Beim berühmten Vier-Regisseure-Ring der Stuttgarter Staatsoper inszenierte Peter Konwitschny im Jahr 2000 eine fulminante „Götterdämmerung“. Damals war Konwitschny als Wagner-Regisseur sehr gefragt, arbeitete viel in München, Hamburg und Dresden. An den gesamten „Ring des Nibelungen“ traute er sich aber nicht heran. Dies holt er nun in Dortmund nach, wo er aber darauf bestand die Reihenfolge der Stücke zu verändern und jedes Mal mit einem anderen Bühnenbildner zu arbeiten. War die „Walküre“ im letzten Jahr in Zusammenarbeit mit Frank Philipp Schlößman entstanden, stammt die Ausstattung für den neuen „Siegfried“ von Johannes Leiacker.
Die prägenden Räume dieser Inszenierung sind mehrere Container: Im ersten Akt ist dort Mimes Wohnwerkstatt mit Tisch und Herd untergebracht. Eine Fototapete mit einer Waldlandschaft vermittelt ein bisschen Naturatmosphäre: Da alle Container nur die halbe Portalhöhe erreichen, wirken sie auf der großen Dortmunder Bühne etwas verloren. Der erste Akt ist sorgfältig und spielfreudig inszeniert, letztlich arbeitet sich Konwitschny hier aber nur brav an der Handlung ab, ohne seine sonstige Kreativität zu entfalten. Dass Wotan und Mime in der Wissenswette einen Korn nach dem anderen Kippen, ist hier schon das Maximum des Regiekonzepts.
Als Gast vom Staatstheater Karlsruhe singt Matthias Wohlbrecht einen grell-schmierigen und sehr textverständlichen Mime. Thomas Johannes Mayer ist mal ein warmstimmiger, mal ein gaumiger Wanderer, der aber auch nicht so groß auftrumpft, wie es die Rolle anbietet. Der schwedische Tenor Daniel Frank gibt sein Debüt in der Titelrolle. Mit der genauen Betonung von Wagner Texten und den schnellen Dialogen des ersten Aktes hat er einige Probleme. Wenn er mitten auf der Bühne singt, kommt er nicht richtig über das Orchester, zumal Dirigent Gabriel Feltz auf die Sänger zu wenig Rücksicht nimmt. Insgesamt lässt Dortmunds GMD sein Orchester einen farbenprächtigen Wagner in flüssigen Tempi spielen. Wenn Daniel Frank aber unter dem Portal singt, wird seine Stimme gut in den Zuschauerraum fokussiert. Seine gesanglich schönsten Stellen hat er im Waldweben und im Dialog mit Mime nach dem Drachenkampf.
Im zweiten Akt steigert sich Peter Konwitschny zu alter Kreativität. Eine seine besonderen Qualitäten ist ja die szenische Einbindung von Orchestermusikern: Diesmal macht sich Siegfried über die Holzbläser, welche die Stimme des Waldvogels spielen lustig und erntet so den Protest des Orchesters. Weil er auf seinem Horn den eigenen Hornruf nicht spielen kann, kommt Hornist Jan Golebiowski auf die Bühne und zeigt dem Helden, wie es geht. Das sorgt im Saal für viel Heiterkeit und Szenenapplaus.
Fafner lebt in einem vergoldeten Container und sitzt als Altplayboy oder Mafiaboss in einer Goldwanne und lässt sich von einer Dienerin im Minikleid, die natürlich den Waldvogel singt, versorgen. Das ist turbulent inszeniert, jedoch fragt man sich, warum diese Dienerin sich nicht selbst den Ring und Tarnhelm aneignet? Außerdem bringt diese Deutung das Problem, dass Siegfried ja vor Brünnhilde schon eine andere Frau gesehen hast.
Denis Velev singt den Fafner mit kräftigem Bass, der auch ohne Verstärkung, imponieren würde. Morgan Moody ist ein elegant-kerniger Alberich, der seine Rolle mit operettenhafter Leichtigkeit singt. Spielfreudig und wohlklingende gibt Alina Wunderlin den Waldvogel.
Der dritte Akt fügt sich nicht logisch in das Container-Konzept: Zwar erweckt Wotan die in einer Gefriertruhe schlafende Erda in einem Container und trifft Siegfried dann sogar in einer Containerlandschaft. Die Erweckung Brünnhildes findet dann aber auf leerer Bühne statt. Stéphanie Müther ist eine kräftig singende und energiegeladene Brünnhilde. Die Erda von Aude Extrémo besitzt einen mächtig röhrenden Alt, klingt aber zu kehlig.
Ähnlich wie im ersten Akt arbeitet sich Konwitschny im Schlussakt bloß an der Handlung ab, ohne wesentliche Akzente zu setzen, wie man es von einem Regisseur dieses Kalibers erwarten würde. Konwitschnys Personenführung könnte man in den beiden Rahmenakten wahrscheinlich sogar im Uraufführungsbühnenbild von 1876 spielen, ohne dass das groß auffallen würde. Ob Erda aus einer Erdspalte oder Tiefkühltruhe auftaucht, macht eigentlich keinen großen Unterschied.
Im nächsten Jahr geht es dann mit „Rheingold“ weiter, für das Jens Kilian die Bühne entwerfen wird.
Rudolf Hermes, 23. Mai 2023
Richard Wagner
„Siegfried“
Oper Dortmund
Premiere: 20. Mai 2023
Musikalische Leitung: Gabriel Feltz
Regie: Peter Konwitschny
Ausstattung: Johannes Leiacker
Dortmunder Philharmoniker
Weitere Vorstellungen am 29. Mai sowie am 4. und 10. Juni 2023.