Premiere: 14.5.2017
Am Werk vorbei
Schlechte Nachrichten aus dem Stadttheater Aachen. „Ariadne auf Naxos“ ist die letzte Opernproduktion von GMD Kazem Abdullah. Der US-Dirigent hat in den letzten fünf Spielzeiten für hohes Niveau im Aachener Musikleben gesorgt (Konzerte stehen an dieser Stelle nicht zur Debatte) und war nach dem Abschied von Marcus Bosch (jetzt Nürnberg) ein Wunschkandidat des Sinfonieorchesters Aachen. Abdullah verlässt die Kaiserstadt nicht auf eigenen Wunsch, wie es bisher dargestellt wurde. So weit am Premierenabend von „Ariadne“ in Erfahrung gebracht werden konnte, entwickelte sich die Kommunikation zwischen Dirigent und Musikern nicht so positiv wie erwartet. Sollte dem tatsächlich so sein, kann eine Trennung natürlich nur ratsam sein, aber die Fakten wurden der Öffentlichkeit offenbar nicht korrekt vermittelt. Für einen Außenstehenden verbietet sich freilich ein wertender Kommentar.
Es stimmt betrüblich, dass man Kazem Abdullah zu seinem „Ariadne“-Dirigat nicht in Gänze beglückwünschen kann. Der Dirigent versteht es zwar, Strauss-Melos aufblühen zu lassen und Farbakzente prägnant zu setzen, aber das eigentlich doch klein besetzte Orchester klingt mitunter, als habe man „Elektra“-Noten auf den Pulten.
Mit großer Überwindung wird auf die Inszenierung von Joan Anton Rechi eingegangen. Um es sogleich unumwunden zu sagen: sie ist nachgerade ein Verbrechen am Werk. Das Premierenpublikum reagierte freilich mit hysterischem Beifall. Aber bitte: ist „Ariadne“ ein klamottiges Schwesternwerk von „Charleys Tante“ oder „Der nackte Wahnsinn“? Bei Hofmannsthal/Strauss geht es um Liebe, Treue, emotionale Verwandlungen. Dieses Kaleidoskop existenzieller Lebensfragen ist freilich mit komödiantischem Mörtel gekittet. Hier hätte eine Inszenierung anzusetzen und die auch in der Musik festgeschriebenen feinen Valeurs dieser Mixtur herauszuarbeiten. Was macht Rechi? Er lässt Klamauk spielen, Klamauk und nichts als Klamauk.
Die fünf Türen im Palais des reichsten Mannes von Wien (von Alfons Flores ist dieses etwas nüchtern auf die Bühne gestellt) dienen einem ständigen Kommen und Gehen, was in den ersten Minuten einen gewissen Unterhaltungswert hat. Doch bald verselbstständigt sich dieses Raus und Rein auf geradezu fürchterliche Weise. Ariadnes Arie „Ein Schönes war“ (von Irina Popova mit schöner Leuchtkraft gesungen wie die gesamte Partie) ist ein einziges Türenzuschlagen vor neugierigen Gaffern.
Dass der Haushofmeister seine Direktiven von oben herab gibt, wäre ja in Ordnung. Aber Hermann Killmeyer bellt seine Befehle gegenüber der erschrockenen Künstlerversammlung derart brutal heraus, dass man ihn früher sofort auf die Guillotine geschickt hätte. Unter diesen Umständen mutet es grotesk an, dass es der Musiklehrer wagt, von den herum getragenen Speisetabletts Hummer und andere Leckereien zu stibitzen. Sein doch eigentlich humaner Charakter geht auch bei anderer Gelegenheit gänzlich flöten. Hrólfur Saemundsson macht all diesen Quatsch (überzeugt?) mit. Seine (an „Macbeth“) dramatisch gewachsene Stimme ist für diese Partie ohnehin schon etwas zu schwer. Auch Sanja Radisic, wie üblich voll bühnenpräsent, lässt beim Komponisten spüren, dass sie in Verdis Oper voll aufzudrehen hatte. Das unschuldsvoll Pubertäre der Figur fängt ihre Stimme nicht (mehr?) ganz ein.
Um bei den Sängern fortzufahren … Das Quartett der Komödianten (hocheifrig: Michael Terada, Patricio Arroyo, Pawel Lawreszuk, Makudupanyane Senaoana) ist auf totale Munterkeit getrimmt. Die vier Herren schwirren, schwanken und scharwenzeln über die Szene auf Teufel komm raus – warum auch immer. Was sie wohl unter Ariadnes ausladendem Mantel zu suchen haben? Aber das Premierenpublikum fragte nicht weiter, sondern applaudierte euphorisch. Beifall auch den Nymphen (Jelena Rakic, Leila Pfister und – etwas soprangrell – Katharina Hagopian), die sich in hysterisch-theatralischen Gesten ergehen, auf Primadonna machen und immer wieder mal mit den Zimmertüren zusammenstoßen. Man kommt aus dem Lachen wahrhaft nicht heraus.
In der Beschreibung von all diesem Firlefanz wäre unendlich fortzufahren, doch dem Rezensenten versagt ganz einfach die Feder bzw. die PC-Tastatur. Eine zeitweilige Überlegung, die Aufführung vorzeitig zu verlassen, verkniff er sich nicht zuletzt deswegen, weil der im Vorspiel nur kurz in Erscheinung tretende Cooper Nolan erste markante Akzente setzte. Doch erst das Finale ist der große Auftritt von Tenor/Bacchus. Also Warten mit zusammen gebissenen Zähnen und immer wieder verzweifelt geschlossenen Augen. Es hat sich gelohnt. Der Tenor ist offenbar im Zwischenfach beheimatet (kürzlich Europadebüt mit José in Kiel), den Bacchus hat er mal gecovert. In Aachen singt er diese Partie mit dramatischer, dabei enorm lyrisch schimmernder, höhensicherer Stimme. Seine füllige Figur setzt der Sänger darstellerisch gekonnt ironisch ein. Wie er den von Merce Paloma „antikisch“ kostümierten Gott auf leicht schwuchtelhafte Art ironisiert, ist ein faszinierendes Rollenspiel.
Last und wahrlich not least: Marielle Murphy als carmenhaft eingekleidete Zerbinetta. Die Sängerin ist sattelfest bis in die abenteuerlichsten Höhenlagen hinein, hat keinerlei Koloraturprobleme. Die leichten Ausdruckshärten sollten sich auflösen lassen.
Christoph Zimmermann 15.5.2017
Bilder (c) Theater Aachen