Den Opernfreunden im Rhein-Ruhr-Gebiet wird der meistenteils im Schauspiel arbeitende Regisseur Jan Philipp Gloger für seinen überaus gelungenen Barbier vor einigen Jahren in Essen ein Begriff sein, überregional machte sich der Regisseur einen Namen mit seiner Produktion des Holländers in Bayreuth. Nun setzt er sich in Köln mit Verdis Un ballo in maschera auseinander und kündigt an den Blick „hinter die Masken“ zu werfen und sich mit „sozialen Rollenspielen“ zu befassen. Nun, das klingt spannend, klingt nach einer heutigen Deutung, was aber tatsächlich auf der Bühne passiert, ist ein weitestgehend konventioneller Zugriff auf das Stück, der gerade auch den Freunden historisierender Sehgewohnheiten entgegenkommt, denn Gloger bewegt sich in einem nicht näher definierten geschichtlichen Umfeld, lässt sich von Bühnenbildner Ben Baur einen prachtvollen und sehenswerten Palast auf die Bühne bauen und von Sibylle Wallum ein höchst opulentes Kostümbild entwerfen, das von den Belanglosigkeiten der Regie immer wieder ablenkt. Gloger zeigt uns eine feierwütige und selbstverliebte Machtclique, die sich mit Büsten und Statuen selbst bejubelt und die eigene Großartigkeit vor Augen führt. Da knallen die Sektkorken, da rauschen die Ballkleider, und über die einfachen Menschen wird sich schnell lustig gemacht. Das funktioniert an vielen Stellen gut, gleichwohl es keine wirklich neue Erkenntnis ist, und bringt neben der Eifersuchtsgeschichte auch den politischen Handlungsstrang des Stückes ein bisschen nach vorne – aber eben auch nur ein bisschen. Somit entsteht schnell ein „oben“ und „unten“, dazu ein wenig Klassenkampf, und da erscheint es logisch, wenn die übergroße Statue Riccardos nach seinem Tod auch direkt vom Sockel geholt wird. Ja, so ist das: Heute wird der König noch bejubelt und morgen eben nicht mehr. Eine sicherlich nicht falsche Sichtweise, aber die große Analyse ist das wahrlich nicht.
Problematisch wird bei einem Einheitsbühnenbild allerdings der Gang zu Ulrica, die – weniger Hexe, denn gemütliche Gewerkschaftsmutti – mit dem eine rote Fahne schwenkenden Pöbel kurzerhand in den Palast eindringt, in dem man eben noch beschlossen hatte, zu Ulrica zu gehen. So mutet es auch merkwürdig an, dass die feiernde Gesellschaft wohl nur schnell eine Runde um den Palast gedreht hat, um dann zu wissen, dass Ulrica jetzt da ist, wo man gerade losgezogen ist – pardon, das funktioniert einfach nicht. Dies ist aber sicherlich die größte Schwachstelle des Abends, denn sonst weiß Gloger größtenteils mit Handlung und Musik gut umzugehen. Immer wieder greift er musikalische Akzente auf und setzt sie in Handlungsmomente um, führt die Soli der Handlung ansprechend über die Bühne, wobei sich auch hier viele Griffe in die „Kiste der großen Operngesten“ offenbaren, die eine immer wieder spürbare Statik noch unterstreichen, letztlich aber bleibt er nah am Stück.
