Einen spektakulären Konzertabend mit zwei musikalischen Schwergewichten der russischen Musikliteratur präsentierte die Frankfurter Museumsgesellschaft in ihrem aktuellen Konzert. Sergej Rachmaninow komponierte mit seinem dritten Klavierkonzert ein komplexes Werk mit schwierigsten Anforderungen an den Pianisten. Mit leichten Oktaven im wogenden Kantabile am Beginn ist davon noch nichts zu erahnen. Die prägnante Melodie erinnert an russische Volksmusik, war aber eine spontane Eingebung des Komponisten. Im Adagio des zweiten Satzes entsteht ein großer Raum der inneren Sammlung, in welchem Themen aus dem ersten Satz aufgegriffen und verarbeitet werden. Nahtlos ist der Übergang dann in den höchst virtuosen Schluss-Satz, welcher in einer furiosen Stretta endet.
Solistin des Abends war Anna Vinnitskaya. Preisträgerin zahlloser großer Wettbewerbe, internationale Gastspiele bei den großen Orchestern der Welt und seit 2009 Professorin für Klavier an der Musikhochschule Hamburg kennzeichnen Ihr vielfältiges Wirken. Mit großer Gelassenheit und höchster Aufmerksamkeit begegnete Anna Vinnitskaya diesem Konzert. In verblüffender Natürlichkeit und klarster Phrasierung war ihr Spiel hinreißend zu erleben. Was Vinnitskaya bot, war pianistische Verzauberung auf höchstem Niveau! Technisch perfekt, hoch sensibel im Anschlag und kraftvoll in beiden Händen, wenn es notwendig war. In fließendem Tempo gelang ihr zudem eine besondere Wirkung, wie sie bei diesem Konzert kaum zu erleben ist. Von der ersten bis zur letzten Note spannte sie einen großen Bogen, unter dem sie ihre musikalische Erzählung vortrug. Das war so spannend und unwiderstehlich in seinem Effekt. Nichts zerfiel, alle Abschnitte waren in einem sich permanent entwickelnden Vortrag verbunden.
Davon profitierte der besonders schön ausgesungene langsame Satz, herrlich ausgewogen in Dynamik und Tempo vorgetragen. Groß dann der Kontrast in dem gewaltigen Finale. Als wäre es eine Kleinigkeit entzündete Anna Vinnitskaya am Flügel ein pianistisches Feuerwerk, dass es in sich hatte. Furiose Läufe, rasante Akkordfolgen und nie endende, ausdauernde Kraft im festen Zugriff der fordernden Klangkaskaden. Und auch hier war ihre fortwährende kindliche Freude über das Tastenfeuerwerk zu bestaunen. Was für eine Meisterin und Künstlerin!
Sebastian Weigle zeigte sich hörbar mitgerissen und begleitete Vinnitskaya mit großem Respekt. In schlanker symphonischer Gestalt begegneten sich Pianistin und Dirigent. Weigle entschied sich für eine strenge Partiturauslegung. Kein Zucker oder rubatoseliges Sentiment, sondern Transparenz und rhythmische Prägnanz. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester schenkte dazu den passenden Rahmen. Herrlich satte Streicher und feine Bläserfarben sorgten für noble orchestrale Brillanz. Etwas zu zurückhaltend das Schlagzeug.
Frenetischer Jubel umgab die sympathische, große Könnerin. Und mit höchster Sensibilität trug sie eine verzaubernde Zugabe vor: Rachmaninow – Études-Tableaux Nr. 2 Op. 33.
Im zweiten Teil des Konzertes gab es dann die Begegnung mit einem seltenen Meisterwerk der Sinfonik. Die „Manfred-Sinfonie“ von Tschaikowsky geht auf eine dramatische Dichtung von Lord Byron zurück und erlebte 1886 ihre Uraufführung. Ein programmatisches Werk, das ursprünglich auch Hector Berlioz vertonen wollte, doch gesundheitsbedingt kam es dazu nicht. Auch Tschaikowsky war sich zunächst unschlüssig, da er die Manfred Ouvertüre von Robert Schumann so sehr schätzte. In einer großen Anstrengung schrieb er schlussendlich seine Manfred Version, zunächst sehr begeistert vom Ergebnis und dann doch auch wieder diesem ablehnend zu begegnen.
