Meiningen: „Der Freischütz“, Carl Maria von Weber


© Christina Iberl

Als zu Beginn der Premiere der Intendant mit drei Männern im Gefolge die Bühne betritt, kann es sich nicht um eine Hiobsbotschaft handeln, die hätte er auch alleine verkünden können. Stattdessen folgten Lobeshymnen auf die Meininger Hofkapelle, die von der Opernwelt zum Orchester des Jahres gekürt wurde. Auch die Ausgrabung des Jahres, The Wreckers von Ethel Smythe, erreichte die Bestnote.

Inszeniert ein Regisseur an so einem Haus, traut er sich etwas, auch wenn er sich eines Topensembles und eines brillanten Chors sicher sein kann. Die Latte hängt hoch, das Publikum ist offen und gutmütig, aber nicht unkritisch.

Mit der Musik könnte man kaum etwas verkehrt machen. Die Oper ist nicht arienlastig und die Elemente der Romantik, Emotionen und Naturbilder, Düsteres, Unheimliches oder pure Lebensfreude lassen das Werk auch als Einsteigermodell für Opernanfänger gelten.

Inhaltlich orientiert sich Philipp M. Krenn partiell am Grundgerüst der Urfassung. Eine kleine Dorfgemeinde feiert ein feucht-fröhliches Schützenfest und erwartet mit Spannung das Probeschießen, bei dem Max sein Können beweisen muss. Nur dann darf er Agathe, die Tochter des Försters heiraten und ihn beerben. Aus Angst zu versagen, lässt er sich auf einen Deal ein. Zusammen mit Kaspar, einem ehemaligen „Freund“, aber auch Rivalen, soll er unter Anleitung Samiels, einer teuflischen Figur, Freikugeln gießen, von denen sechs treffen und eine siebte unberechenbar bleibt.


© Christina Iberl

Bunte Lichterketten und Jahrmarktstreiben mit ausgelassenen Leuten täuschen nicht darüber hinweg, dass das Dorf verfällt. Die Drehbühne lenkt den Blick vom Festplatz schonungslos auf Marodes und Müll: ein verrostetes Bushäuschen, überquellende Abfalleimer, nicht entsorgter Sperrmüll. Eine riesige Reklamewand wirbt für eine Erotikmesse neben der blau beleuchteten Marienstatue in der kleinen Kapelle, daneben ein Klohäuschen. In diesem trostlosen Ort räumt keiner mehr auf. Um so mehr sind Feste eine herrliche Gelegenheit, „die Sau rauszulassen“ unddie öde Wirklichkeit zu vergessen.

Der glücklose Max wird verspottet und bis auf die Unterhose ausgezogen. Man steckt ihn in ein riesiges rosa Bärenkostüm und er wehrt sich nicht. Issac Lee spielt diesen Jammerlappen so traurig echt, dass man fast Mitleid haben könnte. Stimmlich nimmt er sich bewusst zurück, und spielt diesen von Versagerängsten geplagten und gedemütigten Mann überaus wirksam. Ganz anders verkörpert Mark Hightower den vor Kraft und Selbstbewusstsein strotzenden Kaspar, der es ganz ungeniert mit Ännchen treibt.Mit kraftvoller Stimme übertrifft er rollenbetont souverän den kläglichen Max.

Hannah Gries’ heller, jugendlicher Sopran peppt die Rolle Ännchens gekonnt auf, und sie zeigt, was an schauspielerischem Talent so alles in ihr steckt. Flippig und lustbetont nimmt sie sich, was sie braucht. Vergeblich versucht sie, ihre Freundin Agathe aufzumuntern, die vor lauter Angst und Sorge um Max phlegmatisch und apathisch wirkt. Lena Kutzner, das glatte Gegenteil Ännchens, spielt die Rolle mit einer traurigen Echtheit. Siehaucht dieser bedrückten Frau gerade so viel Leben ein, dass ihre Lethargie spürbar bleibt. In wunderbar sensiblen Passagen kann man die Qual mitempfinden.

