Premiere am 22. Juli 2015
Chinesische Klischees…
Genau zu den Auftaktakkorden von Giacomo Puccinis Meisterwerk „Turandot“, mit welchem die diesjährigen Bregenzer Festspiele unter der neuen Intendantin Elisabeth Sobotka gestern Abend begannen, stürzt ein Teil der chinesischen Mauer ein, die Marco Arturo Marelli, Regisseur und Bühnenbildner zugleich, mit 72 Meter Länge auf die Seebühne gestellt hat. Dieser Teil der chinesischen Mauer ist den berühmten chinesischen Drachen nachgebildet – mit riesigen Kurven scheint sich der 335 Tonnen schwere Koloss aus Stahl und Holz (etwa das Startgewicht eines Jumbojets B-747) über das Wasser zu schlängeln. Hinten ist er 20 Meter hoch, etwa so hoch wie das Heck des Jumbos, vorn gar 27 Meter mit einem roten Teehaus auf höchster Höhe.
Die gesamte Front ist mit 650 Mauersteinen aus rötlich-orange wirkendem Holz verkleidet, die sich für allerhand effektvolle Lichtspiele eignen und später auf großen Bannern in Kalligraphie die Lösungen der drei Rätsel zeigen. 59 Lautsprecher sind allein in diesen Mauersteinen versteckt, um den ebenso bekannten wie bewährten Bregenzer Sound sicher zu stellen (Ton: Gernot Gögele und Alwin Bösch). Über steile Treppen können die Akteure auf die Plattform aufsteigen. Später wird dort der persische Prinz geköpft – seine allzu puppenhaft wirkende Leiche wird einfach ins Wasser des Bodensees geworfen, wo sie wie ein Korken davondümpelt… Im Zentrum des Mauerdrachens befindet sich eine zylinderartige Drehbühne, die sich bis zu einem gewissen Grad in die Höhe schrauben lässt Sie hat einen Deckel hat, der sich bisweilen wie der einer Konservendose hebt, eine neue Szene freigibt – so den Auftritt des Kaisers von China im Rollstuhl – und der als Projektionsfläche für allerlei assoziative Bildeinfälle (gelungen die Bilder des Schmerzes der Ahnin) und -verirrungen dient.
Aber zurück zum Mauerfall, der bekanntlich immer nachhaltigen Wandel mit sich bringt – somit eine gute Idee mit einem effektvollen Beginn, der Erwartung auf mehr in diesem revolutionären Sinne schürt. Es wird zumindest nichts beim Alten bleiben, erst recht nicht, was Turandots ewigen Schwur besiegelt, all jene Freier enthaupten zu lassen, die ihr aus drei Fragen bestehendes Rätsel nicht zu lösen vermögen, um das fatale Ungemach, welches eine ihrer Vorgängerinnen erleiden musste, an den Männern zu rächen, die sie nun pauschal dafür verantwortlich macht. Aber das wussten wir ja schon vorher.
Was der vor allem und wie so oft bei Marco Arturo Marelli auf schöne und gefällige Bilder setzenden Inszenierungen fehlt, ist eine den inneren Spannungsbogen stets aufrecht erhaltende Dramaturgie und Personenführung (Dramaturgie: Olaf. A. Schmitt). Es wird zuviel Wert auf visuelle Effekte gelegt, die zudem in erster Linie chinesische Klischees bedienen, eben das, was man so weiß, wenn man das Land noch nie bereist hat. Sicher wirken die 205 der Terrakotta-Armee in der alten Kaiserstadt Xi´an nachempfundenen Krieger im Zentrum den Bühnenbilds, die aus dem Wasser vorn auf steigen und hinten schwindelnde Höhe erreichen, optisch eindrucksvoll. Sie werden auch effektvoll beleuchtet, oft vom Inneren der transparenten Plastikkörper. Sie wie so manches andere wirken sie aber eher rein dekorativ, stehen nicht stringent in Bezug zur Handlung auf der Rundbühne. Es werden bunte Drachen bemüht, wie man sie auch von Umzügen zum chinesischen Neujahrsfest Mitte Februar kennt. Oft wirbeln Akrobaten heftig mit Stoff- oder Papiergirlanden herum, als ginge es um eine Goldmedaille in der ähnlichen olympischen Disziplin. Mit Feuerringen bekränzt vollziehen Feuerkünstler vermeintlich "brandgefährliche" Drehungen.
Dabei schien ganz zu Beginn mit dem unisono in Mao-artig grauen Kostümen und Masken (Kostüme meist geschmackssicher: Constance Hoffmann) erscheinende Volk eine politische Komponente ins Spiel zu kommen, die aber wie manch anderer interessanter inszenatorischer Ansatz nicht weiter dramatisiert wurde. Auch die durchaus überraschende und offenbar unkontrollierbar gewordene Aktensammlung aller Enthaupteten und ihre in Chloroform eingelegten Köpfe in einer Vertiefung der Drehbühne sowie das schmutzige Geschäft der drei Minister, zunächst zivil in grauen Business Suits und dann in weißer Schlachterschürze mit roten Handschuhen, die neuen Opfer-Häupter hier einzuordnen, war eine interessante Idee für sich.
Sie stand aber in keinem Zusammenhang mit dem historisierenden Ansatz, der beispielsweise durch den Auftritt des Kaisers von China mit seinem zeitgemäßen langen Bart vermittelt wurde. So kam es immer wieder zu Spannungsabfällen, enttäuschten Erwartungen auf wirklich Neues und Spannendes, zumindest einer dramaturgisch konsequenten Kontinuität – und man konzentrierte auch auf die sängerischen Zuckerln. Konsequenterweise erschöpfte sich die Regie in den bekannten Topoi des Chinas was man landauf land ab seit Jahren kennt, ohne es je selbst gesehen zu haben – eine Stereotyp reiht sich an das nächste Klischee, und am Schluss ist man sich gar des Kitsches nicht zu schade, wenn der ganze Drache in einem bonbonfarbenen Wassernebel aus Fontänen angekühlt wird (Licht: Davy Cunningham; Video: Aron Kitzig). Wo bleibt Pudong, wo auch nur der Bund…?!
