Premiere am 27.11.2021
Ohne Wolga, aber mit Gift
In der Günter-Krämer-Inszenierung an der Deutschen Oper in den Achtzigern war die Wolga nicht nur in der Musik Janáčeks, sondern auch im Bühnengeschehen präsent, Handlungszeit und -ort waren die des vorrevolutionären Russland. Die Kostüme waren an Aussagekraft nicht zu überbieten, so wenn Katja vor der Abreise des Gatten das weiße Jungmädchenkleid zugunsten eines schwarzen Burnus ablegen, die langen blonden Haare verhüllen muss. Während der Schillertheaterzeit der Staatsoper inszenierte Andrea Breth eine „Katja Kabanowa“, in der die Wolga zu Badewanne und Goldfischglas und einem kümmerlichen Rinnsal quer durch das Armeleutequartier geschrumpft, die Kostüme wenig aussagekräftig waren, alles im Irgendwann und Irgendwo des 20. Jahrhunderts zu spielen schien. Nun hat sich auch die Komische Oper des Meisterwerks nach dem Schauspiel von Ostrowski mit dem Titel „Das Gewitter“ angenommen, gesungen wird in tschechischer Sprache, obwohl es eine sehr gute Übersetzung von Max Brod gibt, aber gerade bei Janáček bilden Sprache und Musik eine untrennbare Einheit.
In Jetske Mijnssens Inszenierung ist die Natur, für die die Wolga steht, vollkommen ausgesperrt, statt ihrer beherrscht eine Reihe verschiebbarer, aber völlig gleich aussehender Zimmer mit hohen, verschlossenen Türen die Bühne, werden diese, selten, einmal geöffnet, so wallt nur grauer Nebel von draußen in die mit Tisch und unbequemen Stühlen möblierten Zimmer. In dem von Julia Katharina Berndt entworfenen Ambiente sind Menschen in den Kostümen (Dieuweke van Reij) ungefähr der Sechziger des vergangenen Jahrhunderts mit den Problemen von hundert Jahren davor beschäftigt, und am Ende knien wie beim Schluss von „La Traviata“ zwei Herren an der Leiche der Titelheldin, die nicht in der Wolga die ewige Ruhe suchte, sondern in einem Fläschchen Gift. Vollkommen verändert ist die Figur des Boris, der es eigentlich sehr eilig hatte, das Weite und damit die mit der Liebschaft mit Katharina verbundenen Unwägbarkeiten zu verlassen. Aus der kargen Bitternis des Scheiterns einer romantischen Seele an sich selbst und den Unvollkommenheiten oder Boshaftigkeiten der sie umgebenden Menschen wird eine recht fad-romantische Liebesgeschichte. Auch diese Produktion begeht durch die Zeitversetzung in die Fast-Gegenwart wie so viele andere vorher den Fehler, ihr Personal der Lächerlichkeit oder zumindest des Staunens darüber, warum bei so viel gutem Willen doch alles schief geht, auszusetzen.
Einmal mehr aber sind es die Sänger, die das Beste aus den hier noch sich in Grenzen haltenden Unzumutbarkeiten der Regie und den Abend zu einem Erfolg machen. Allen voran ist dabei Annette Dasch zu nennen, die die Katherina hingebungsvoll spielt, die wundervoll nuancierend allen Regungen ihres verwirrten Herzens in zu vor allem im Piano zu bewundernden Tönen Ausdruck zu verleihen weiß und die Darstellung und Gesang zu einer vollkommenen Einheit zu formen weiß. Mit der Katja hat die Sängerin wagnerfern eine Paraderolle für sich gefunden. Gleich drei Tenöre erfordert das Werk. Stephan Rügamer war bereits der Tichon an der Staatsoper und beweist, dass sein vielseitig einsetzbarer Tenor nichts von seiner Frische verloren hat. Magnus Vigilius ist der Boris mit verführerisch klingender Stimme, Nikita Voronchenko aus dem Opernstudio der Komischen Oper spielte den jungen Kuligin, dessen Lehrer Kudrjasch war mit Timothy Oliver rollendeckend besetzt.
Jens Larsen ist einmal mehr sein imponierendes Selbst und impotent ganz sicherlich nicht, was die stimmlichen Kräfte des Dikoj anbelangt. Ungünstig als Schulmädchen kostümiert ist die Varvara von Susan Zarrabi, auch sie aus dem Opernstudio, die einen warmen Mezzosopran für eine Partie einsetzt, die in eine Liebesbeziehung wohl bereits mehr investiert, als ein gemeinsames Picknick zulässt. Und die Auslöserin allen Übels? Doris Lamprecht kann die Eiseskälte der Kabanicha gegenüber der Schwiegertochter eindrucksvoll vermitteln, man hätte ihr im Bemühen um sexuelle Erfüllung auch mehr schauspielerischen Einsatz zugetraut, als unter der Tischdecke sichtbar sein konnte, vokal wurde sie der Partie mehr als nur gerecht. Hatte man zu Beginn des Abends noch eine zu große Lautstärke und Schlagzeuglastigkeit im Orchestergraben befürchten müssen, so gelang es Giedrė Šlekytė zunehmend, das alles, was auf der Bühne an Naturstimmung, an geheimnisvollem Zauber der Wolga fehlte, feinsinnig auszumalen.
Fotos Jaro Suffner
6.12.2021 Ingrid Wanja