Samiel ist die Hauptfigur in dieser Oper und weiblich besetzt. Das ist einer der Pluspunkte dieser Regie. Frauen sind raffinierter und haben eine andere Sicht auf die Dinge. Nicola Lembach, hyperpräsent,kommentiert das Geschehen, zieht die Strippen, mal einfühlsam, mal knallhart. Sie kritisiert das Festhalten an sinnlosen Traditionen, entlarvt die Bigotterie genauso schonungslos wie das Teuflische und wettert massiv gegen die gelebte Männlichkeit, die sich in Saufen und Schießen erschöpft. Ähnlich Mephisto im Faust bringt sie die Option für Veränderung ins Spiel. „Macht was draus!“ ist ihr ungewöhnlicher Rat in Grenzsituationen, was Agathe am Ende auch tut. Allerdings muss sie sich gelegentlich einer banalen Ausdrucksweise bedienen, die hohl, primitiv und aufgesetzt wirkt. Nicht immer harmoniert diese Sprechrolle mit der Musik. Hat das bei den Proben keiner gemerkt?


© Christina Iberl

Was Philipp M. Krenn aus dem Freischütz gemacht hat, ist nicht immer stimmig. Wenn er Figuren zusammenlegt, wie Kuno und den Fürsten, Szenen streicht oder Bruchstücke belässt, ist damit nichts anzufangen. Was es mit den Freikugeln auf sich hat, bleibt unklar. Wenn Max eine tote Krähe aus dem Mülleimer holt, müsste doch etwas damit passieren. Siehe Original. Den Eremiten, Sam Taskinen, als mediengeilen Lackaffen final als TV-Prediger zuzuschalten, geht ja, aber sein Statement verpufft. Es gibt eine ganze Reihe solcher unausgegorenen Regieideen. Natürlich kennt fast jeder den Inhalt dieser Oper und zieht seine Schlüsse, aber Novizen wird einiges ein Rätsel bleiben.

Besonders der dritte Akt hat Schwächen. Er besteht zu großen Teilen nur aus Ansätzen und weicht sehr von Webers Vorlage ab. Die Szene in der Wolfsschlucht zerstört sich schon zu Beginn durch eine überflüssige Videoprojektion selbst. Während im Vordergrund überdimensional die Fratze Samiels und ihre Tiraden laufen und alles überdecken, kann man nur sehr vage das Geschehen dahinter wahrnehmen. Wäre dies das Ergebnis eines Workshops aus dem Leistungskurs eines musischen Gymnasiums, würde man Experimentelles, wenngleich Sinnfreies, verzeihen. Auch dem „Kunstgriff“, dass die Bühne sich wie ein Dauerkarussell ständig dreht, geht nach einer Stunde die Luft aus. Vieles wirkt billig. Wären da nicht die hervorragenden Protagonisten und R. D. Rothenaichers phantastischer Chor, der mit Hingabe und Verve dieses Völkchen lebt und karikiert und sogar aus dem blamablen Junggesellenabschied, Stripper inklusive, noch das Beste macht, ginge diese Inszenierung in die Hose.

Dass Agathe am Ende fluchtartig ihren Max verlässt und sichtlich erleichtert von der Bühne durch den Zuschauerraum eilt, scheint herrlich doppeldeutig.

Diese Oper lebt natürlich durch die romantische und dramatische Musik. Die geglückte Orchestrierung der Hofkapelle unter Kens Lui verdient viel Lob. So galten die Buhrufe am Ende nur der Regie, während alle anderen den warmen Applaus mehr als verdient haben.

Inge Kutsche, 26. Oktober 2025


Der Freischütz
Carl Maria von Weber
Staatstheater Meiningen


Premiere am 24. Oktober 2025

Regie: Philipp M. Krenn
Musikalische Leitung: Kens Lui
Meininger Hofkapelle

Weitere Vorstellungen: 2. und 29. November 2025, 31. Januar, 13. März, 29. April und 28. Juni 2026