Zürich: „Verabschiedungs-Festkonzert“ für Andreas Homoki

Der letzte Abend der Saison, der letzte Abend der Ära Homoki, Zeit für Reflexion über und Zeit für Dankbarkeit für 13 Jahre spannendes, ergreifendes und relevantes Musiktheater. Wie sagte doch einst einer der Vorgänger im Amt als Intendant in Zürich, Claus Helmut Drese, sinngemäß? „Theater darf nie in Konventionen erstarren, es muss jeden Abend bewegen, aufrütteln, und auch provozieren. Nur dann hat es seine Berechtigung.“ Andreas Homoki setzte dies mit seinen eigenen Regiearbeiten, aber auch mit der Wahl der Gastregisseure eindrücklich um. Langweiliges Mittelmaß war es nie; er und sein exzellentes Team in der Dramaturgie, in den Werkstätten, in der Opern- und der Ballettdirektion haben wahrlich Großes geleistet.

Dies würdigten an diesem letzten Abend auch die Rednerin und die beiden Redner, welche alle drei prägnante Laudationen hielten. Den Anfang machte Markus Notter als Präsident des Verwaltungsrates (ja, das Opernhaus Zürich ist eine Aktiengesellschaft). Er berichtete humorvoll aus der Zeit der Findungskommission, welche eine Nachfolge für Alexander Pereira finden musste. Jacqueline Fehr, amtierende Regierungsrätin des Kantons Zürich (mit über 88 Millionen Franken pro Jahr der größte Geldgeber des Opernhauses), stellte ihre Würdigung unter den Titel „Hadern statt Handeln“ und hob dabei die besonderen Verdienste hervor, welche sich das Opernhaus in der schwierigen Zeit der Corona-Pandemie erworben hatte. Weiter ging sie auf das humanistische Weltbild von Andreas Homoki ein, daß sie (als Mitglied der SP) als echt sozialdemokratisch bezeichnete, ihn als Menschenfreund würdigte.

Der langjährige Wegbegleiter Andreas Homokis, der Regisseur Barrie Kosky (der Homoki 2012 als Nachfolger an der Komischen Oper Berlin folgte) beschrieb seinen eigenen Werdegang, dankte Homoki für die langjährige Freundschaft und das Vertrauen, das ihm, dem „jüdischen Känguru“, (wie er sich selbst humorvoll bezeichnete) Andreas Homoki in Berlin und in Zürich entgegengebracht hatte. Er attestierte Homoki all die Attribute, welche für einen Direktor eines Theaters notwendig sind, damit der Direktor für alle am Haus „Mama und Papa“ sein könne: u.a. Humor, Loyalität, Mut, Vision, Freude, Intelligenz, Herzlichkeit, Handwerk, Knochenarbeit, Führungsstärke, gutes Essen, guter Wein, kritisches Denken, Authentizität, Anti-Snobismus, Charme, Empathie, Sympathie, gewinnendes Lächeln! Homoki habe unentwegt an die Kunstform Oper geglaubt, für sie gebrannt. Man hatte viel zu schmunzeln während dieser Laudatio – und doch die eine oder andere Träne zuzulassen.

Andreas Homoki selbst nahm ganz am Ende, nachdem die Passacaglia der vierten Sinfonie von Brahms mit wuchtigen Akkorden geendet hatte, das Mikrofon in die Hand. Zuerst galt es mehrere Mitglieder des Orchesters und eine Mitarbeiterin des Saal-Einlasses, die in ihrer jahrelangen Dienstzeit wahrscheinlich mehrere Direktoren erlebt hatte, in den Ruhestand zu verabschieden. Anschließend bedankte er sich zuerst bei der Rednerin und den Rednern des Abends, Reden, die ihn sehr gerührt hätten. Es folgte der Dank an seine Frau und den Sohn. Gewürdigt wurden all seine MitarbeiterInnen, die Enormes geleistet hätten. Ganz am Ende bedankte er sich auch beim Zürcher Publikum, das seine Arbeit mit Offenheit, Neugier, Respekt und Interesse begleitet habe und – entgegen dem zwinglianischen Ruf – auch mit Leidenschaft! „Ich danke euch für diese schöne Zeit – und tschüss!“ waren seine letzten Worte als Intendant, worauf sich dieses Publikum spontan zu einem verdienten langanhaltenden Beifall erhob. 

