Premiere: 7.10.2018, besuchte Zweitvorstellung: 10.10.2018
Einfallsreich, aber auch drastisch
Die zweite Auftaktproduktion der neuen Intendanz von Heribert Germeshausen, Rossinis „Barbier“, hatte kurz nach der opulent herausgeschleuderten „Aida“ Premiere. Wegen des zeitgleichen Bonner „Xerxes“ mußte ein Besuch auf die erste Folgevorstellung verschoben werden, bei welcher das Auditorium nur mäßig gefüllt war. Die Besucherstatistik sollte auf lange Sicht ehrlich dokumentiert werden, denn die Dortmunder sind offenbar nicht ganz leicht zu haben. Auf die Amtszeit von Christine Mielitz vor etlichen Jahren hat man beispielsweise mit demonstrativem Desinteresse reagiert.
Rossinis „Barbier“ ist eine typische Opera buffa mit oft drastischen Bühneneffekten. Einen jungen Regisseur wie Martin G. Berger muß es also reizen, traditionelle Komik mal gegen den Strich zu bürsten. Die inszenatorische Absicht wird aus dem Schlußsatz des Erzählers wohl besonders deutlich. Bei seinem Abgang rät Hannes Brock (vielseitiger Tenor, jetzt a.D., aber bei Bedarf weiterhin im Einsatz) den Zuschauern nämlich, sich die Fortsetzung der Geschichte (Mozarts „Figaro“) vor Augen zu führen.
Hinter Buffa-Freundlichkeit können sich also durchaus Abgründe auftun, so empfindet es der Regisseur. Um dies zu verdeutlichen, greift er auf die Mittel des Puppenspiels zurück. Puppen sind gesichtsstarre Figuren, denen erst durch die Lenkung von realen Darstellern Leben eingehaucht wird. Wie glücklich dies gelingen kann, zeigen beim Kölner Schauspiel Arbeiten von Moritz Sostmann, zuletzt bei der Bühnenfassung von Christoph Helds „Bewohner“, einem Stück über demente alte Leute. Martin G. Bergers Inszenierung bietet nun freilich kein astreines Marionettentheater, wie es eine zu Beginn vor dem Dirigentenpult aufgebaute Minibühne suggerieren könnte. Er macht vielmehr die Darsteller selber zu Marionetten. An Strippen aufgehängt werden sie vom Schnürboden aus gelenkt.
Mit dieser Methode will der Regisseur offenkundig sagen, daß die Personen der Oper in einem stereotypen Leben gefangen sind. Aber sie wollen, bei unterschiedlichem Gelingen, aus diesem ausbrechen. Über Almaviva läßt sich der Regisseur im Programmheft wie folgt aus: „Ausgerechnet der privilegierte Graf nacht sich besonders intensiv Gedanken über die Auflösung der starren Regeln und versucht idealistisch, sie aufzubrechen. Er will in einer Welt leben, die jenseits der gesellschaftlichen Zuschreibungen funktioniert.“ Uff, ist da gar schon die Revolution ante portas? Nach einem „strippenlosen“ Intermezzo mit dem überaus chaotischen ersten Finale als Höhepunkt landen jedoch alle wieder in ihren Seilen, somit in den alten gesellschaftlichen Normen.
Diese Konzeption ist mutig erdacht, quirlig umgesetzt, überfordert die Dramaturgie von Rossinis Oper jedoch. Man erlebt reichlich Spaßmomente, welche freilich vielfach überdrastisch und auch etwas selbstverliebt daherkommen. Einigen jungen Leuten im Publikum war bei alledem Verzückung anzumerken – nun gut. Die vom Regisseur geschriebenen Erzähltexte (kein Rezitativ mehr; gestrichen ist auch die Figur des Fiorillo) besitzen indes eine luzidere Ironie, welche teilweise auch in die Surtitles einfließt. Keine Frage: Martin G. Berger besitzt Fantasie für mindestens zwei, geht mit ihr aber halt auch etwas verschwenderisch um. Die Ausstatter (Bühne: Sarah-Katharina Karl, Kostüme: Alexander Djurkov Hotter) arbeiten ihm lustvoll zu.
Daß Rossinis „Barbier“ ein kraftvoller Abend wird, läßt sich bereits an der Ouvertüre ablesen. Bei den von Motonori Kobayashi dirigierten Dortmunder Philharmonikern fehlt es da noch an Delikatesse des Klangs, an energievoller und präziser Rhythmik. Das ändert sich dann aber zum Besseren. Zu viel des Feingetönten würde sich aber wohl auch an der Inszenierung reiben.
Von den Sängern (verbliebene Ensemblemitglieder und Gäste) beeindruckt besonders Petr Sokolov in der Titelpartie. Der junge russische Bariton fiel u.a. bei „Neue Stimmen“ auf. Auf Youtube findet sich ein bemerkenswerter Mitschnitt des „Perlenfischer“-Duetts – Partner: der gleichfalls herausragende Chinese Mingjie Lei. Als Privatmensch dürfte Sokolov nicht ganz dem drahtzieherischen Figaro entsprechen, den er in Dortmund so überzeugend gibt. Umso toller, wie er sich die Rolle darstellerisch aneignet, als sei er ein geborener Komödiant. Sein viriler Bariton ist eminent höhensicher, was sich auch bei Rossini günstig auswirkt. Der südafrikanische Tenor Sunnyboy Dladla (Name stimmt so) hat den Almaviva schon relativ häufig verkörpert. Im Spiel wirkt er drahtig, im Gesang beweglich, wenn letzte Finessen auch (noch) fehlen. Etwas schwer tut man sich mit der aus Baku stammenden Mezzosopranistin Aytaj Shikhalizada. Sie verfügt sicher über das hohe C und vermag auch mit vokalem Zierrat zu brillieren, doch wirkt manches noch einigermaßen erkämpft. Die Gewitterszene „gestaltet“ sie übrigens ganz alleine, hoch in der Luft hängend und mit allen Körperteilen zuckend.
Der junge Bulgare Denis Velev (Basilio, Tage zuvor Ramfis in „Aida“) darf als besonders glücklicher Ensemblezuwachs betrachtet werden: machtvoller Baß, vitale Bühnenpräsenz. Auch Fachkollege Morgan Moody, als Bartolo mit einem massiv quellenden Bauch ausstaffiert, ist ein richtiger Bühnenkerl mit standfester Stimme. Er gehört zu den wenigen Sängern (wie auch Vera Fischer/Berta), welche vom einstigen Dortmunder Sängerstamm verblieben sind.
Bilder siehe weiter unten Erstbesprechung!
Christoph Zimmermann (11.10.2018)