Ein alternder Junggeselle wird zur Heirat mit der jungen und schönen Nachbarin überredet. Offenbar bleibt seine Liebe zu ihr in der Hochzeitsnacht ohne körperlichen Vollzug. Sie schwärmt dagegen für einen geheimnisvollen Fremden, dessen Identität erst in einer überraschenden Schlußwendung offenbart wird. Im Untertitel wird dieses Stück mit dem eigenartig umständlichen Titel als „erotischer Bilderbogen“ spezifiziert. Diese Bezeichnung nimmt Bezug auf die literarische Vorlage des spanischen Schriftstellers García Lorca, der in seinem Theaterstück wiederum Bezug auf eine spanische Tradition von Bildergeschichten in der dortigen Populärliteratur vergangener Jahrhunderte nahm. Die Figur des Don Perlimplín ist dieser Volksliteratur entlehnt, auch das Spiel mit dem Motiv der ehelichen Untreue. García Lorca verwendete damit traditionelle Versatzstücke, um sie zu einem Amalgam von heiterer Posse und surreal verrätseltem Kammerspiel zu machen. Das Bühnenbild von Christoph Fischer nimmt das Surreale des Textes auf und zeigt als Spielort eine hautfarbene Skulptur, die in ihrem organischen Fließen an amorphe Objekte in Bildern Salvador Dalís erinnert.
Dorothea Kirschbaum arrangiert die Handlung mit leichter Hand und ist so klug, weder die Rätsel der Vorlage aufzulösen, noch das Publikum vor neue Rätsel zu stellen. Immerhin baut sie den Einsatz von „Kobolden“ aus, welche in der Vorlage lediglich die Aufgabe haben, das zentrale Rätsel der Geschehnisse in der Hochzeitsnacht der beiden Titelfiguren mit einem Tuch zu verhüllen. Die Partitur kennt zwei dieser Kobolde mit einem kurzem Gesangspart. Kirschbaum läßt zusätzlich fünf Tänzer als Kobolde mit Widderhörnern in der Traumlandschaft herumspuken, die zu Beginn Schabernack mit den Büchern des Hausherrn treiben und die orchestralen Zwischenspiele beleben. So entsteht zusammen mit den darstellerisch engagierten Sängern szenisch ein durchaus kurzweiliges Gesamtkunstwerk, welches bereits ohne Musik gut funktionieren würde.
Das erleichtert die Rezeption der streng zwölftönig konzipierten Musik Wolfgang Fortners. Zum einen gelingt den Sängern durchweg ein trotz der komplizierten Intervallsprünge ohne tonale Erdung wie selbstverständlich wirkendes Parlando. Zum anderen verstärkt insbesondere der Einsatz von Celesta, Harfe und Vibraphon mitunter geradezu illustrativ die surreale Grundierung. Die Klangfarben sind es denn auch, derentwegen man die sängerischen Leistungen genießen kann: Sebastian Geyers kernigen, aber schlank geführten Bariton für die Titelrolle, Karolina Bengtssons sich verführerisch verströmenden Sopran für die Belisa, Karolina Makułas samtigen Mezzosopran für die Haushälterin Marcolfa und Anna Nekhames’ lustvoll komischen Einsatz ihrer Koloraturgeläufigkeit für Belisas Mutter.
Unter Takeshi Moriuchi erscheint die elaborierte Partitur klar und ein wenig unterkühlt. Zu kammermusikalischen Juwelen werden die Zwischenspiele geschliffen. Die zwölftönige Kopfmusik entfaltet durch ihren Klangfarbenreichtum immer wieder eine herbe Schönheit.
Fortners Oper gilt als bedeutender Beitrag zum Musiktheater in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ulrich Schreiber widmet ihr in seiner monumentalen „Geschichte des Musiktheaters“ ganze vier Seiten. Bei der Uraufführung 1962 dirigierte immerhin Wolfgang Sawallisch. Man muß der Oper Frankfurt dankbar dafür sein, dieses Werk dem Vergessen entrissen zu haben und es nun in einer geradezu exemplarischen Produktion zu präsentieren.
Michael Demel, 3. April 2024
In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa
Wolfgang Fortner
Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot
Premiere am 22. März 2024 (hier geht es zur Premierenkritik)
Besuchte Vorstellung: 27. März 2024
Regie: Dorothea Kirschbaum
Musikalische Leitung: Takeshi Moriuchi
Frankfurter Opern- und Museumsorchester