Berthold Goldschmidt
Premiere am 18. Juli 2018
„Verstrickt sind alle wir in diesen Sünden, dieser Schuld…“
Das sagt am Ende Kardinal Camillo in der von Berthold Goldschmidt (1903-1996)
komponierten zweiten und auch letzten Oper „Beatrice Cenci“. Camillo drückt damit
kirchlicherseits zum ersten und einzigen Mal an diesem Abend die Wahrheit aus, die
allerdings viel zu spät kommt und das vorhergegangene kontinuierliche und nur noch als monströs zu bezeichnende Verbrechen des römischen Grafen Francesco Cenci in trüber Abstimmung mit der nach Reichtum gierenden Amtskirche unter Papst Clemens VIII. eher noch beschönigend kommentiert.
Der jüdische deutsch-britische Komponist konnte 1935 aus Nazi-Deutschland nach London emigrieren, wo er bis zu seinem Tode lebte. Er hatte den Stoff der wahren Geschichte der 1577 aus erster Ehe geborenen jüngsten Tochter Cencis, Beatrice, die nach unsäglichen durch ihren Vater erlittenen Leiden diesen gemeinsam mit ihrer Stiefmutter Lucrecia 1598 ermorden ließ und deswegen mit ihr 1599 vor der Engelsburg öffentlich mit dem Beil exekutiert wurde, bereits 1923 durch Stendhals Erzählung „Les Cenci“ kennen gelernt.
Erst 1949 bis 50 vertonte Goldschmidt den Text nach Percy Bysshe Shelleys Drama
„The Cenci“, nach dem Martin Esslin das Libretto verfasste. Dabei spielte ganz sicher das durch die Nationalsozialisten erfahrene Leid und ihr über Deutschland und Europa gebrachtes Unheil eine wesentliche Rolle. Andererseits bewarb sich Goldschmidt mit dieser Oper für einen vom britischen Arts Council ausgeschriebenen Opernwettbewerb anlässlich des Festival of Britain 1951, bei dem den Siegern Aufführungsmöglichkeiten angeboten werden sollten. „Beatrice Cenci“ war unter den ersten vier. Aber als die Jury die hinter den anonymen Einreichungen stehenden Komponisten sah, bekam keine der vier Opern eine Aufführung. Bei Goldschmidt war wohl die Tatsache, dass er kein gebürtiger Engländer war, Grund für die Ablehnung – „eine Entwicklung, die als typisches Schicksal eines Exilanten bezeichnet werden kann“, wie Barbara Busch in einem interessanten Aufsatz im Programmheft vermerkt. Goldschmidt war in einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Hamburg aufgewachsen.
So wurde das Stück erst 1988 konzertant in London uraufgeführt. In Magdeburg fand 1994 die szenische UA statt, die der Komponist also noch erleben konnte.
Gestern Abend nun brachten die Bregenzer Festspiele „Beatrice Cenci“ in der deutschen Textversion von Goldschmidt zur österreichischen EA und erreichten damit unter der Künstlerischen Leiterin Elisabeth Sobotka einen großen Erfolg. Wann kommt es schon einmal vor, dass nach einer Premiere, zumal eines so unbekannten Stückes, nicht einmal das leading team einen Buhruf erntet?! Das Publikum war zu Recht begeistert, denn es erlebte eine Inszenierung von Johannes Erath mit seinem Dramaturgen Olaf A. Schmitt mit exzellenter und facettenreicher Personenregie in einem faszinierenden und eindrucksvoll changierenden tunnelartigen Bühnenbild von Katrin Connan mit der darauf bestens abgestimmten Lichtregie von Bernd Purkrabek.
Diese Inszenierung gab die ganze Grausamkeit und Bigotterie sowie den Hedonismus des Grafen Cenci ebenso eindrucksvoll wieder wie die eigensüchtige und auf materielle Vorteile bedachte Dogmatik der Kirche und ihre entsprechende Verbundenheit mit den Mächtigen der (römischen) Welt. Nicht zuletzt hier
liegt die Aktualität der Vertonung des Stoffes aus der Spätrenaissance des Cinquecento so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg durch Goldschmidt, gibt es doch durchaus Parallelen zu den Entwicklungen und Geschehnissen auf deutschem Boden in den unheilvollen Jahren zuvor…
Gleich zu Anfang bei einem mit symphonischen und fast romantischen Klängen beginnenden Vorspiel öffnet sich der Vorhang, und man gewahrt in symbolischer Optik die großen Proponenten des Stücks. Graf Cenci dokumentiert durch riesige, mit Goldmünzen gefüllte Schatztruhen profanen materiellen Reichtum und die Kirche ihre Macht, indem von Mönchen an langen Seilen betätigte Glocken so mächtig sind, dass sie diese in die Höhe ziehen… Im Zentrum der Bühne brennt eine Unzahl gelblicher Kerzen, in deren Hintergrund man eine Papstfigur gewahrt. Wer hier nicht glaubt, hat offenbar ausgespielt, oder er erkauft sich von der Kirche gegen Besitztümer Stillschweigen über allerlei Gräueltaten – wie eben Cenci. Diese Werte werden durch den – einem häufigen Klischee entsprechend wohlgenährten – Kardinal Camillo in pompöser Robe „im Namen des Heiligen Vaters“ auch schamlos eingefordert. Cenci ist für einen begangenen Mord sogar bereit, einen ein Drittel seines
Vermögens ausmachenden Palast abzutreten.
