Premiere am 27. Mail 2018
Keine klugen Akzente gesetzt
Der abergläubische Fluch, welcher sich seit der Uraufführung über diese Oper von Verdi gelegt hatte, schien sich anlässlich der Premiere gestern Abend im Opernhaus Zürich fortzusetzen. Es reicht ja nicht aus, dass sich das Wort MALEDIZIONE durch das Werk zieht, dass in der ersten Fassung Alvaro am Ende gar die gesamte Menschheit verflucht. An diesem Premierenabend war es, als ob jemand vor der Aufführung MACBETH gepfiffen hätte („Pfeife nie MACBETH“ – auch so ein Aberglaube auf der Bühne): Erst stürzte ein Mann im Foyer so schwer auf den Steinboden, dass die Ambulanz gerufen werden musste, dann verhakte sich, während die Ouvertüre bei offenem Vorhang gespielt wurde, ein Zugseil eines Bühnenelements – die zur Ouvertüre geplante Aktion konnte nicht ausgeführt werden. Vorhang.
Doch Fabio Luisi und die Philharmonia Zürich spielten Verdis wohl grandioseste Ouvertüre unverdrossen zu Ende – und wie! Das war zum Niederknien schön, von einer mitreissenden Dramatik erfüllt, die Kontraste zwischen aufpeitschenden, schneidenden, schicksalsschwangeren Akkorden und zarter Innigkeit aufs Herrlichste herausgearbeitet. Dann ging der Vorhang hoch, der Intendant (und Regisseur dieser Produktion), Andreas Homoki, bat um Verständnis – und liess die Vorstellung gleich nochmals von vorne beginnen. Man kam also in den Genuss einer Reprise der Ouvertüre, diesmal klappte auch die Bühnenaktion einigermassen. (Beim ersten Mal allerdings hatte die Ouvertüre noch besser geklungen als bei dieser ungewollten Wiederholung.) Doch damit nicht genug der unheilvollen Vorzeichen: Im Vorfeld der Premiere erkrankte der Sänger des Alvaro (Yonghoon Lee), Marcelo Puente übernahm. Wenige Tage vor der Premiere erkrankte auch noch Ruben Drole, der die (in dieser Inszenierung besonders wichtige) Partie des Fra Melitone hätte singen sollen. Gezim Myshketa sprang ein – ein absoluter Glücksfall!!! Seine Auftritte als Melitone gerieten zu den musikalischen Höhepunkten des Abends, die Kapuzinerpredigt war eine Wucht. Als Bestandteil des von Regisseur Homoki konzipierten „Trio infernale“ war Melitone zusammen mit Preziosilla und Trabuco ständig präsent auf der Bühne, sang neben dem Melitone auch noch den Alcade und den Chirurgo. In seiner Ansage nach dem Zwischenfall mit der blockierten Wand sprach Homoki von einem „sophisticated“ Bühnenbild (Hartmut Meyer).
Nun das war es in der Tat, denn die vier riesigen Flügeltüren liessen unzählige Möglichkeiten der Raumaufteilung (und damit der Schauplatzveränderung, welche gerade in dieser Oper so häufig gefordert werden, wie in kaum einer andern) zu. Diese vier Wände konnten sich nach vorne oder hinten öffnen und schliessen, eine fest gefügte gerade oder gezackte Rückwand oder einen Kubus bilden (geometrische Körper auf der Bühne scheint Homoki zu mögen, so kann man den Chor rundherum jagen). Die Bühne war also wirklich „sophisticated“, aber auch ausgesprochen hässlich: Die vier Wände waren in einem graugrünen Farbton gestrichen (wie man sie von Armee-Panzern kennt, mit weissem Mittelstreifen, der wie eine Sicherheitslinie auf einer Strasse aussah). Boden und Bühnenabschluss nach hinten waren rot-schwarz gestreift, die Streifen auf dem Boden diagonal verlaufend, hinten auf der einen Seite vertikal, auf der andern horizontal. Aber natürlich passte diese unansehnliche Bühne ausgezeichnet zum Grundkonzept der Inszenierung, nämlich das Panoptikum des Welttheaters, welches diese grossflächig angelegte Oper Verdis auszeichnet, ins Groteske zu ziehen. Verdi hat wie kaum ein anderer seiner Zeit die Devise Victor Hugos (das shakespearsche Nebeneinander von Erhabenem und Lächerlichem, von Sublimem und Groteskem) in LA FORZA DEL DESTINO umgesetzt. Andreas Homoki dreht jedoch in seiner Regiearbeit diese Schraube vielleicht einen Dreh zu weit, indem er sich eben praktisch ausschliesslich diesem Schrillen, Absurden zu widmen scheint, die eigentliche Tragik des Geschehens links liegen lässt, das Ganze als einen albtraumhaften Verarbeitungsprozess Leonores sieht. So verschmelzen Homoki und sein Team wie erwähnt die Nebenrollen zu einem dauerpräsenten, dämonisch-diabolischen Trio, welches fies in die Handlung eingreift, dem Schicksal ganz konkret nachhilft.
