Repertoire am 28.6.2018
Nur schon Gogols 1836 entstandene Novelle (surrealistisch, bevor es diesen Literaturbegriff überhaupt gab) ist eine köstliche Preziose, Schostakowitschs knapp hundert Jahre später, in jugendlichem, avantgardistischem Übermut komponierte Musik fügte Gogols Groteske eine weitere, überbordende Schicht hinzu und nun drehte der Regisseur Barrie Kosky mit seiner turbulenten, atemlosen Inszenierung im schnelle Szenenwechsel und scharfe (Film-)Schnitte ermöglichenden Bühnenbild von Klaus Grünberg nochmals an dieser Schraube der Skurrilität. Quasi das Salz in der eh schon gehaltvollen Suppe lieferten die rasanten Choreographien von Otto Pichler und die phantasievollen, knallbunten Kostüme von Buki Shiff . Aber das Inszenierungsteam drehte gerade so stark an dieser Schraube, dass das Ganze nicht überdreht war, die Suppe nicht versalzen war, die Lokomotive (wie Kosky das Stück bezeichnete) trotz überhöhter Geschwindigkeit nicht entgleiste– allerdings hart an der Grenze. Das war die große Kunst des überaus unterhaltsamen Abends, der erst ganz gegen den Schluss hin etwas lahmte, um dann die Kurve in ein augenzwinkerndes Finale doch noch zu kriegen.
Die Krone des Abends jedoch gebührt eindeutig dem Hauptdarsteller, Günter Papendell. Wie er als Platon Kusmitsch Kowaljow zwei pausenlose Stunden lang slapstickartig über die Bühne fegt, sich in Selbstmitleid wegen seiner abhanden gekommenen Nase ergeht, rast, flennt, flirtet, bettelt, sich mit kafkaesken Situationen mit Polizei, HNO Ärzten und Zeitungsredaktionen konfrontiert sieht und dabei auch noch exzellent singt, das MUSS man erlebt haben. Wenn es den Musiktheater-Oscar gäbe, Papendell wäre ein Topfavorit dafür. Unterstützt wird er natürlich vom spielfreudigen Ensemble der Komischen Oper Berlin, welches sich die übrigen, unzähligen Rollen unter sich aufteilt. Man möchte sie alle hier aufzählen, verdient hätten sie es. Stellvertretend für das gesamte Solistenensemble seien einfach die folgenden Sänger und Sängerinnen genannt: Jens Larsen (Barbier, Chefredakteur, Arzt) mit seiner ungeheuren stimmlichen und darstellerischen Präsenz, Ursula Hesse von der Steinen und Mirka Wagner als herrlich exaltierte Mutter und Tochter Podotschina, Caren van Oijen als überdrehte alte Gräfin, Ivan Turšić als Kowaljows Diener Ivan mit umwerfenden, heldentenoralen Ambitionen, der gekonnt falsettierende Aleksander Kravets als Polizeihauptmeister und Eunuche. Diese Rollen erhalten ja wenig Interaktionsprofil, sind aber als Stereotypen ungemein wichtig für die Groteske, über deren Interpretation sich die Gelehrten streiten. Persiflage, Satire, Albtraum – egal. Kosky nimmt gekonnt von allem ein bisschen, scheut natürlich auch vor den sich aufdrängenden, anzüglichen Konnotationen (Wie die Nase des Mannes, so sein Johannes) nicht zurück. Ja, als die Nase dann endlich wieder in Kowaljows Gesicht sitzt, hat sie die Form eines Riesenpenis angenommen. Doch die Freude über die wiedergewonnene Potenz ist in Koskys Inszenierung von kurzer Dauer – beim nächsten Nießen verliert er sie bereits wieder. Ein schwarzes Ende. Kurz davor hat Kosky noch eine BBC-Reporterin eingebaut, welche die Zuschauer fragt (ganz im Stil von Gogols selbstironischer Art, mit der er seinerzeit auf die Kritik an seiner Novelle reagiert hatte): „Wer will denn das als Oper sehen?“.
Nun, das Publikum wollte, ja es war begeistert, mitgerissen von diesen amüsanten, skurrilen Strudel, mit der überschäumenden, kurzatmigen Musik, die durchaus den der Entstehungszeit angepassten, mit neuen Klängen experimentierenden Charakter aufweist, Stile wild durcheinanderwirbelt, wo Posaunen furzen und rülpsen, wo mit Rhythmen, Tänzen und atonalen, ja chaotischen Klängen und Kakophonien gekonnt gespielt wird. Der designierte GMD der Komischen Oper Berlin, Ainārs Rubiķis, und das Orchester der Komischen Oper Berlin blieben denn auch dieser Rasanz des jungen Schostakowitsch nichts an Drive und auch an Lautstärke (einige Zuschauerinnen hielten sich stellenweise die Ohren zu, aber so schlimm war es gar nicht) schuldig.
Einen Höhepunkt bildeten natürlich auch die atemberaubenden, quirligen Einsätze der elf Tänzer, mal als steppende Nasen mit haarigen, muskulösen Männerbeinen, dann wieder mit Strapsen und Korsetts als bärtige Revue-Tänzerinnen – herrlich zwischen Absurdität und skurrilem Albtraum wie in der Rocky Horror Picture Showchangierend.
Kosky hat darauf bestanden, dass die Oper in der Landessprache gespielt wird (Koproduktion mit London, Sydney und Madrid), so können viele aktuelle Bezüge hineingeschmuggelt werden, wie „Lügenpresse“, „Entnasifizierung“ usw. und es wird neben allem Klamauk durchaus auch mal bissigen Untertönen nachgespürt, so dass man dann doch wieder ganz nah bei der ursprünglichen literarischen Quelle ist.
Kaspar Sannemann 29.6.2018
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