Wien: „Tannhäuser“, Richard Wagner (zweite Besprechung)

Optisch recht gut, szenisch oft fragwürdig

Die Neuinszenierung des „Tannhäuser“ von Richard Wagner in der Regie von Lydia Steier and der Wiener Staatsoper überzeugt zwar durch ein beeindruckendes Bühnenbild, enttäuscht aber durch eine immer wieder schwache und irreführende Regie mit absurden Einfällen. Man erinnerte sich bisweilen an ihre wenig überzeugende Salzburger „Zauberflöte“.

Zu begrüßen ist zunächst einmal, dass das Vorspiel länger vor geschlossenem Vorhang stattfindet und sich erst öffnet, als die Venusberg-Musik erklingt. Denn man hat die Pariser Fassung gewählt, ebenfalls zu begrüßen aufgrund des viel intensiveren 1. Akts und des längeren Dialogs zwischen Venus und Tannhäuser. Das Bacchanal und wie es nach Wagners Regieanweisungen ablaufen sollte, ist viel interessanter als bei den beiden Dresdner Fassungen. Und es könnte, wie Wagner es wollte, sehr viel erotischer sein als das, was wir von Lydia Steier in Wien zu sehen bekommen.

Als der Vorhang hochging, sah man zunächst einmal ein faszinierendes, raumgreifendes Bühnenbild von dem gar nicht unbekannten Momme Hinrichs (auch Videos), etwa wie ein in die Jahre gekommenes spätgründerzeitliches Berliner Berghain. Was darin dann aber stattfand, war alles andere als Erotik. Die Choreografie von Tabatha McFadyen, die auch bei der Regie mitarbeitete, war in etwa das, was man auf gut Deutsch als „Ringelpiez mit Anfassen“ bezeichnen könnte – ein schier endlos langweilig herumzappelndes Ballett, wo jeder jede oder – natürlich – jeden küsst, also wieder einmal der LGBTQI+Philosophie verpflichtet.

© Michael Pöhn

In einer völlig unerotischen Nacktheit des Gewimmels mit vier in der Höhe schwebenden Grazien, aus deren Busen Gold-Glitter wie bei der Siegerehrung eines Champions-League Siegers hervorquillt, wurde das ganze „Bacchanal“ vertan. Es war schlicht zu plakativ und wirkte eher wie ein billiges Las Vegas-Varieté für den Tagestourismus. Dass Venus in einem Halbmond noch relativ sexy von Bühnenplafond mit riesiger Federboa herunterkam, war da noch die geringste szenische Fragwürdigkeit. Warum Tannhäuser sich durch den Besuch dieses Etablissements (so) schuldig gemacht haben soll, dass er im 2. Akt von der Wartburg zur Buße nach Rom verbannt wird, wurde weder klar noch nachvollziehbar. Dramaturgischer Black-out!

Dann ging es mit der Aufmachung und Darstellung des Hirten, der in der Oberbühne schwebte, abrupt ins Mittelalter. Die Ritter traten vor einer dunklen geschlossenen Wand bei etwa drei Metern Bühnentiefe auf, recht einfallslos. Auch hier gab es wieder ein paar banale und deshalb entbehrliche Regieeinfälle, die Steier da scheinbar anbringen musste und die wie manche andere weder angebracht waren noch sinnvoll erschienen. Vor allem brachten sie überhaupt keinen Erkenntnisgewinn. Biterolf pinkelt mal eben an diese Wand, und am Ende des Akts wird noch ein lächerliches Gruppenfoto der Ritter mit einer nicht in Stellung zu bringenden alten Kamera gemacht. Albernes Feixen aller bis auf Tannhäuser und Wolfram, und der Akt findet regiemäßig ein so unerquickliches Ende, wie er begonnen hat.

Im 2. Akt ist wieder ein sehr phantasievolles Bühnenbild mit drei gestaffelten Spielebenen zu sehen in einer Dreieckswand, somit akustisch enorm günstig für die Sänger. Die Gäste können also wirkungsvoll auf diesen drei Ebenen Platz nehmen. Wenn zu Beginn nur die Kellner nicht mit dem Zurechtzupfen der Tischtücher und dem Rücken von Stühlen beschäftigt gewesen wären, also wieder Banalitäten zu erleben waren, die den großen Fluss empfindlich störten – ja stören sollten?! Auch waren hier interessante Nebenszenen zu sehen. Bei der sängerischen Referenz Tannhäusers an die Liebe, nach seiner Lesart tauchten im Halbdunkel die bunten Grazien aus dem Venusberg auf, die von niemandem außer wohl nur von ihm bemerkt wurden. Dieser Surrealismus tat der die Wartburg-Gesellschaft natürlich bürgerlich steif zeigenden Szene recht gut.