In vier packenden Sätzen wird das Leben Manfreds musikalisch nachgezeichnet. Im ersten Satz irrt Manfred durch die Alpen, um im zweiten Satz in einem Wasserfall der Alpenfee zu begegnen. In einem ruhigen Pastorale trifft Manfred auf die friedlichen Bergbewohner, um sich dann im vierten Satz in einem wilden Bacchanal im unterirdischen Palast des Arimans gänzlich zu verlieren. Manfred stirbt.
Die Partitur ist für jedes Orchester eine gewaltige spieltechnische Herausforderung, vor allem die Streicher sind permanent sehr gefordert. Der Farbreichtum macht diese bildhafte Musik zu einem orchestralen Spektakel. Anklänge an Schwanensee lassen grüßen, Pathos, Weltschmerz und große Momente der Anmut verleihen diesem Werk einen ganz besonderen Reiz.
Sebastian Weigle hat hörbar eine große Affinität zur russischen Musik und führte bereits mehrere Sinfonien Tschaikowskys im Rahmen der Museumskonzerte auf. Episch in der Anlage und vollmundig im Klang erzählte Weigle Manfreds Lebensgeschichte in schillernden Farben. In natürlichen Tempi bei sorgfältiger Dynamik lotete er jedes Detail aus, legte Strukturen offen und hatte Freude, die Verästelungen bis in die Nebenstimmen hörbar zu machen. Wie ein Klangregisseur entwickelte er die vier Sätze. Neben den gewaltigen Orchesterausbrüchen sorgte er für wunderbare Ruhepunkte in den Mittelsätzen. Hoch virtuos gestaltete er die permanenten Wellenbewegungen in den Streichern und Holzbläsern im zweiten Satz. Und die Holzbläser sorgten mit ihrem herrlichen Tuttigesang der Bergbewohner für warme Kantabilität.
Im letzten Satz wartete Weigle mit einer Überraschung auf. Eine Frankfurter Erstaufführung! Üblicherweise endet der vierte Satz nach orchestralem Getöse mit einem verklärenden Orgelfinale und einem leisen Ende. So schön dieses Original auch sein mag, es wirkt immer ein wenig künstlich angeheftet. So empfanden es auch große Dirigenten wie Leopold Stokowski und vor allem Evgeni Svetlanov. Diese entschieden sich für einen alternativen Schluss, in welchem die Coda des ersten Satzes mit seinen ein wenig an „Schwanensee“ erinnernden Hornrufen und den wilden Schlagzeugentladungen wiederholt wird. Ein sehr viel effektvollerer und vor allem sinngebender Schluss dieser Sinfonie.
Weigle entschied sich für eben diese Version und fügte, wie seine früheren Kollegen, auch erst am Schluss crescendierende Tamtam-Schläge dazu, so dass diese Stunde mit Manfreds Lebensstationen zu einem spektakulären Abschluss gebracht wurde. Hinzu kam, dass er erst am Schluss des vierten Satzes die Dynamik noch einmal deutlich steigerte. Fabelhaft!
Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester zeigte sich den schweren Anforderungen der Sinfonie bestens gewachsen und begeisterte mit einer CD-reifen Gesamtleistung. Der große Streicherapparat spielte mit bestechender Klangkultur. Die Holzbläser intonierten mit feinsten Nuancen. Diszipliniert und perfekt in der Intonation die große Gruppe der Blechbläser, zu loben ist hier vor allem das Solo-Horn. Einzig die viel geforderten Schlagzeuger, insbesondere die viel zu schwachen Becken (auch in der Coda), waren allzu zurückhaltend. Gerade in der Orgie des vierten Satzes wäre ein vehementeres, risikofreudigeres Spiel der Gruppe wünschenswert gewesen. In der gehörten Form wirkte das Spiel des Schlagzeugs zu brav, da fehlte es deutlich an klanglicher Ausschweifung. Eine Beeinträchtigung, die der Gesamtwirkung glücklicherweise nicht zu viel nahm.
Das Publikum feierte Weigle mit seinem Orchester sehr herzlich.
Dirk Schauß, 15. November 2022
Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 14. November 2022
Sergej Rachmaninow Klavierkonzert Nr. 3 d-Moll op. 30
Piotr Iljitsch Tschaikowsky Sinfonie h-Moll op. 58 „Manfred-Sinfonie„
Musikalische Leitung: Sebastian Weigle
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Solistin: Anna Vinnitskaya (Klavier)