Per Bach Nissen singt den aalglatten Kardinal mit profundem Bass und gibt ihm die Note des kraft der Religion stets überlegenen Souveräns. Zu Beginn des 3. Akts sitzt er zu den Klängen des Vorspiels des 3. Akts von Puccinis „Tosca“ aus dem Grammophon bräsig mit dem Richter an einem herrschaftlichen
Tisch im Vatikan und löffelt genüsslich ein Ei – eindrucksvolle Zurschaustellung des völlig abgehobenen Pomps und Machtdenkens der Amtskirche zu jener Zeit.
Zum ersten großen Höhepunkt des Abends wird das Fest bei Cenci, mit dem uns Erath die ganze Groteske der Verbindung von Kirche und korrumpierender weltlicher Macht mit entsprechend phantastischen und die Zeit des Stückes zitierenden Kostümen mit exotischen Apercus in den Masken von Katharina Tasch vor Augen führt.
Das war ganz großes Musiktheater, in einer beeindruckenden Einheit von Aussage, Optik, Mimik und Musik. Der Hedonismus Cencis und sein Ausdruck auf erotischem Gebiet werden auch durch zwei nackte, gut proportionierte Jünglinge im Hintergrund unterlegt, die der David-Statue Michelangelos in Florenz ähnlich dastehen. Als der Graf sich der Ermordung zweier Söhne in Salamanca rühmt, wagt keiner der kirchlichen Würdenträger in Purpur Widerspruch oder gar Aktion, so sehr ist man in Furcht vor des Grafen bekannt langem Arm brutaler Rache.
Christoph Pol spielt den Cenci mit bestechender Souveränität, zu keinem Zeitpunkt auch nur den leisesten Skrupel ob seiner Untaten zeigend. Ihm steht dazu ein Bariton zu Verfügung, der ausdrucksstark ist, aber nicht den größten Wohlklang verbreitet, der zu dieser negativen Rolle auch gar nicht passen würde.
In starkem dramaturgischem Kontrast erleben wir das Flehen von Beatrice, ihrer Stiefmutter Lucrezia und ihres Bruders Bernardo (eine Hosenrolle) um göttlichen Beistand zur Befreiung aus den Klauen des Vaters und Gatten sowie die ganze hoffnungslose Traurigkeit, die aus den Worten der drei und der dazu erklingenden Musik Goldschmidts spricht.
Christina Bock singt mit einem klangvollen Mezzo und guter Diktion den Bernardo, der am Ende überleben wird und den Papst als Puppe auf die Vorderbühne zieht, eben auch nur ein – fehlender – Mensch… Dshamilja Kaiser spielt und singt mit gutem Mezzo eine völlig apathisch gewordene Lucrezia, die schon jede Hoffnung auf Befreiung von ihrem tyrannischen Gatten aufgegeben zu haben scheint. Den vorläufigen Höhepunkt der Aussichtslosigkeit einer Erlösung Beatrices zeigt Erath vor dem Vorhang, als sie den Prälaten Orsino an ihre vor seinem Priestereid entgegengebrachte Zuneigung erinnert und ihn bittet, ein Gesuch an den
Papst weiter zu leiten.
Michael Laurenz zeigt mit einem ausdrucksstarken Tenor Orsinos ganze Falschheit, indem er mit beinahe markerschütternden Tönen klar macht, Beatrices Gesuch dem Papst nicht vorzulegen. Also auch hier nur Vertrauens- und Hoffnungslosigkeit!
Nachdem Beatrice selbst auf dem Fest um Hilfe aus ihrer ausweglosen Situation bittet, zeigt Erath mit ihrer anschließenden Vergewaltigung Cencis Rache an. Ihre Schreie hinter dem Vorhang, die das Ende des 1. Akts grausam markieren, gehen durch Mark und Bein.
