Paris: „Maitre Peronilla“, Jacques Offenbach

Vorstellung am 16.06.2019

Grossartiger „spanischer Abschluss“ des Offenbach-Jahres des Palazzetto Bru Zane

Nach vielen saftigen „Vorspeisen“ kommen die französischen Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag von Jacques Offenbach (am 20. Juni 1819 in Köln geboren) nun zu ihrem Höhepunkt. Die zum ersten Mal gespielte französische Fassung der „Rheinnixen“, „Les Fées du Rhin“, in Tours und danach in Biel (siehe Merker 11+12/2018) war interessant, aber wird wahrscheinlich wenig nachgespielt werden – die Oper ist einfach besser auf Deutsch. Die vollkommen verschollene und nun erstmals wieder ausgegrabenen opéra-bouffe „Barkouf ou un chien au pouvoir“ in Straßburg (siehe Merker 1/2019), wird im Oktober in Köln wieder nachgespielt – aber wir bezweifeln ob sich diese etwas hybride Oper auf den Spielplänen behaupten wird. Die sieben vollkommen unbekannten kleinen bouffoneries musicales, die das Palazzetto Bru Zane diesen Frühling im Théâtre Marigny in Paris präsentiert sind köstlich, aber in ihrem Humor so typisch und unübersetzbar Französisch, dass wir uns kaum vorstellen, dass „Les deux aveugles“ von Offenbach (siehe Merker 2/2019), im deutschen Sprachraum nachgespielt werden. Das gilt auch für le „Le compositeur toqué“ von Hervé, seinen „Le retour d’Ulysse“ und seine vaudeville-opérette „Mam’zelle Nitouche“ (siehe Merker 1/2018), die nun nach einer großen Frankreich-Tournee im Théâtre Marigny gespielt wird (bis zum 15 Juni) und ebenfalls für „On demande une femme de chambre“ von Robert Planquette, „Chanteuse par amour“ von Paul Henrion, „Sauvons la caisse“ von Charles Lecocq und „Faust et Marguerite“ von Frédéric Barbier (die beiden letzteren noch bis zum 23 Juni).

Nun geht es an die „Hauptspeisen“ mit der großen opéra-bouffe „Maître Péronilla“ im Théâtre des Champs-Elysées, leider nur konzertant, aber dafür in einer absolut hochkarätigen musikalischen Wiedergabe (die auch im Rundfunk ausgestrahlt und als Platte erscheinen wird). „Maître Péronilla“ ist ein Spätwerk Offenbachs aus 1878, als er schon an „Hoffmanns Erzählungen“ arbeitete und krampfartig versuchte, seine einst so glanzvolle Position in Paris wieder zu erobern. Doch das war nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870 nicht mehr möglich. Einerseits war die operettenartige Gesellschaft des „zweiten Kaiserreichs“ verschwunden, die er in seinen Opern so wunderbar karikieren konnte, andererseits wurde er vollkommen zu Unrecht mitverantwortlich gemacht für das grenzenlose Debakel von 1870/71, das man in Paris acht Jahre lang an jeder Straßenecke noch sehen konnte. In der Pariser „Commune“ hatten die „Revolutionären“ u.a. das Rathaus und den Königspalast niedergebrannt, deren verkohlte Ruinen erst 1878 abgebrochen wurden, als es deutlich wurde, dass der hoch verschuldete französische Staat, der nach dem Krieg, den er vollkommen unnötiger Weise angezettelt hatte, nicht nur Elsass-Lothringen an den neuen, in Versailles gekrönten, deutschen Kaiser, abtreten musste, sondern auch so hohe Reparationszahlungen leisten musste, dass er es sich nicht leisten konnte, das Schloss der Tuilerien wieder aufzubauen. Eine Schmach für die man jahrelang Schuldige suchte, wie u.a. Offenbach, den man beschuldigte ein „Spion Bismarcks“ gewesen zu sein – weil der „eiserne Kanzler“ so laut bei den Offenbach-Opern in Paris gelacht hatte…