Auch der in dieser Oper so wichtige Chor ist hier eine krude Ansammlung von grotesken Gestalten, meist müssen die Sängerinnen und Sänger in gebückter Haltung, mit geknickten Knien über die Szene schleichen, genau wie das Trio infernale. Die Kostüme von Mechthild Seipel für den Chor und für Preziosilla, Melitone und Trabuco sind ganz grosse Klasse, alle in Schwarz gehalten, mit roten Accessoires (Schärpen, Krawatten, Haare …), die Gesichter auffallend weiss geschminkt, mit akzentuierten schwarzen Augenumrandungen. Das hat was Puppenhaftes (könnte von Achim Freyer sein), Bedrohliches, Marionettenhaftes – und passt zum kasperlehaften Touch, den die Inszenierung so kriegt. Was allerdings auf der Strecke bleibt, ist das Drama, die fatalen Beziehungen zwischen den Hauptpersonen werden kaum ausgeleuchtet, noch erhalten diese besonderes Profil. Weder Rassendiskriminierung, noch Standesdünkel, noch väterlicher Machtmissbrauch, noch kollektive Kriegslust sind ein grosses Thema. Wer also mit dieser Inszenierung der Oper zum ersten Mal begegnet, tut gut daran, sich vorgängig mit dem Inhalt auseinanderzusetzen. Für seine Sichtweise auf das Werk erhielt dann das Inszenierungsteam an der Premiere auch nicht nur Zustimmung.
Fabio Luisis grossartiges Dirigat konnte man wie erwähnt schon in der Ouvertüre geniessen, die Philharmonia Zürich glänzte auch im weiteren Verlauf mit einer Leistung auf allerhöchstem Niveau, besonders auch die solistischen Passagen (Klarinette, Harfe, Solovioline) erklangen mit eindringlicher Finesse. Der von Janko Kastelic einstudierte Chor der Oper Zürich (inklusive Zuzüger, Zusatzchor und SoprAlti) meisterte seine immensen Aufgaben vortrefflich, klangschön und mit voluminöser Plastizität gestaltend, von feiernden, unbeschwerten Studenten, über betende Mönche zum kriegslüsternen Rataplan, um dann am Ende als kriegsversehrte Bettler um Brot zu bitten.
Neben dem bereits eingangs gelobten Gezim Myshketa als Fra Melitone gehörten J’Nai Bridges als Preziosilla und Jamez McCorkle zum dämonisch die Strippen ziehenden Trio der Nebenfiguren. J’Nai Bridges besitzt einen angenehm gefärbten Mezzosopran und gestaltete die Rolle mit enormer szenischer Präsenz. In den schnelleren Passagen (Viva la guerra) mogelte sich sich ab und an etwas über die Präzision hinweg. Jamez McCorkle gab einen wendigen, agilen Trabuco.