Nun ist natürlich dem Spiel auf dem See zugute zu halten, dass man hier vor einem breiten Publikum spielt, welches nicht unbedingt zum Stammpublikum der Oper zählt und auch die Details der Werke nicht vollständig kennt. Sogar bei „Andrea Chenier“ gab es ja bereits Zweifel an der Aufführung auf dem See. Schon aufgrund der Größe der Seebühne und der Entfernung zwischen Publikum und Aktion sind also – durchaus auch für sich allein stehende – Effekte von einer gewissen Relevanz. Dennoch haben die Inszenierungen gerade von „Andrea Chenier“ und „Tosca“ zusammen mit anderen der letzten Jahre gezeigt, dass auch auf der Bregenzer Seebühne spannendes, ja aufregendes Musiktheater möglicht ist, bei dem man auch nicht auf die Idee kommt, mal zwischendurch auf die Uhr zu schauen…
Sängerisch gab es ebenfalls Licht und Schatten. Zum Licht gehörte ganz sich die junge Chinesin Guanqun Yu, die die Liù nicht nur mit großer Empathie spielte und einer mitnehmenden Sorge um Calaf und Timur spielte, sondern sie mit einem klangvoll und warm timbrierten Sopran auch bestens sang. Herrlich ihr Piano mit anschließender Steigerung am Schluss der berühmte Arie…
Ebenso auf der Habenseite die drei Minister, Andrè Schuen als Ping, Taylan Reinhard als Pang und Cosmin Ifrim als Pong. Sie waren hervorragend choreographiert und belebten somit das Geschehen erheblich. Insbesondere Andrè Schuen konnte mit seinem prägnanten und gut geführten Bariton überzeugen, aber auch die beiden anderen gaben den Ministern viel stimmliche und darstellerische Überzeugungskraft.
Michael Ryssov war ein mit balsamischem Bass wohlklingend singender Timur. Er spielte den alten Mann sehr zurückhaltend. Der Japaner und auffällig auf Chinese getrimmte Yasushi Hirano sang in buntem Gewand den Mandarin mit prägnanter und Ehrfurcht gebietender Stimme. Kaiser Altoum wurde von Manuel von Senden verkörperte und konnte stimmlich mit seinem etwas morbid klingenden, aber gerade deshalb zur Rolle passenden Tenor weitgehend überzeugen. Es zeigte viel Emotion bei seinen Versuchen, Calaf vom „heiteren“ Rätselraten abzuhalten.
Riccardo Mass i gab den Calaf. Wie schon am Vormittag bei der feierlichen Eröffnung, als er „Nessun dorma“ zum Besten gab, konnte er belegen, dass er die Rolle beherrscht und ihr vokal voll gerecht wird. Mit einer kräftigen Mittellage und guter Tiefe ist er höhensicher und meistert auch den Beginn der Rätselszene im 2. Akt mit Bravour, wenn seinem Tenor auch der letzte Glanz fehlt. Allein, es mangelt Massi am nötigen Charisma und Engagement, um ganz als unbekannter Prinz überzeugen zu können. Meist stand er allzu steif auf der Bühne herum.
Mlada Khudoley, die der Rezensent 2003 als recht gute Sieglinde unter V. Gergiev in der „Walküre“ in St. Petersburg erlebte, wagte sich nun an die Turandot. Die Rolle ist für sie einfach eine Nummer zu groß, wird doch hier wirklich einmal ein hochdramatischer Sopran benötigt. Und den hat Khudoley einfach nicht. Selbst Birgit Nilsson soll einmal gesagt haben, dass die Turandot wirklich schwer zu singen sei… Mit der Verstärkung ging es so grade, aber ohne diese wäre Khudoley als chinesische Prinzessin wohl auf verlorenem Posten. In den Höhen wurde es stets zu eng, und die Stimme ließ die so erforderliche Durchschlagskraft – beispielsweise einer Ghena Dimitrova – vermissen. Auch darstellerisch wirkte einiges zu stereotyp.
Der Prager Philharmonische Chor und der Bregenzer Festspielchor machten unter der Leitung von Lukás Vasilek und Benjamin Lack ihre Sache gut und effektvoll. Sie wurden sowohl stimmlich wie vom Engagement auf der Bühne her der Choroper „Turandot“ gerecht.
Paolo Carignani dirigierte zum ersten Mal das Spiel auf dem See in Bregenz, und man merkte in dieser Premiere, dass mit der klanglichen und lautstärkemäßigen Ausgewogenheit in den Folgevorstellungen noch Luft nach oben ist. Während die ruhigeren Phasen mit den Wiener Symphonikern sehr gut und einfühlsam gelangen, klang im forte, zumal mit den Chören, oft einiges zu laut und auch etwas verwaschen. Hier könnte weniger wohl mehr sein und die Bemühung um mehr Transparenz in den Gruppen einiges verbessern. Insgesamt jedoch war der musikalische Vortrag von guter Qualität für die gegebenen Verhältnisse, bei denen das Orchester ja im Festspielhaus agiert.
Der Applaus hielt sich, möglicherweise auch wegen des immer wieder einsetzenden Sprühregens, etwas in Grenzen, wenn man es mit anderen Abenden und Inszenierungen am See vergleicht.
Klaus Billand, 23.7.2014
Bilder: Karl Forster