Die wirklich Schuldige war natürlich Kaiserin Eugénie, die temperamentvolle spanische Gattin von Kaiser Napoleon III, die sich als „Regentin“ leidenschaftlich und höchst inkompetent in politische Angelegenheiten einmischte, und nach dem Krieg im Volksmund nur noch verächtlich „die Spanierin“ („L’Espagnole“) genannt wurde. Nachdem sie das tragische Mexiko-Abenteuer Maximilians angezettelt hatte (das war ihre Idee, bzw die ihres Schwagers, der duc de Morny, der in Mexiko viel Geld investiert hatte), griff Eugénie (auf Bitten der nach Paris geflüchteten Spanischen Königin Isabella II) direkt in die komplizierte spanische Thronfolge ein, um zu verhindern, dass dort eventuell einem in Lissabon lebenden katholischen Hohenzollern die Krone angeboten würde. Diese dumme, eitle und streitsüchtige Eugénie erkennt man nun wieder in Offenbachs Oper, mit der er offensichtlich auch auf seine eigene Unschuld hinweisen wollte. Deswegen hat er wahrscheinlich das Libretto selbst geschrieben und wurde im Programmheft der Uraufführung in den Bouffes Parisiens 1878 als Librettist nur ein „Monsieur X“ erwähnt.

Die Handlung von „Maître Péronilla“ spielt in Spanien, in der Nähe von Madrid. Die streitsüchtige, intrigante Léona hat für die 19-jährige Tochter ihres biederen Bruders Petronilla einen alten, adeligen Mann gefunden. Damit rächt sie sich an dem jungen Musiklehrer Alvarès, der ihre Avancen abgewiesen hat und die 19-jährige Manoëla heiraten wollte. Léona betont in jedem Satz, dass bei ihr temperamentvolles spanisches Blut durch die Adern fließt, während es bei ihrem Bruder nur „braune Schokolade“ ist – denn der ehemalige Notar ist ein vermögender Schokoladenhändler geworden. Doch der junge Notar-Assistent Frimouskino und der alte Soldat Ripardos eilen der unglücklichen Manoëla zur Hilfe und sorgen dafür, dass sie mittags vor dem schwerhörigen Notar den alten Adeligen Don Guardona und abends in der dunklen Kapelle den jungen Musiker Alvarès heiratet. Beim festlichen Hochzeitsessen im Schloss sitzen also zwei Bräutigame am Tisch, die ihren Schwiegervater um eine Lösung des Problems bitten. Dies ist die köstlichste Szene der Oper, in der man beinahe das Gefühl hat, Offenbach selbst sprechen zu hören. Mit seinem unverwechselbaren Humor, erklärt dieser, dass es Väter gibt, die zwei Töchter und keinen Schwiegersohn haben und er sich besonders freut, mit nur einer Tochter gleich zwei Schwiegersöhne in seine Familie aufnehmen zu können. Da es Länder gibt, in denen Männer zwei Frauen haben, also warum könnte eine Frau nicht auch zwei Männer haben? Die Alternative wäre, seine Tochter in zwei zu teilen. Doch vertikal sähe das nicht besonders schön aus und horizontal würde einer seiner beiden Schwiegersöhne sich benachteiligt fühlen. Wie wäre es mit einem Mann für gerade und einem anderen für die ungeraden Tage? Die Angelegenheit landet schlussendlich beim höchsten Gericht in Madrid und findet zu einem äußerst originellen Offenbach-Happy End.

Ein wunderbare dreiaktige opéra-bouffe, in der Struktur ähnlich wie das „Pariser Leben“, mit Arien und Melodien, die schon „Hoffmanns Erzählungen“ ankündigen und mit viel spanischem Kolorit. Gleich im Eröffnungschor „Roulez, sonnez et faites rage, castagnettes et tambourins“ klingen die Trommeln und Kastagnetten, die auch die berühmte Schokoladenarie des Péronilla begleiten (der einzige Ausschnitt, den wir kannten). Aber die Musik ist nie vulgär. Das liegt auch an den allesamt hervorragenden Dirigenten, Orchester, Chor und Solisten. Eine Idealbesetzung für Offenbach! Markus Poschner, regelmäßig am Pult der Staatsoper in Berlin und nun gerade am Landestheater in Linz ernannt, dirigiert fabelhaft. Temperamentvoll, aber zugleich nuanciert und nie zu laut. Lustig aber nie vulgär. Vor ihm sitzt, zugegeben, das beste Symphonieorchester Frankreichs, das 1934 gegründete Orchestre National de France, das leider nur selten sein Stammhaus Radio France verlässt. Und wenn es einmal im Théâtre des Champs-Elysées im Operngraben sitzt, so wie für „Pelléas et Mélisande“ und „Tristan und Isolde“ sind alle anwesenden Merker begeistert (siehe Merker 6/2017 und 6/2016). Hochrangig auch der perfekt piano-singende, durch Mark Korovitch vorbereitete Chœur de Radio France.

