Auf den Tag genau vier Jahre nach der Premiere am 2. Juni 2019 kehrte mit ihrer nunmehr zwanzigsten Vorstellung die gemeinsam mit der New Yorker MET zu verantwortende Rigoletto-Produktion an die Berliner Staatsoper zurück und wurde zu einem rauschenden Erfolg für die in den drei Hauptrollen mit dem Premierendurchlauf identische Besetzung. „Präfaschistisch“ hatte Regisseur Bartlett Sher das Ambiente, in das die Renaissance-Tragödie versetzt worden war, genannt, und antike griechische Säulen plus mittelalterliche Holzbalkendecke und dazu Wandgemälde im Stil von George Grosz (Bühne Michael Yeargan) können durchaus für eine Optik von Zügellosigkeit, Gewalt und Angst stehen. Nach Italien verorten die schwarzen Uniformen der Militärs das von Victor Hugo ursprünglich in Frankreich angesiedelte, von der italienisch-österreichischen Zensur nach Mantua an den Hof der Gonzaga versetzte Stück. Kein überzeugendes „Come è bella“ der verwöhnten Höflinge gestatten die Kostüme von Catherine Zuber der durch Kleidung und Frisur eher zum Spießigen als zum strahlend Unschuldigen tendierenden Gilda. Insgesamt aber kann man mit der Optik zufrieden sein, vermisst wird aber weiterhin eine überzeugende Personenregie, die verhindert, dass ein Monterone seinen Fluch ins Publikum statt gegen Duca und Buffone schleudert und auch alle anderen Mitwirkenden eher mit dem Zuschauer als mit ihren Partnern kommunizieren. Rampensingen war die Parole des Abends.
Nur die Herren des Chors dürfen in dieser Verdi-Oper singen, und die der Staatsoper taten es als Höflings-Clique mit mehr Aplomb als mit elegantem Brio, das Orchester unter Giuseppe Mentuccia begann mit schüchtern wirkenden Bläsern, steigerte sich aber sehr schnell und immens und leistete mit zunehmender Italianità einen bedeutenden Beitrag zu einem insgesamt beglückenden Abend.
In unterschiedliche Richtungen entwickelt haben sich in den letzten vier Jahren die Stimmen der Protagonisten. War Nadine Sierra in der Premiere noch eine Gilda des „Caro nome“ mit brillanten Koloraturen, so gelang nun auch ein „Tutte le feste al tempio“ voll tragischer Intensität mit allen nur denkbaren Qualitäten eines lyrischen Soprans. Geblieben ist die beinahe kindliche Freude über den Erfolg, der sie noch unter dem fallenden Vorhang hindurch dem Publikum fröhlich zuwinken ließ. Vorbei die Zeiten der hoheitsvollen Diven à la Caballé und Kabaivanska!
Obwohl es nicht möglich schien, hat doch Christopher Maltman noch zugenommen an vokalem Potential, an Expressivität und Stimmvolumen, an Generösität der Phrasierung und flexibler Agogik. Sein mit schönem Dimiuendo gesungenes „Pietà!“ am Ende von „Cortigiani vil razza dannata“ ging zu Herzen. Sein Rigoletto war ein höchst ausdrucksstarker, ohne jemals abzugleiten ins Veristische.
Keine gute Entwicklung genommen hat der Tenor von Francesco Demuro, der in der Premiere noch als Tenore di grazia durchgehen konnte, obwohl man vom Duca mehr stimmliche Brillanz erwartet. Nun klang die Stimme trocken, flach und scharf, es wurden zwar alle hohen Töne, auch die der Cabaletta, erreicht, aber angenehm anzuhören waren sie nicht. Man kann nur hoffen, dass es sich um eine schlechte Tagesform handelte.
Das edle Geschwisterpaar Maddalena und Sparafucile war vorzüglich besetzt mit einer satten Mezzostimme, die Anna Lapkovskaja einsetzen konnte, und mit dem abgrundtief schwarzen Bass von Grigory Shkarupa. Einen elegant phrasierenden, edel klingenden Monterone sang Adam Kutny. Auch das Opernstudio war wieder zahlreich in kleineren Partien vertreten mit den schmucken Höflingen Marullo (Carles Pachon), Borsa (Johan Krogius) und dem Pagen (Regina Koncz). Letztere war auch die Contessa Ceprano mit hocheleganter Robe, in die die Sängerin schnell noch zum Schlussapplaus zurückgeschlüpft war. Maria Hegele war die raffgierigste Giovanna, die je auf einer Bühne stand, Benjamin Chamandy der hilflose Conte Ceprano.
Am Sonntag, dem 4. Juni, kann man die Produktion noch einmal sehen. Es lohnt sich hinzugehen.
Ingrid Wanja, 3. Juni 2023
Rigoletto
Giuseppe Verdi
Staatsoper Berlin
20. Vorstellung am 2. Juni 2023 nach der Premiere am 2. Juni 2019
Inszenierung: Bartlett Sher
Bühne: Michael Yeargan
Musikalische Leitung: Giuseppe Mentuccia