Im 2. Akt haben sich Beatrice und Lucrezia zur Ermordung Cencis durchgerungen und lassen durch Orsino die beiden bezahlten Mörder Marzio und Olimpio anheuern. Die Baritone Wolfgang Stefan Schwaiger und Sébastian Soulès geben die beiden mit stoischer Ruhe. Peter Marsh als Richter mit der berühmten Respekt gebietenden Perücke zählt sodann mit charaktertenoralen Ausbrüchen die grausamen Optionen auf, wie man die beiden zum Reden bringen könnte. Water Boarding wäre dagegen wohl noch nicht das Schlimmste…
Hier streut Erath auch einige surrealistische Elemente in die Handlung ein, wohl um den Spielraum für Assoziationen des Publikums zu erweitern. So tritt Cenci als stumme Rolle wieder auf, es gibt eine Doppelgängerin als Lucrezia und Ähnliches. Manches ist wohl auch gar nicht deutbar, bzw. seine Deutbarkeit gar nicht beabsichtigt. Allerdings wird eindeutig auf blutige Aktion auf der Bühne verzichtet, wie auch im 3. Akt bei der Hinrichtung von Beatrice und Lucrezia, die statt mit einem Beil den Tod wie einst Seneca durch einen Gifttrunk erleiden.
Diese Momente entfallen auch im Libretto. So wirken die Hinrichtungen mit nahezu poetischen Bildern noch stärker angesichts der ohnehin kaum zu überbietenden Grausamkeit des Geschehens. Sie lassen, vor allem wenn man das verklärte und fast glücklich wirkende Gesicht der entschlafenen Beatrice sieht, sogar ein wenig Hoffnung aufkommen, auf Erlösung von unendlicher Pein, auf eine höhere und bessere Welt, auf Gerechtigkeit.
Gal James, die ich vor kurzem noch als Freia im Leipziger „Rheingold“ hörte, war eine einnehmende, überaus emphatische Beatrice mit einem vor allem in der Mittellage klangvollen und ausdrucksstarken Sopran. Die dramatischeren Höhen gerieten allerdings bisweilen etwas scharf. In ihrem finalen Monolog fand sie jedoch zu berührenden lyrischen Linien und Piani. Nicht nur hier gab es also auch Belcanto pur, den der Komponist seinem Stück zuschrieb. Lukás Hynek-Krämer und Jan Bochnák rundeten als Colonna und Offizier das junge Ensemble ab.
Die Frage, ob die Hinrichtung Beatrices und Lucrezias rechtens war oder nicht, wird vom anschließenden, von Lukás Vasilek gut einstudierten Prager Philharmonischen Chor vor aufgehobenem Bühnenbild – also in unserer Realität – thematisiert, ohne Entscheidung. Ein intensiver Strahler und der nach vorn schreitende Chor sprechen damit auch direkt das Publikum an. Tonal wird die Rechtmäßigkeit der Tat abschließend aber offenbar. Denn das finale Requiem vermittelt mit ruhigen und hoffnungsvollen Klängen die niemals sterbende
Hoffnung auf eine bessere Welt.
Der junge Johannes Debus, der schon durch sein erfolgreiches Dirigat von „Hoffmanns Erzählungen“ im Festspielhaus Bregenz auf sich aufmerksam gemacht hatte, dirigierte die Wiener Symphoniker und ließ alle schillernden Facetten der komplexen Partitur der „Beatrice“ erklingen. Die Musik ist oft erratisch, kommentiert das Geschehen auf der Bühne, bei dem immer wieder auch eine Art Sprechgesang vorherrscht. Sie hält sich bisweilen sublim zurück, wenn etwas Unerwartetes passiert und gibt damit der Handlung und Optik den Vorrang. Stets drückt die Musik Goldschmidts viel Psychologie aus und lässt die Nöte, Hoffnungen und Begierden der Protagonisten bestens zur Geltung kommen. Lyrik wechselt oft schnell mit Dramatik. Barbara Busch spricht wohl zutreffend von einer Musik „zwischen Avantgarde und dramatischen Belcanto“. In jedem Falle hat dieses Stück es verdient, mehr gespielt zu werden. Die Bregenzer Festspiele haben es mit einem jungen und begeisterten Team der Opernwelt eindrücklich vor Augen geführt. Vielleicht kann diese „Beatrice Cenci“ auf Reisen gehen
Fotos (c) Karl Forster
Klaus Billand 19.7.2018
Weitere Termine: 22. und 30. Juli 2018.