Bremen: „Doctor Atomic“, John Adams

(c) Jörg Landsberg

Für eine Spielzeiteröffnung ist die Oper Doctor Atomic von John Adams sicher eine ungewöhnliche Wahl, denn diese ist wahrlich keine leichte Kost und nicht unbedingt ein Publikumsrenner. Weil das Resultat aber so hervorragend gelungen ist und musikalisch wie szenisch restlos überzeugt, kann man von einem wirklich glanzvollen Start sprechen.

Die 2005 uraufgeführte Oper handelt vom Test der ersten Atombombe 1945 in der Wüste Los Alamos. Der erste Akt spielt einen Monat vor dem Test, der zweite am 16. Juli 1945, dem Tag des Tests. Zentrale Figuren sind Robert Oppenheimer, der als „Vater der Atombombe“ gilt, und General Leslie Groves, der als machtbewusster, unnachgiebiger Militarist gegen alle Bedenken auf die Durchführung des Projektes pocht. Weitere Beteiligte sind die Physiker Edward Teller und Robert Wilson, der Meteorologe Jack Hubbard und der Mediziner James Nolan. Die Szenen wechseln zwischen dem Testgelände und der Wohnung der Oppenheimers. Dort macht sich Oppenheimers Frau Kitty Sorgen über die Tätigkeit ihres Mannes, aber auch über ihre Ehe. Zu den historisch verbürgten Figuren wurde das indianische Hausmädchen Pasqualita hinzuerfunden. Sie singt ein traditionelles Lied der Tewa-Indianer und verkörpert das Gewissen der Natur.

(c) Jörg Landsberg

Regisseur Frank Hilbrich sieht diese Oper eher als „musiktheatrale Installation“. Das Bühnenbild von Volker Thiele zeigt einen gläsernen Käfig, der wiederholt aus der Tiefe hochgefahren wird. Da alle (wie von Adams vorgeschrieben) mit Mikrofonverstärkung singen, hat das keine akustischen Nachteile. Durch den Käfig werden die handelnden Personen quasi selbst zum Gegenstand eines Experiments. Sie bewegen sich durchweg in Zeitlupe. So kann der Zuschauer wie durch ein Brennglas ihre seelischen Zustände beobachten. Das ist bestens gelungen, denn die „Innenwelten“ stehen bei dieser Oper ohnehin mehr im Fokus als die äußere Handlung. Die teilweise mit KI erzeugten Videos von Ruth Stofer an den Seitenwänden und im Hintergrund verstärken das.

Das Libretto von Peter Sellars verwendet größtenteils amerikanische Regierungsdokumente sowie die Korrespondenz der Wissenschaftler und des Militärs. Wenn man sieht, wie hier etwa kaltschnäuzig darüber diskutiert wird, ob man die Japaner nicht vorwarnen sollte oder ob ein plötzlicher Atomschlag nicht effektiver wäre, wird man von blankem Entsetzen mit Gänsehaut gepackt. Dazu tragen auch die Auftritte des von Noori Cho und Alice Meregaglia ganz hervorragend einstudierten Chors bei: Zu Beginn singt er vom zweiten Rang, später auf und hinter der Bühne. Insbesondere der mächtige Chor der (toten) Japaner am Ende geht unter die Haut.

Hilbrich hat in seiner Inszenierung die angespannte Stimmung der Wissenschaftler hervorragend getroffen. Nervös rauchen sie eine Zigarette nach der anderen. Das Warten beim Countdown bis zur finalen Explosion zieht sich in kaum noch zu ertragender Spannung unwirklich in die Länge.

Die Kostüme von Gabriele Rupprecht sind eine Klasse für sich. Alle könnten mit ihrer „Betonfrisur“ und ihren starren Masken (Kompliment an Derek Halweg!) geradewegs aus einem Science Fiction Comic entsprungen sein. Die Figuren mutieren dadurch von Individuen zu Archetypen.

(c) Jörg Landsberg

Sängerisch bleiben keine Wünsche offen. Michal Partyka kann als Oppenheimer besonders mit seinem expressiven Monolog „Batter my heart“ am Ende des ersten Akts einen Glanzpunkt setzten. Auch Elias Gyungseok Han (Groves), Hidenori Inoue (Teller) und Christoph Heinrich (Hubbard) haben dunkle Stimmen, was die düstere Atmosphäre noch verstärkt. Die Tenöre Oliver Sewell und Wolfgang von Borries sind als Wilson und Nolan zu erleben. Nadine Lehner liefert als Kitty einmal mehr ein Rollenporträt von bezwingender Intensität. Und Constanze Jader kann als Pasqualita mit berührendem Mezzo überzeugen.

Die Bremer Philharmoniker sind auf der Bühne postiert und leisten unter der Leitung von Stefan Klingele Außerordentliches. Die teils hektische, in den Szenen mit Kitty eher sehnsuchtsvoll und melancholisch klingende Musik kommt klangvoll zur Geltung. Die vielen rein orchestralen Zwischenspiele offenbaren eruptive Wucht und ein sinnliches, oft überwältigendes Klangerlebnis. Besser kann man dieses eigenwillige Werk wohl kaum präsentieren.

Wolfgang Denker,  17. September 2023


Doctor Atomic
Oper von John Adams

Theater Bremen

Besuchte Premiere am 16. September 2023

Inszenierung: Frank Hilbrich
Musikalische Leitung: Stefan Klingele
Bremer Philharmoniker

Weitere Vorstellungen: 30. September, 3., 12., 20., 22. Oktober 4., 24., November, 13., 28. Dezember 2023