“Wir sind der Sound der Gesellschaft“ – mit diesem flotten und selbstbewußten Motto charakterisiert sich das Ensemble Bridges auf seinem Internetauftritt. Wenn man unter „Gesellschaft“ das bunte und konstruktive Miteinander von Kulturen, Strömungen, Gruppen und Individuen versteht, dann trifft das auf diese Musikerinnen und Musiker bzw. auf das, wofür sie stehen, im besten Sinne zu. Blickt man aber noch eine Ebene tiefer, nämlich in die der Geschichte Venedigs, der Motto-Stadt des SHMF 2024, dann ergeben sich noch weitere Dimensionen. Venedig steht für kulturellen Austausch und eine wirtschaftliche Vernetzung, die den Mittelmeerraum mit dem fernen China verband. Hätte Hannibal über Rom gesiegt, dann hätte womöglich kein militärisch geprägtes Imperium Romanum die mediterranen Kulturen geformt, sondern eine auf Handel basierende karthagische Wirtschaftsgemeinschaft.
„Was wäre geschehen, wenn“-Träume sind zwar reizvoll, aber entsprechen leider nicht den historischen Entwicklungen. Umso wundervoller ist es, ein Orchester zu erleben, das in einem harmonischen Miteinander auf vollendete Weise Menschen, Kulturen, Länder und Zeiten mit Musik verbindet.
„Bridges“, also „Brücken“ ist der Name des transkulturellen Kammerorchesters, das sich unter der Leitung der italienisch-türkischen Dirigentin Nil Venditti am 26. August 2024 im Großen Saal der Hamburger Elbphilharmonie von den ersten Takten an die Herzen des gesamten Publikums eroberte und im übrigen sein fünfjähriges Bestehen feierte. Die Dirigentin und einige der Ensemblemitglieder moderierten den Abend und erläuterten humorvoll die Stücke.
Das Orchester besteht aus 25 Musikern aus nicht weniger als 15 Nationen; es gibt keinen Klangkörper, der mehr Musikstile und Herkunftsregionen der Instrumente in sich vereint. Alle spielen virtuos auf orientalischen, asiatischen und europäischen Instrumenten, und bis auf wenige Ausnahmen erklingen ausschließlich eigene Kompositionen aus den Reihen des Orchesters.
Aus dieser Diversität, ja klangbunten Vielfalt entströmt Lebensfreude, Liebe zu den unterschiedlichsten Äußerungen der Tonkunst und vor allem das Bekenntnis zur Möglichkeit einer harmonischen Einheit der Kulturen. Das Goethe-Zitat aus seinem West-östlichen Divan, nämlich „Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen“, ist in den letzten Jahren mehr als einmal bemüht worden, aber gerade in der Erkenntnis, daß nur der Dialog eine friedliche Zukunft gewährleistet, bleibt es tagesaktuell.
Wie das musikalisch gelingen kann, bewies gleich das erste Stück von Hassan Skaf, Samai Bayat, in der Bearbeitung des ersten Geigers Walid Khatba, das mit Farbenreichtum und Temperament mitreißend in die orientalische Klangwelt entführte. Entsprechendes Lokalkolorit zauberten die Oud (also die Vorfahrin unserer Laute) und die Langhalslaute Tar.
Wer „Venedig“ sagt, darf sich „Vivaldi“ nicht sparen, und so geriet eine Bearbeitung seiner Follia-Triosonate d-Moll (op. 1 Nr. 12 RV 63) in der Fassung der Flötistin und künstlerischen Leiterin Johanna-Leonore Dahlhoff gleichermaßen zu einer Liebeserklärung an den großen Komponisten wie auch zum Beweis der Wandlungsfähigkeit des orchestralen Ausdrucks, über den diese Musiker verfügen. Das berühmte Thema wurde wie in einem klingenden Staffellauf weitergereicht und die Spielfreude übertrug sich unmittelbar auf das begeisterte und tatsächlich hochaufmerksame Publikum – der Beifall nach den einzelnen Stücken war am gesamten Abend bemerkenswert langanhaltend; viele wären sicher immer wieder aufgesprungen, um zu den Stücken zu tanzen. Das lag auch an der Dirigentin Nil Venditti, die ihre Begeisterung oft tänzerisch und höchst lebhaft auf die Musiker übertrug – ihr Lächeln steckte an, dabei waren ihre Einsätze in der hochkomplexen Musik stets exakt und von schwungvoller Energie.