Die Sängerbesetzung ist vom feinsten, eben vollkommen in der Hand des Palazzetto Bru Zane (Ko-Produzent dieser Aufführung). Véronique Gens (Léona) braucht man in Wien als Mozart- und Barock-Sängerin wohl nicht mehr vorzustellen. Bewundernswert, dass sie trotzdem immer wieder die Zeit findet, um solch seltene (und manchmal etwas undankbare) Rollen einzustudieren: es ist schon ihre siebte seltene Oper in der Buch-CD Reihe „Opéras Français“ des Palazzetto. Eric Huchet ist ein köstlicher Maître Péronilla, leider hat er außer der Schokoladenarie nur wenig zu singen. Die interessantesten Partien sind die beiden Hosenrollen, allen voran Frimouskino („Schlingel-Schelm“), der eigentlichen Drahtzieher der Geschichte. Antoinette Dennefeld hat schon bei ihrer Auftrittsarie den ganzen Saal im Griff, singt wunderbar souverän mit Witz und Humor und bekommt den meisten Szenen-Applaus (weil Offenbach eben für sie am meisten komponiert hat). Die temperamentvollsten Arien sind natürlich für den jungen spanischen Liebhaber/Musiklehrer Alvarès, den Chantal Santon-Jeffery mit richtigem spanischem Feuer singt. Da verblasste die schüchterne Manoëla der Anaïs Constans etwas. Auch ihr anderer Schutzengel Ripardos, wunderbar textverständlich gesungen durch Tassis Christoyannis, hatte nur eine Arie, wie der geprellte zweite Ehemann Don Guardona, herrlich gespielt durch François Piolino. Nur Komplimente für die perfekt singenden Komprimari Patrick Kabongo (Vélasquez major), Loïc Félix (Vélasquez junior), Yoann Dubruque (Don Henrique), Matthieu Lécroart (Don Fabrice), Raphaël Brémard (der schwerhörige Notar), Jérôme Boutillier (Le Corrégidor), Antoine Philippot (Le Majordome), Philippe-Nicolas Martin (Felipe) und Diana Axentii (Paquita, Marietta und Rosita).

Eine rote Rose für Veronique Gens im roten „spanischen“ Kleid: Von links nach rechts: Diana Axentii (Paquita), Antoine Philippot (Le Majordome), Patrick Kabongo (Vélasquez major), Loïc Félix (Vélasquez junior), Tassis Christoyannis (Ripardos), Anaïs Constans (Manoëla), Chantal Santon-Jeffery (Alvarès), Antoinette Dennefeld (Frimouskino), Markus Poschner (Dirigent), Véronique Gens (Léona), Eric Huchet (Maître Péronilla) und François Piolino (Don Guardona

Eine absolut bühnentaugliche Oper, die aber unverständlicherweise seit 1878 anscheinend nirgendwo mehr gespielt wurde. Der Grund dafür liegt, so der Offenbach-Spezialist Gerard Condé, der dem Palazzetto Bru Zane bei der Wiederaufstellung der Partitur half, in dem biederen Titel. Mit „Maître“ spricht man in Frankreich einen Anwalt oder Notar an – und denkt an langweilige Debatten in einem Gerichtssaal. Der ursprünglich anvisierte, viel bessere Titel „Les Deux maris de Manoëla“ („Die beiden Gatten der Manoëla“) schien in letzter Minute zu gewagt… Offenbach wagte eben 1878 nicht mehr so viel wie zuvor. Schade, denn diese Oper gehört absolut wieder auf die Bühne!

Foto © Gaëlle Astier-Perret

Waldemar Kamer 4.6.2019

www.bru-zane.com

Am Sonnatg den 23. Juni 2019 um 20h auf France Musique,

Info : www.francemusique.fr/

Danach als Buch-CD in der Reihe „Opéras Français“ des Palazzetto Bru Zane