Paris: „Il barbiere di Siviglia“

Vorstellung am 8.12.2017

Mit viel „Jugend“ und „élégance“ – demnächst auf Tournee in Marseille, Luxemburg und Bordeaux

„Den jungen Talenten eine Chance geben“ – das ist das Leitmotiv von Theaterdirektor Michel Franck, der diesen „Barbiere“ doppelt besetzte: einerseits mit bekannten Sängern, an anderen Abenden mit „jungen Talenten“, die quasi auf der Bühne debütieren. Eine lobenswerte Initiative in einer Welt, in der alle darüber klagen, wie schwierig es für einen jungen Sänger ist, sich auf einer der großen Bühnen zu präsentieren. Gleichzeitig werden jeden Abend mit Hilfe der Caisse des Dépôts 300 Plätze für Jugendliche unter 26 Jahren reserviert für nur 20 Euro. So gibt es Jugend im Saal und auf der Bühne für einen erfrischenden „Barbiere di Siviglia“, bei dessen Uraufführung 1816 Gioachino Rossini gerade 24 Jahre alt war und seine erste Rosina, Geltrude Righetti-Giorgi, 23 Jahre.

Alles unter Leitung eines immer noch jugendlichen Theatermannes Laurent Pelly (in Wien bekannt für seine „Fille du Régiment“), der nach über 40 Operninszenierungen nun zum ersten Mal bei Rossini angelangt ist und sich dort ebenso wohl fühlt wie bei Donizetti oder Offenbach. Pelly ist wieder sein eigener Bühnen- und Kostümbildner und entwirft eine zugleich jugendlich-frische und französisch-elegante Inszenierung, mit vielen kleinen Witzen und einem Hauch von Selbstspott, die beim Publikum gut ankam und den Sängern alle Möglichkeiten gab um ihr Talent zu entfalten. Die Erstbesetzung wurde angeführt durch Florian Sempey, in Fachkreisen bekannt als „le Figaro du moment“ – denn er singt den Figaro zur Zeit an allen großen französischen Häusern, von der Opéra de Paris bis zu den Chorégies d’Orange und zusätzlich auch noch in London, Rom und Pesaro. Sempey entstammt dem gleichen legendären 2010-Jahrgang des Atelier Lyrique der Opéra de Paris (über den wir öfters berichtet haben), ebenso wie die gleichaltrigen Marianne Crebassa und Stanislas de Barbeyrac, die beide inzwischen auch in Wien debütiert haben. Sempey ist ein überaus sympathischer und spielfreudiger Figaro – da konnte einfach nichts schief gehen.

Doch an einem Theaterabend spielen so viele Faktoren mit und nach einer anscheinend sehr gelungenen Generalprobe und Premiere, war dies die gefürchtete zweite Vorstellung. Schon die Ouvertüre wollte nicht so richtig klingen. Wie oft haben wir den jungen, talentierten Jérémie Rhorer und sein 2005 gegründetes Orchester le Cercle de l’Harmonie schon gelobt, u.a. für ihren Mozart-Zyklus an diesem gleichen Hause. Doch jetzt fehlte – für unsere Ohren – alles, was wir an dieser Musik schätzen. Lag es an dem ungewöhnlich langsamen Tempo? An der ungewöhnlich kleinen Orchesterbesetzung (nur 10 erste Geigen, 6 Bratschen, 5 Celli, 2 Flöten etc)? An der niedrigeren Stimmung der Originalinstrumente? Wo waren hier Rossinis Jugend, Witz und Brillanz? In der Auftrittsarie des Grafen Almaviva verfehlte Michele Angelini alle seine hohen Töne (die er auch im Laufe des Abends nicht wieder fand). Zum Glück folgt ja gleich in der nächsten Szene Figaros Auftritt, der jeden schwachen Anfang hochstemmen kann. Doch bei „Largo al factotum“ kam Figaro nicht von der Seitenbühne oder aus dem Saal auf die Bühne gerannt, sondern erschien in einer Sänfte aus dem Schnürboden.

Optisch eine originelle Idee – so wie es deren viele in dem aparten Bühnenbild gab – aber spieltechnisch eine Zwangsjacke für den Darsteller, der sich kaum bewegen kann und sitzend singen muss. Catherine Trottmann trat gleich als junge, sexy und selbstbewusste Rosina auf – so wie Rossini sie interpretiert hat –, doch damit ging auch der Überraschungseffekt in ihrer cavatina „Una voce poco fa“ verloren, wenn sie von „docile, rispettosa, ubidiente“ plötzlich zu einer „vipera“ mutiert. Keine Arie wollte wirklich gelingen. Auch nicht Basilios „La calunnia“, die Robert Gleadow (der im Oktober als Leporello in der Wiener Staatsoper debütierte) sehr stimmgewaltig ansetzte, womit er sich selbst alle weiteren Entwicklungs- und Differenzierungsmöglichkeiten raubte. Wie oft haben wir positiv über diesen Sänger berichtet – auch an diesem gleichen Hause…

Für Musikerohren, die anderes gewohnt sind, war es ein schwacher Abend und einige namhafte Rezensenten gingen schon in der Pause. Doch am Ende gab es großen Applaus eines offensichtlich zufriedenen Publikums. Dieser jugendliche „Barbiere“ wird noch viel gespielt werden: im Februar in Marseille, im März in Luxemburg, und nächste Spielzeit in Bordeaux und wird sicher noch bessere Abende erleben. Wir sind gespannt!

Noch bis zum 16. Dezember im Théâtre des Champs-Elysées, Info

Bilder (c) Vincent Pontet

Waldemar Kamer 11.12.2017

Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online, Paris.

TV-Tipp !

Am 16. Dezember auf ARTE-concert und am 29. Dezember auf ARTE-Fernsehen

Am 31. Dezember um 20h auf France Musique, Info : www.francemusique.fr/