Vorstellung am 12.4.22, Derniere (Premiere am 27.3.)
Diese Produktion in der Regie von Robert Carsen (Bühnenbild: Michael Levine, Kostüme: Brigitte Reifenstuel) hatte unter Daniel Barenboim 2011 die Scalasaison eröffnet und war 2017 unter Paavo Järvi wieder aufgenommen worden.
Nach dem argentinisch-israelischen und dem aus Estland stammenden US-Dirigenten leitete der Spanier Pablo Heras-Casado Mozarts "Oper aller Opern", was gleichzeitig sein Debüt an der Scala war. Wie ich seiner Vita entnehme, ist der Künstler in einem überaus vielseitigen Repertoire unterwegs. Zu Mozart scheint er eine ausgezeichnete Beziehung zu haben, denn die Tempi waren immer "richtig", düster-dramatisch oder spritzig, je wie es die Partitur verlangte. Das Orchester des Hauses schien sich unter dieser Leitung sehr wohl zu fühlen, und die exzellent studierten Rezitative brillierten in der Begleitung von Paolo Spadaro Munitto (Fortepiano) und Simone Groppo (Cello). Auch der von Alberto Malazzi einstudierte Chor hielt sich tadellos.
Die szenische Realisierung und Sängerführung hatte ich in "Merker" 1/12 bzw. 6/17 besprochen und kann nur wiederholen, dass der Regieansatz, eine sich immer wieder erneuernde, unsterbliche Figur zu zeigen, sicher richtig ist, aber von Carsen auf eine Art und Weise umgesetzt wird, der es an Charme und Vitalität fehlt. Der Don soll eine Art Spiegel sein, in dem sich die anderen erkennen, doch macht ihn das auf gewisse Weise farblos. Christopher Maltman erging es nicht besser als seinen hiesigen Vorgängern Peter Mattei und Thomas Hampson. Er kann sein künstlerisches Potential nicht ausspielen, wenn es der Figur nur um die Wahl der richtigen Garderobe zu gehen scheint (wobei ihn ein groß karierter Anzugstoff im Aussehen zusätzlich noch zum Kleinbürger degradiert). Wo es geht, versucht sich Maltman szenisch durchzusetzen, was auch nötig ist, denn sein Bariton ist mittlerweile recht trocken geworden und beschränkt seine Ausdrucksmöglichkeiten (was sich besonders in einem strohtrockenen Ständchen niederschlug).
Die Damen bemühten sich sehr, zu zeigen, wie sehr sie dem Don verfallen waren. Hanna Elisabeth Müller gab eine dramatische Donna Anna, die umso tragischer wirkte, als sie ihre erotische Erweckung durch Giovanni auch vor sich selbst zu verbergen suchte. Ein paar scharfe Höhen seien bei diesem interessanten Rollenporträt verziehen. Der Don Ottavio von Bernard Richter hatte nicht mehr ganz den langen Atem von 2017, sang aber gepflegt und erfreute mit virilem Auftreten. Überzeugend die Donna Elvira des kanadischen Mezzos Emily D’Angelo, die auch das für ihre Stimmlage schwierige "Mi tradì" (gespielt wurde die Wiener Fassung) respektabel meisterte und ein anrührendes Portrait der immer noch liebenden Frau bot. Fabio Capitanucci gab mit angenehm frischem Bariton einen sanguinischen Masetto, der unter der Fuchtel der nicht immer liebenswürdigen Zerlina der leichtstimmigen Andrea Carroll stand. (Auch Carroll gab ihr Scaladebüt). Seinen 150. Leporello sang der in voller stimmlicher Blüte stehende Alex Esposito, dessen szenische Beweglichkeit immer wieder beeindruckt. Es ließ sich ein leichter Hang zum Chargieren feststellen, was aber bei einer im Grunde schauspielerisch wenig herausfordernden Regie verständlich ist. Mit beeindruckender Düsterkeit orgelte Günther Groissböck den Komtur, dessen erster Auftritt in der Friedhofsszene in der Mittelloge erfolgt.
Fazit: Wir haben von Carsen viel Besseres gesehen, aber es gehört zu den Besonderheiten des Operntheaters, dass "Don Giovanni" immer neue Fragen aufwirft. Das Publikum im neuerlich – Gott sei Dank – vollen Haus spendete sehr viel Beifall.
Eva Pleus 25.4.22
Bilder: Brescia&Amisano / Teatro alla Scala