Bleiben die vier Protagonisten (Leonoras Vater und Pater Guardiano waren zu ein und derselben Person in diesem Albtraum zusammengezogen – ähnlich wie in Herheims Inszenierung in Berlin, nur dass dort der sexuelle Missbrauch und Inzest im Zentrum stand): Hibla Gerzmavas Rollendebüt wurde zu Recht stürmisch gefeiert. Sie besitzt die bruchlose Rundung der Stimme für die anspruchsvolle Partie, kann wunderbar differenziert singen, bereits ihre Romanze im ersten Akt eine kleine Offenbarung. Im zweiten Akt legte sich ihre Stimme mit schönster Intensität über das Gebet der Pilger. Etwas zu viel Härte mischte sich phasenweise in ihre Arie vor dem Kloster. Wunderbar dann das Duett mit Padre Guardiano, dem Christof Fischesser (wie erwähnt sang er auch den Marchese di Calatrava im ersten Akt) mit seinem phantastisch klar geführten Bass eindringliche Profundität verlieh. Sehr gelungen dann das Vergine degli angeli, prächtig unterstützt von den Männern des Chores, welche sich allerdings schnell von Mönchs-Schlümpfen wieder in die grotesken, schwarz-roten Fratzen des Albtraums verwandelten. Kitschige Kerzenstimmung kam nie auf ;-)). Im dritten Akt hat Leonore nichts zu suchen, aber weil dies hier ja ihr Albtraum ist, geistert sie auch in diesem Akt auf den Kriegsschauplätzen herum. Und selbst in der Szene vor dem Kloster im vierten Akt taucht sie auf, obwohl sie sich ja zum Dahindarben in der Einsiedelei verpflichtet hatte … . Die bekannteste Arie Leonoras (und Standard-Arie in vielen Solorezitals bedeutender Sopranistinnen) Pace, pace, mio Dio wurde von Hibla Gerzmava mit warmer Stimmgebung und immenser Eindringlichkeit vorgetragen und mit unter die Haut gehenden Maledizione-Ausbrüchen beendet. Ihr rachsüchtiger, auf Blutrache fixierter Bruder Don Carlo wurde von George Petean dargestellt. Sein kerniger, satter Bariton sass ausgezeichnet. Darstellerisch konnte er der Rolle zwar nicht allzu viel Profil verleihen, doch seine Arie Urna fatal und die Treue-/Kampf-Duette mit Alvaro oder die Wahrsage-Szene mit Preziosilla waren schon bemerkenswert sicher und begeisternd gesungen, wenn auch alles ein wenig im lauteren Bereich. Dieses laute Singen traf noch extremer auf den Don Alvaro von Marcelo Puente zu, bei dessen Vortrag sich auch noch stellenweise ein unschönes Vibrato auf die eh schon nicht ganz frei schwingende Stimme legte.
In Zürich spielte man Verdis zweite Fassung (zweifelsohne die bessere dieser Oper) von 1869, an deren Ende eben nicht Alvaros Selbstmord steht, sondern die Utopie der sterbenden Leonora, dass in dem gelobten Land, in welches sie nun voranschreitet, der Kampf ein Ende habe und Friede einkehre. Szenisch wurde diese Utopie von Andreas Homoki und Hartmut Meyer und der intensiven Lichtgestaltung von Franck Evin sehr klug gestaltet: Das familiäre Trio (Leonora, Carlo, Marchese) liegt sich friedlich und versöhnt in den Armen, doch die Wand schliesst sich – der einzige Überlebenden (Alvaro) wird nicht zum Bestandteil der familiären Idylle, der Randständige bleibt draussen vor der Tür. Die drei Dämonen werden ihr brutales Spiel mit dem Schicksal der Menschen auf Erden fortsetzen.
Insgesamt muss man sagen, dass Verdis Meisterwerk LA FORZA DEL DESTINO in Zürich immer noch einer restlos überzeugenden Interpretation harrt. Dies war die dritte Neuinszenierung von Verdis Oper innerhalb der letzten 26 Jahre in Zürich (also gar nicht seltener neu inszeniert als RIGOLETTO, MACBETH oder OTELLO). Doch weder Tony Palmer (1992), noch Nicolas Joël (2005) vermochten kluge Akzente zu setzen. Immerhin hebt sich diese Neuinszenierung des Hausherrn mit ihrem ins Groteske zielenden Ansatz von den nichtssagenden Vorgängerproduktionen ab. Der Schlussapplaus war jedoch ausgeprochen kurz.
Meine persönlichen Favoriten sind aber nach wie vor Herheim (Staatsoper Berlin), Neuenfels (Deutsche Oper Berlin) oder die fulminante Produktion von Sebastian Baumgarten vorletztes Jahr in Basel.
Kaspar Sannemann 28.5.2018
Bilder (c) Monika Rittershaus