Für ihre erste Regie in Bremen hat sich Elisabeth Stöppler Verdis Macbeth vorgenommen und ist dabei etwas über das Ziel hinausgeschossen. Stöppler sieht die von krankhaftem Ehrgeiz getriebene Lady Macbeth als eine Art Feministin. Allein in der Tatsache, dass sie sehr aktiv ist und ihre Bedürfnisse zielstrebig verfolgt, sieht sie etwas Positives. Und sie versucht die Taten der Lady zu erklären (nicht zu entschuldigen), weil die als Frau immer „übersehen“ wurde und benachteiligt war. Stöppler will also auch Sympathien für Macbeth und Lady Macbeth entwickeln. So wird Fleance (Juhan Oh), der Sohn von Banquo und der eigentlich ermordet werden sollte, von beiden aufgenommen und sie machen auf heile Familie. Wirklich überzeugend ist das nicht. Es gibt auch kleine Veränderungen im Personal der Oper. Aus der Kammerfrau wird eine „Dama“(Elisa Birkenheier), die Gattin von Macduff. Die kleineren Basspartien werden in der Figur des „Servo“ (Christoph Heinrich) zusammengefasst, der als Diener, Arzt und Mörder fungiert. – eine geheimnisvolle Erscheinung, die bedeutungsschwanger und allgegenwärtig über die Bühne schleicht. Auf der linken Seite dieser Bühne (von Thilo Ullrich und Raimund Orfeo Voigt) befindet sich ein kastenförmiges Gebäude, durch deren Fenster man in ein schmuckloses, leeres Zimmer blickt. Dort findet auch das Bankett statt, wenn man es denn so nennen will.
In der ersten Szene der Lady ist das Lesen des Briefes gestrichen, dafür rezitiert Servo später den Shakespeare-Text der Hexen. Diese Hexen haben nichts Dämonisches. Sie hocken auf Heizkörpern und qualmen eine Zigarette nach der anderen. Das tut auch die Lady. Nachdem verkündet wurde, dass sie tot sei, rennt sie trotzdem weiter herum und schnippt nervtötend mit einem Feuerzeug. Die Visionen von Macbeth machen wenig Eindruck und auch die Atmosphäre der Nachtwandler-Szene wird durch zu viel Gewusel auf der Bühne gestört. Solche Zutaten häufen sich: Malcolm bedroht Macduff mit einem Revolver, Macbeth presst ein Kofferradio ans Ohr und gibt sich dem Wahnsinn hin, die Dama erschießt Macbeth und Macduff erschießt Malcolm. Wiederholt sich jetzt die Geschichte von Macbeth und Lady Macbeth in der Konstellation Macduff und Dama? Stöppler hat ihre spezielle Sicht dieser Oper zwar konsequent umgesetzt, aber eigentlich ist das Werk stark genug und benötigt solche Eingriffe nicht.
Musikalisch war die Premiere großartig. Stefan Klingele und die Bremer Philharmoniker zeigen vom ersten Takt an ihre Klasse. Wie Klingele den Spannungsbogen über den ganzen Abend hält, wie er fahle Stimmungen erzeugen kann oder Melodien aufblühen lässt nötigt höchste Bewunderung ab. Das Spiel des Orchesters ist bis in die feinsten Nuancen sehr differenziert. Tempo und Dynamik werden organisch entwickelt. Auch die eingeschobene Ballettmusik (bei der sich nur das Haus dreht) entwickelt in Klingeles Wiedergabe großen Reiz. Einen großen Abend hatte auch der von Noori Cho einstudierte Chor. Die Aufgaben des Chors sind in dieser Oper sehr groß und haben entscheidende Bedeutung. Der prachtvolle und in allen Stimmgruppen homogene Klang begeisterte.
Von einem Tag zum anderen ist der Isländer Hrólfur Sæmundsson für den erkrankten Elias Gyungseok Han als Macbeth eingesprungen. Er gestaltete seine Partie mit bemerkenswerter Präsenz und Ausdrucksvielfalt. Sein Bariton kann herrisch aufbrausen, aber sich auch (in der letzten Arie) ganz verinnerlicht zurücknehmen. Die Lady Macbeth ist für Sarah-Jane Brandon sicher eine Grenzpartie, aber sie bleibt dank ihrer Intensität der Rolle nichts schuldig. Wie ein Raubtier belauert sie Macbeth und treibt ihn an, zeigt aber auch liebevolle Züge. Stimmlich kann sie (mit manchmal schneidender Härte) überzeugen. Hidenori Inoue verströmt als Banquo mit sattem Bass reinsten Wohllaut und erfreut mit profilierter Darstellung. Luis Olivares Sandoval schmettert seine Arie „O figli miei“ mit gewohnter Zuverlässigkeit. Besonders aufhorchen lässt aber Ian Spinetti mit strahlkräftigem Tenor als Malcolm.
Wolfgang Denker, 12. Dezember 2023
Macbeth
Giuseppe Verdi
Theater Bremen
Premiere am 10. Dezember 2023
Inszenierung: Elisabeth Stöppler
Musikalische Leitung: Stefan Klingele
Bremer Philharmoniker
Weitere Vorstellungen: 12., 27. Dezember, 6., 25. Januar, 9., 11., 25. Februar, 15. März, 10. Mai 2024