17.5. (Premiere am 13.5.)
Die „Zauberflöte“ in der Version von Carl Maria von Weber
Als Koproduktion mit der Bayerischen Staatsoper München zeigte das Theater an der Wien als letzte Premiere vor der Sommerpause Carl Maria von Webers letzte Oper „Oberon“, eine romantische Feenoper in drei Akten nach dem von Theodor Hell, Pseudonym für Carl Gottfried Theodor Winkler (1775-1856), aus dem Englischen ins Deutsche übersetzten Librettos von James Robinson Planché (1796-1880). Die Uraufführung in englischer Sprache fand unter der musikalischen Leitung des an Tuberkolose erkrankten Komponisten am 12.4.1826 in London, am Royal Opera House Covent Garden statt. Wenig später verstarb Weber am 5. Juni 1826 in London.
Vieles erinnert bei Weber an Mozarts Zauberflöte: aus Sarastro wird bei Weber Oberon, aus der Königin der Nacht Titania. Die doppelten Paare Tamino/Pamina und Papageno/Papagena haben bei Weber ihre Entsprechungen im adeligen Paar Hüon von Bourdeaux und Rezia, sowie auf der sozialen Leiter tiefer stehend, das Dienerpaar Scherasmin und Fatime. Und natürlich wird das Aristokratenpaar, wie in der Zauberflöte, diversen Prüfungen unterzogen. Zauberflöte und Glockenspiel haben bei Weber ihre Entsprechungen in einem Zauberhorn und einem Wahrheitsbecher. Hier setzt die Inszenierung von Nikolaus Habjan an. Er versteht die Prüfungen als medizinische Experimente, die vier auserwählten Patienten übernehmen die ihnen zugewiesenen Rollen von Hüon, Rezia, Scherasmin und Fatime und durchleben die Experimente fremdbestimmt unter dem Einfluss von Drogen. Bevor sich noch der Zuschauerraum gefüllt hat, führen Oberons Assistenten, die drei Pucks, bei offener Bühne bereits diverse Untersuchungen an Patienten durch, um geeignete Paare für Oberons wissenschaftliche Experimente heraus zu filtern. Da werden Reflexe getestet und der berühmt-berüchtigte Rorschach-Formdeuteversuch angewendet. All diese Experimente an menschlichen Versuchsobjekten werden von Professor Oberon mit Argusaugen akribisch überwacht. In Oberons Laboratorium aber wieseln noch zahlreiche bebrillte Damen und Herren mit einer Frisur, die frappant der von Mireille Mathieu ähnelt, umher. Die Szenen am Kalifenhof
in Tunis werden durch Habjans Markenzeichen, den interaktiv eingesetzten Hand- und Stabpuppen aufgelockert. Das Bühnenbild von Jakob Brossmann zeigt ein Labor mit Schaltpulten und einer Schaltrampe, die an das Labor von Dr. No aus dem ersten Bond Film „007 jagt Dr. No“ aus dem Jahr 1962 erinnert. Aber das ist nicht das einzige Filmzitat. Wenn Hüon und Rezia dem Feenkönig Oberon den Kopf seiner Puppe entreißen und ihn sowie Titania damit in den Bann schlagen können, erinnert man sich unweigerlich an den Film „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ aus dem Jahr 2008. Aus den Schaltschränken im Labor werden auch riesige Kartonwellen zur Veranschaulichung des großen Sturmes, der zum Schiffbruch führt, eingeschoben. Und die letzte Prüfung, der Hüon unterzogen wird, nämlich die Verführungsversuche durch die Elfen, nimmt Wagners Blumenmädchenszene mit Parsifal vorweg. Denise Heschl staffierte alle Beteiligten mit den adäquaten Kostümen aus, wobei die hellblauen Jacken von Hüon und Scherasmin mongolischen Gewändern nachempfunden wurden. Michael Bauer tauchte die einzelnen Szenen in spannende Lichteffekte ein und sorgte auch für manch lauten pyromanischen Effekt. Mauro Peter als Oberon hörte sich für mein Empfinden stellenweise etwas angestrengt an, Juliette Mars als seine Gattin Titania darf in dieser Fassung auch singen, und einmal sogar an Stelle Oberons hinter der riesengroßen Puppe. Vincent Wolfsteiner in der Rolle des Hüon von Bourdeaux verfügt über einen an sich kräftigen Heldentenor, der aber von Zeit zu Zeit ins Brüllen umkippte. An seiner Seite hatte Annette Dasch, die die Rolle der Rezia schon in München gesungen hatte, für mich stimmlich den stärksten Eindruck hinterlassen. Ihre von Koloraturen gespickte Arie im zweiten Teil wurde vom Publikum zu Recht mit Bravo-Rufen, in den sich ein vereinzelter ungerechtfertigter Buh-Ruf mischte, geadelt. Die in Polen geborene Natalia Kawałek-Plewniak als Fatime brachte ihren lyrischen Mezzosopran im Duett mit Annette Dasch wohltönend zur Geltung. Als ihr Partner konnte Daniel Schmutzhard in der Rolle des Scherasmin seinen robusten Bariton
leider kaum zur Geltung bringen, als Ausgleich lieferte er eine umso ausgefeiltere Rollengestaltung. Die US-Amerikanerin Jenna Siladie, Mitglied des jungen Ensembles des Theaters an der Wien, ergänzte gesanglich mit gut geführtem Sopran als Meermädchen. In den Sprechrollen der drei Pucks durften Manuela Linshalm, Daniel-Frantisek Kamen und Sebastian Mock nicht nur die großen Puppen von Nikolaus Habjan bedienen, sondern auch als Assistenten von Professor Oberon maßgeblich an den menschlichen Experimenten mitwirken. Thomas Guggeis präsentierte gemeinsam mit dem Wiener Kammerorchester einen recht schwungvollen romantischen Sound, der sich besonders in den dramatischen Szenen strahlend zu steigern verstand. Auch der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schoenberg Chor tat darstellerisch und gesanglich das Seine zum ansehnlichen Erfolg des Abends bei. Lang anhaltender Applaus bedankte und würdigte alle Beteiligten dieser Produktion. Dem Theater an der Wien sei Dank, seinem treuen Publikum in dieser Saison sowohl eine exzellente Euryanthe als auch einen interessanten Oberon präsentiert zu haben.
Harald Lacina 26.5.2019
Fotocredits: Werner Kmetitsch