© Michael Pöhn

Dann aber kommen die Ritter in parodistisch anmutenden mittelalterlichen Kostümen, für die Alfred Mayerhofer verantwortlich war, zum Wettstreit über die Liebe. Wenn man die  Dramaturgie Lydia Steiers genauer betrachtet, kann man für diese absurd anmutende Kostümierung sogar ein Motiv finden. Vielleicht wollte sie damit zeigen, dass ihre gesangliche Darstellung der Liebe völlig antiquiert und also mittelalterlich verklemmt ist, zumal der erste, der sich die auch noch blonde Perücke vom Kopf reißt, Tannhäuser ist, als er Wolfram widerspricht. Nach und nach entledigen sich dann alle dieser Kostüme und werden wieder „normale“ Menschen. Dennoch wirkte der rückwärtsgewandte Kostümsprung recht befremdlich, um es diplomatisch zu sagen…

Im 3. Akt ist es dann im durchaus meist passenden Licht von Elana Siberski sehr dunkel und trist und damit der allgemeinen Stimmung dieser Oper entsprechend. Das Bühnenbild wirkt wie die Rückseite der Bühne des 2. Akts, alles Schwarz in Schwarz. Und dann leider wieder ein szenischer Einfall, der keinen Sinn machte und aus der bisherigen Handlung nicht zu erklären war. Bereits vor der Romerzählung taucht Tannhäuser bei Wolfram auf und nähert sich ihm mit homosexueller Zärtlichkeit, die an in dieser Inszenierung eher mit Wolfram in Verbindung zu bringen wäre.

Danach kommt Tannhäuser schließlich in der Kutte der klassischen Pilger aus Rom und singt seine Romerzählung. Obwohl Elisabeth Wolfram noch einen flammenden Kuss vor ihrem Abgang gibt, was ebenfalls kaum Sinn machte, wurde sie durchaus eindrucksvoll wieder als Leiche hereingetragen. Statt des ergrünenden Hirtenstabes des Papstes kommt dann nochmal der ganze Wald aus dem 1. Akt als Symbol für Tannhäusers Freisprechung von seiner (vermeintlichen) Schuld. Das war in seiner Wirkung durchaus einnehmend bis mitreißend, zumal bei dem nicht nur hier herrlich singenden Chor, Extrachor und Chorakademie der Wiener Staatsoper unter der Leitung von Thomas Lang.

Clay Hilley gab als Tannhäuser sicher sein Äußerstes, sang aber mit zu viel Kraft, wobei er zwar alle Spitzentöne erreichte, aber eine gewisse Anstrengung in der vokalen Gestaltung der so fordernden Partie merkbar war. In der Höhe wird sein Tenor auch recht metallisch und verliert an Breite und Klang. Darstellerisch machte er seine Sache den Regieanweisungen entsprechend gut. Malin Byström ist für meine Begriffe nicht die ideale Elisabeth. Sie sieht hervorragend aus, wirkt aristokratisch. Die Stimme ist aber etwas bedeckt, ja ihr fehlt das mädchenhaft begeisternde Aufblühen, was man von den klassischen Elisabeths gut kennt, zumal in der „teuren Halle“. Ekaterina Gubanova sang und spielte eine sehr gute Venus, wenn auch in den Höhen im 1. Akts einige schrille Töne zu vernehmen waren.

Sehr gut war Martin Gantner als Wolfram von Eschenbach mit liedhaftem Ausdruck und sehr lyrischer Tongebung. Günther Groissböck gab einen exzellenten und souveränen Landgraf Hermann mit seinem facettenrechen Bass. Auch die weiteren Ritter sagen auf hohem Niveau, so Daniel Jenz als Walther von der Vogelweide, Simon Neal als Biterolf, Lukas Schmidt als Heinrich der Schreiber und Marcus Pelz als Reinmar von Zweter. Ilia Staple sang den jungen Hirten glockenrein aus der Höhe.

Musikdirektor Philippe Jordan brachte mit dem Wiener Staatsopernorchester eine erstklassige und durchaus festspielreife Leistung mit einem schon eindrucksvollen, vielschichtigen Vorspiel, großartig aufgebauten Steigerungen und einer sehr guten Herausarbeitung sowohl der dynamischen wie auch der subtileren Momente. Dabei hielt er immer engsten Kontakt mit den Sängern. Manch einer im Wien wird noch mit Wehmut an Jordan zurückdenken, wenn er das Haus am Ring verlassen haben wird.

Klaus Billand, 22. Juni 2025


Tannhäuser
Richard Wagner

Wiener Staatsoper

Besuchte Aufführung am 29. Mai 2025
Premiere 22. Mai 2025

Inszenierung: Lydia Steier
Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Orchester der Wiener Staatsoper