Istanbul des Cellisten Gabriel Mientka ist ein Stück, das – Orient-Klischees sind diesmal willkommen – all die Düfte der Gewürze, die Farben, das Sonnenlicht und den Trubel der Metropole „Byzanz-Konstantinopel-Istanbul“ vermittelt. Das Saxophon überraschte mit modernen Tönen, Flamenco-Anklänge wiesen nach Westen und alle gemeinsam zelebrierten ein Fest des Lebens!
Andrés Rosales spielt die Kastenhalslaute Tiple und die E-Gitarre; von ihm erklang Recuentos, also Erzählungen, ein Stück, das einen völlig anderen Kulturkreis beleuchtete, nämlich das nördliche Südamerika. Die Merengue-Musik Venezuelas ging direkt ins Blut und bestach durch synkopenreiche Spannungen.
Nach der Pause flatterten in Rombeaux les Schmetterlinges (ja, das Stück heißt wirklich so!) aus der Feder von Peter Klohmann musikalische Fluginsekten mit schillernden Flügeln quicklebendig und mit Dissonanzen spielend durch den Saal. Schmettern durfte allerdings auch das Horn, was den Titel humorig aufbrach.
I am from nowhere klingt schon melancholisch und in der Tat thematisiert das Stück von Atefeh Einali die Heimatlosigkeit und Suche nach der Zugehörigkeit. Die Musikerin spielt den unserem Psalterium verwandten Santur und gibt in ihrer Komposition die Antwort auf die Frage nach dem „wohin mit mir“, denn die Heimat ist die Musik. Aus einem spröden, fast ruppigen Duktus erwuchs rasant ein trotziges „da bin ich!“.
Wiederum von Walid Khatba stammt das sternglitzernde Glanz des Himmels mit Flöten wie schwebende Vögel und sehnsüchtiger Harfe; jazzige Rhythmen durchbrachen lebhaft die Szene und eine phantastische Perkussion brachte Himmel und Erde rhythmisch zusammen. Geigen- und Flöten-Dialoge wirkten wie angeregte Gespräche.
Ambivalencia ist ein Werk von Johanna-Leonore Dahlhoff und greift ein griechisches Volkslied-Thema auf. Das Kanun machte die Nähe zum Orient greifbar, eingängige und widerspenstige Passagen wirkten spannungsreich als Antipoden.
Das bewußt als „offizielles Ende des Abends“ vorgestellte Constantinople von Gabriel Mientka sollte eigentlich eine nostalgische Phantasie über einen Ort, den es so nicht mehr gibt, sein, aber die moderne Klangsprache mit Saxophon, E-Gitarre und Jazz-Elementen vereinigte Vergangenheit und Gegenwart in reizvoller Art.
Abgesehen von den üblichen Ungeduldigen hatte niemand vor, nach diesem Stück den Saal zu verlassen und man hätte gar nicht sagen können, wer mehr Spaß an den drei Zugaben hatte – das entfesselte Publikum oder die sympathischen Musiker unter ihrer zupackenden, temperamentvollen Dirigentin.
Ein Abend voll klingender Energie, tönender Zuversicht und der Freude am Leben mit verbindender Musik!
Andreas Ströbl, 27. Augst 2024
„Von der Seidenstraße über Venedig nach Konstantinopel“
Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals
Hamburg: Großer Saal der Ebphilharmonie,
26. August 2024
Musikalische Leitung: Nil Venditti
Bridges-Kammerorchester