Auf der musikalischen Seite ist der Abend durch die Bank weg solide besetzt. Gaston Rivero als Ricardo weiß eben, wie man Verdi singen muss, er verfügt über ein in allen Dynamiken ausgewogenes Stimmbild, das zarte Piani exzellent setzt und in den Höhen mit Strahlkraft überzeugt. Simone del Savio gelingt sein Rollendebüt als Renato vortrefflich. Sein Bariton hat einen wirklich wunderbaren Klang, ist für den von Eifersucht getriebenen Mann fast schon zu warm und weich, aber letztlich überzeugt sein Rollenporträt. Auch Astrik Khanamiryan gibt ihr Rollendebüt als Amelia. Ihr großes Vibrato vermag gerade in den leisen Passagen wenig zu begeistern, wobei man ihr, wenn sie dann eben etwas mehr im Forte gefragt ist, durchaus gerne zuhört, denn die Stimme klingt schön und entfaltet ihre Dramatik in den Arien. Szenisch flüchtet sich die Sängerin immer wieder in Gesten, die man als Opernsängerin vielleicht eben so macht, wenn die Regie wenig mit einem anzufangen weiß. Das wirkt oft gekünstelt und wenig überzeugend. Agostina Smimmero ist als Ulrica eine echte Wucht – was für eine lodernde Tiefe, was für eine Stimme! Von der Regie leider ein bisschen harmlos und liebenswert gezeichnet, hat die Sängerin alles, um das Dämonische ihrer Figur zum Lodern zu bringen, schraubt sich mit einer beachtlichen Selbstverständlichkeit auch noch zu den tiefsten Tönen ihrer Partie, dass es eine wahre Freude ist. Nicht minder beachtlich ist der Oscar von Hila Fahima. Quirlig, leicht und mit großer Akkuratesse wuselt sie durch die Szene, zieht die Strippen, wo sie zu ziehen sind, und überzeugt mit großer Präsenz und Spielfreude. Lucas Singer als Tom und Christoph Seidl als Samuel sind ein finsteres Verschwörer-Duo. Die kleinen Partien sind mit Wolfgang Stefan Schwaiger als Silvano, Michael Terada als Richter und Zenon Iwan als Diener Amelias bestens besetzt.
Der von Rustan Samedov einstudierte Chor singt wie immer exakt und mit einem wunderbaren homogenen Klangbild, enttäuscht dieses Mal aber wegen mangelnder Spielfreude. Viel Herumgestehe, fast Teilnahmslosigkeit am Geschehen lenken den Fokus auf die Musik, bringen der Dramatik auf der Bühne aber wenig. In der finalen Ballszene kaschieren sechs wilde Harlekine mit einer kleinen Tanzeinlage (Choreografie: Nwarin Gad) diese Problematik. Mit Guliano Carella steht ein ausgewiesener Verdi-Experte am Pult des Gürzenich-Orchesters und liefert ein Dirigat, dass einen ambivalenten Eindruck hinterlässt. Carella entlockt dem Orchester einen weichen und wohlklingenden Sound, vermag in den großen Tableaus Dramatik zu entfalten und immer wieder die Glut in der Musik anzufachen. Gerade im ersten Teil des Abends kommt es aber doch zum ein oder anderen Wackler zwischen Bühne und Orchester, fehlt es manchmal am nötigen Zug durch eher bedächtig gewählte Tempi. Da wünscht man sich als Zuschauer und Zuhörer einen etwas beherzteren Zugriff und schlichtweg mehr Schwung. Dafür geht Carella im dritten Akt um so flotter in die Musik, gerade beim Verschwörer-Terzett wird dies besonders auffällig, und vermag insgesamt im zweiten Teil des Abends das Orchester doch noch mehr zu fordern. So nimmt der Abend deutlich mehr Fahrt auf.
Zusammenfassend ist dieser Abend eine solide Opernproduktion, die ihre Stärken und ihre Schwächen hat. Die Regie bleibt leider hinter den Erwartungen und dem eigenen Konzept zurück, was den Fluss des Abends durch eine große Werktreue aber wenig stört. Ein bisschen mehr Lebendigkeit, ein bisschen mehr Dynamik hätte man sich auf der Bühne sicherlich gewünscht. Absolut bemerkenswert ist die opulente Ausstattung, die ein echter Hingucker ist und die Tristesse des Staatenhauses vergessen macht. Auf musikalischer Seite hat der Abend ein paar kleine Schönheitsfehler, die aber vielleicht in einer der folgenden Vorstellung noch beseitigt werden und bei denen man auch nicht außer Acht lassen darf, dass der Abend im deutlich überwiegenden Teil musikalisch tadellos über die Bühne geht.
Sebastian Jacobs, 16. April 2024
Un ballo in maschera
Giuseppe Verdi
Oper Köln
Premiere: 14. April 2024
Inszenierung: Jan Philipp Gloger
Musikalische Leitung: Giuliano Carella
Gürzenich-Orchester Köln