Aufführung am 30.7.17 (Premiere am 19.7.)
Am darauffolgenden Abend war hinsichtlich der Regie ein Parallelfall zu erleben, der allerdings völlig ins Schwarze traf. Es ist bekannt, dass Giuseppe Verdis zweite Oper bei ihrer Uraufführung an der Mailänder Scala ein derartiges Fiasko war, dass das Werk nicht einmal eine Reprise erlebte. Ebenso bekannt ist, dass der Komponist für die Erarbeitung einer Buffooper (hier „melodramma giocoso“) verpflichtet worden war, einem Genre, die seiner künstlerischen Ader so gar nicht entsprach (dass er dann mit „Falstaff“ alle Lügen strafte, steht auf einem anderen Blatt).
Dazu kam – und auch das wird rechtens in jedem Kommentar zu dem Werk erwähnt – dass zur Zeit von dessen Entstehung Verdis beide Kinder im Säuglingsalter und kurz darauf seine Gattin starben. Da die Oper offenbar wegen ihrer geringen Attraktivität nur sehr selten gegeben wird, hatte ich vor dieser Produktion erst zweimal Gelegenheit, sie zu sehen, nämlich 1985 in Verona im Teatro Filarmonico und 2001 an der Scala mit Absolventen der Accademia des Hauses.
Beide Male waren die biederen Inszenierungen eine Art Bestätigung, dass dieser „Ausrutscher“ Verdis richtigerweise nur alle heiligen Zeiten den Weg auf die Bühne findet. So kann man sich irren, denn – obwohl die obigen Bemerkungen durchaus gültig sind – eine Produktion wie diese zeigte, was alles bei einem „schwachen“ Werk möglich ist.
Zunächst sollte die Oper, die ein Workshop mit teilweise noch an der Accademia del Belcanto studierenden jungen Sängern ist, konzertant dargeboten werden, denn das Problem waren natürlich wieder einmal die spärlichen finanziellen Mittel. Schließlich setzte sich aber doch der Gedanke durch, dass gerade eine Oper mit Buffocharakter sich am wenigstens für eine derartige Realisierung eignet. In der an der Accademia lehrenden, unvergessenen Stefania Bonfadelli fand man die Lösung, und was für eine Lösung! Um zum Anfang dieser Besprechung zurückzukehren: Die liebevoll „Bonfa“ genannte Künstlerin erfand eine Interpretationsform, die vielleicht nicht neu war, aber derart perfekt umgesetzt wurde, dass das sich an überalterte Vorbilder haltende (zuvor schon 1818 erfolgreich von dem tschechischen Komponisten Adalbert Gyrowetz vertonte) Libretto von Felice Romani alles Betuliche verlor. Die Regisseurin ließ eine vazierende Theatertruppe nach einem Stoff suchen, wobei die Handlung der Oper parallel zu den persönlichen Angelegenheiten der Interpreten läuft. Nicht neu, wie gesagt, aber man muss gesehen haben, wie es der Regisseurin gelungen ist, die beiden Handlungsfäden zu verschmelzen, sodass die jeweilige Situation immer klar war. Dazu zeichnete sowohl das Ensemble, als auch den neuerlich eingesetzten Chor des Teatro Comunale di Piacenza unter Corrado Casati eine unbändige Spielfreude aus, die wohl auch der Anregung und guten Arbeit der „Bonfa“ zu verdanken war. (Man muss die Choristen gesehen haben, wie überzeugend sie Bühnenarbeiter, Garderobieren usw. verkörperten). Die szenischen Elemente von Raffaele Montesano bestanden aus nicht viel mehr als Verdis berühmtem Altersbild mit weißem Schal und Zylinder, einem Arbeitstisch und Klappsesseln für das Regieteam der Theatergruppe, die bei Bedarf von der Lichtregie (Giuseppe Calabrò) herausgeleuchtet wurden. Die Kostüme zeigten Alltagskleidung, die sich nach und nach in Theaterkostüme verwandelte (auch dafür zeichnete Bonfadelli).
Sehr gut bis begeisternd waren auch die gesanglichen Leistungen: Als Cavalier Belfiore, der „falsche Stanislaus“ des Untertitels der Oper, hier der Regisseur der Truppe, gefiel Vito Priante mit weichem, rundem Bariton, der sich mit den Jahren sehr schön entwickelt hat. Seine Geliebte, die Marchesa del Poggio, hier der Star der Theatertruppe, wurde von der Litauerin Viktoria Miskunaité mit einer qualitativ hochstehenden Sopranstimme gesungen, die auch die nötigen dunklen Töne für eine Rolle besaß, die seinerzeit Fiorenza Cossotto verkörpert hatte. Edoardo di Sanval, in der Fiktion der jugendliche Held, wurde von dem Peruaner Ivan Ayon Rivas mit glanzvollem Tenor gesungen. Dieses Timbre schließt wunderbar an die beste italienische Tradition an. Die beiden Bufforollen Baron von Kelbar und Herr della Rocca (als Geldgeber bzw. Verwalter der Kassa) wurden von dem slowakischen Bariton Pavol Kuban und dem Bass Luca Vianello mit angenehm süffigen Stimmen gegeben.
Die Albanerin Dioklea Hoxha gab der Rolle der Giulietta di Kelbar (die Jugendlich-Dramatische der Truppe und auch privat mit dem Darsteller des Edoardo ein Paar), die nach dem bekannten Schema der Ehe mit einem ungeliebten Alten entgehen und ihren Geliebten heiraten kann, ihren netten Soubrettensopran, der derzeit für eine solche Partie noch zu wenig ist. Es ergänzten Nico Franchini und der umwerfend komische Domenico Pellicola als verzweifelter Regieassistent. Am Pult stand mit Sesto Quatrini ein junger Dirigent, in den man nach dieser Leistung einige Hoffnung setzen darf, so mitreißend und dennoch sauber musiziert erklang mit dem Orchestra Internazionale d’Italia Verdis Musik, die – wenn auch immer wieder verständlicherweise von Rossini inspiriert – nach echtem, authentischem Verdi klang.
Riesiger Erfolg mit zahlreichen Hervorrufen für alle. Den Schülern der Accademia Miskunaité, Hoxha, Vianello und Franchini möge er Befriedigung und gleichzeitig Ansporn sein.