© Admill Kuyler

Natürlich gab es auch Musik an diesem Abend: Die Philharmonia Zürich (im September wird das Orchester dann wieder seinen alten Namen zurückerhalten und Orchester der Oper Zürich heißen) spielte unter dem Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda zu Beginn die furios dargebotene Ouvertüre zu Wagners Oper Holländer. Noseda stürzte sich mit Haut und Haar in diese von der Nordsee inspirierten Sturmfluten, mit solcher Vehemenz, dass sein Taktstock durch die Luft sauste und mitten in den zweiten Geigen landete. Doch auch ohne Taktstock führte er das Stück mit dem sanft schimmernden Erlösungsmotiv am Ende in den sicheren Hafen. (Das Werk war übrigens am 9. Dezember 2012 die erste Regiearbeit Homokis am Zürcher Opernhaus gewesen, mit Alain Altinoglu am Pult und Sir Bryn Terfel in der Titelrolle). Nach den Reden folgte die Uraufführung von Stefan Wirths grandiosem Stück „Trypophobia for large Orchestra“. Von diesem jungen Schweizer Komponisten war 2022 am Opernhaus Zürich dessen Oper Girl with a pearl earring erfolgreich uraufgeführt worden. „Trypophobia“ bezeichnet Angstzustände vor sich wiederholenden, Mustern aus Löchern oder Blasen werfenden Erhebungen. Und tatsächlich, Wirth schafft es in seiner Komposition furchterregend Klangmalereien zu heraufzubeschwören, man fühlt sich regelrecht hineingeworfen ins große Blubbern mit Eruptionen von schleimiger, ekelhafter Masse. Das ist hochspannende Horror-Thriller-Musik der Extraklasse, faszinierend, ein wohliges Schauern auslösend und abstoßend zugleich. Reißerische Klangmagie vom Feinsten. Kaum reflektive Passagen, alles wirkt gefährlich, mit aus dem Nichts aufsteigenden Klangballungen, Glissandi und Peitschenschlägen Die Philharmonia Zürich zeigte unter Gianandrea Nosedas erneut zupackender und stets die Übersicht bewahrenden Leitung ihre enorme stilistische Vielseitigkeit, die sie über die letzten Jahre erlangt hatte.

Nach dem bedrohlichen ersten Teil hört man zuerst bloß einige scheinbar wahllos gezupfte Seiten, ganz ruhig, man ist sich nicht sicher, ob ein Instrument gestimmt wird, oder ob das schon komponierte Musik ist. Vogelgezwitscher wird eingespielt, eine Wohlfühlatmosphäre scheint sich breit zu machen, wie in einer Wellness-Oase. Aber darunter ist schon bald wieder das Blubbern der Lava zu vernehmen, das Inferno bricht sich mit eruptiver Gewalt Bahn. Das ist Musik, die man sich gerne mehrmals anhören möchte, da gäbe es sicher noch manches zu entdecken. Am Ende jedes der beiden Sätze verliert sich die Musik in unheimlicher Weise in die Unhörbarkeit – wie in die bedrohliche Stille im Auge des Orkans. Gruselig und doch schön! Es gab zu Recht viel verdienten Applaus für den jungen Komponisten!

Nach der Pause dann Brahms vierte Sinfonie. Wunderschön gerät der Philharmonia Zürich die wiegende Einleitung der Streicher, welche von Holzbläsergirlanden sehr schön umspielt wird. Die auf gewichtige Akzente setzende Interpretation Nosedas erlaubt keinen warmen, einlullenden Brahms. Da ist von Beginn weg ein dramatischer Kampf hörbar, eine glutvolle Intensität, sehr effektvoll – vielleicht etwas zu hart. Das Andante schleppt in keinem Moment, klingt ruhig und friedlich. Sehr schön wird das leichte Eindunkeln des Klangs herausgearbeitet, das Aufbäumen und der versöhnliche Schluss dieses zweiten Satzes. Lebhaft und klar akzentuiert wird im dritten Satz musiziert, klare Konturen gesetzt, allerdings mit einer gewissen Schärfe. Das setzt sich im Finalsatz weiter durch, der erklingt streckenweise etwas gar stampfend, erhält zu viel an ermüdender Dramatik auferlegt, für meine Begriffe „zu opernhaft“, manchmal meint man Schmerzensschreie zu hören. Diese Passacaglia wirkt für mich zu ungestüm, zu roh im Klang. Aber: Die Interpretation hat etwas zu sagen, zu erzählen – genau wie die Premieren der vergangenen dreizehn Jahre am Opernhaus Zürich. Kein Wischiwaschi, keine abgehobene Träumerei, keine verkopften Gedankenverschlingungen, aber auch nicht künstlich weichgespült. 

Danke schön! Es waren dreizehn gute Jahre, gut für das Haus und sehr gut für uns, das Publikum!

Kaspar Sannemann, 15. Juli 2025


Festkonzert
Zum endgültigen Abschied von Andreas Homoki

Opernhaus Zürich

13. Juli 2025

Dirigat: Gianandrea Noseda
Philharmonia Zürich