an tenoralem Glanz und auch etwas an Resonanz. In den dramatischeren Passagen muss er auch auf Kraft singen. Der Tristan ist sicher eine Grenzpartie für Heiko Börner.
Annemarie Kremer, seit langem im schweren Fach als Salome und Tosca bekannt und mit einer Elisabeth in Monte-Carlo auch etwas Wagner-erfahren, aber sicher keine Hochdramatische, lieferte ein beachtliches Debut als Isolde, obwohl auch diese Rolle für sie eher eine Grenzpartie ist. In der Mittellage mit schönem Timbre und leuchtendem Sopran erklingen Phrasen wie „Er sah mir in die Augen…“ und auch der Liebestod durchaus eindrucksvoll. Die Stimme hat aber relativ wenig Tiefe und auch in der Höhe, wie bei den beiden hohen Cs im 2. Aufzug, werden Mängel hörbar. Hinzu kommt eine wirklich verbesserungswürdige Diktion – man verstand meist fast gar nichts. Dafür gestaltet sie die Isolde mit großartiger Ausdruckskraft und Emphase und wurde im Laufe des Abends auch stimmlich besser.
Dshamilja Kaiser hingegen konnte auf allen Noten mit einem klangvollen und leuchtenden Mezzo sowie sauberer Intonation mehr als überzeugen. Ihre Stimme weist zudem guten Aplomb auf und ist sehr wortdeutlich. Zeitweise klang sie damit größer als jene von Kremer, zumal zu Beginn des 2. Aufzugs. Auch Martin Achrainer als Kurwenal kann mit einem bestens geführten Bariton bei guter Resonanz und Diktion beeindrucken. Dominik Nebel singt den König Marke mit einem eher baritonal klingenden Bass und guter Diktion, aber doch zu geringem Volumen und nicht allzu starker Höhe. Matthäus Schmidlechner ist ein guter Melot, und die Stimme von Mathias Frey als Steuermann und Hirte, in dieser Inszenierung zu völliger Untätigkeit verdammt, ist für diese Rollen etwas zu klein. Philipp Kranjc gibt den wie immer undankbaren jungen Seemann. Die Herren des Chores und Extrachores des Landestheaters Linz absolvieren ihren Part stimmstark und gut verständlich.
GMD Markus Poschner dirigierte das Wagner-erfahrene Bruckner Orchester Linz und begann das Vorspiel meines Erachtens zu sehr auf plastisch und prägnant. Da fehlte es noch etwas an Mystik und Emotionalität. Zum Ende des 1. Aufzugs unterstrich das Orchester jedoch mit hoher Dramatik das Geschehen auf der Bühne, und Poschner konnte auch die lyrischen Passagen im 2. Aufzug fein ausmusizieren. Damit gab es auch einen berechtigten Auftrittsapplaus für ihn und das Orchester zu Beginn des 3. Aufzugs. Immer wieder imponierte das starke, transparent und facettenreich spielende Streicherensemble. Ein musikalischer Höhepunkt war auch das Englischhorn-Solo von Martin Kleinecke im 3. Aufzug. Insgesamt ein lohnender Wagner-Abend in Linz! Die Aufführungen gehen noch bis 10. Februar 2019.
Fotos siehe Kritik oben !
Klaus Billand NACHTRAG 11.10.2018