Besuchte Aufführung: 3.12.2015 (Premiere: 28.11.2015)
Der bildende Künstler im Theater
Zu einer beachtlichen Angelegenheit geriet die Neuproduktion von Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ am Theater Augsburg. Die Rezeptionsgeschichte dieser Oper ist reichlich verworren. Der Komponist hatte sie noch nicht abgeschlossen, als er am 5.10.1880 von dieser Welt schied. Die Orchestrierung war noch nicht beendet und der fünfte Akt lag nur in Skizzen vor. Demgemäß konnte das Stück am 10.2.1881 lediglich in einer sehr fragmentarischen, von Ernest Guirand erstellten Bearbeitung an der Opéra comique in Paris zur Uraufführung gelangen. Diese Fassung hielt sich über viele Jahrzehnte hinweg auf den Spielplänen der Opernhäuser. Es dürfte kein anderes Werk des Musiktheaters existieren, das in einer derart zerstückelten und fragwürdigen Form seinen Siegeszug rund um die Welt angetreten hat. Seit den Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kam indes sukzessive immer mehr von dem verschollenen Material ans Tageslicht, sodass schließlich eine kritische Neuedition der Partitur möglich wurde. Diese war aber ebenfalls noch unvollkommen. Da fortan bis zum heutigen Tage immer mehr Originalquellen Offenbachs entdeckt wurden, existieren bis heute allein vier Fassungen des Stückes, unter denen sich die das Werk zur Aufführung bringenden Opernhäuser eine aussuchen können. Am authentischsten dürfte die Bearbeitung von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck sein, die auch der Augsburger Aufführung zugrunde liegt.
Ji-Woon Kim (Hoffmann)
Gelungen war die Inszenierung von Jim Lucassen, der in Kooperation mit Marc Weeger (Bühnenbild) und Silke Willrett (Kostüme) das dramatische Geschehen in etwas anderer Form auf die Bühne brachte, als man es bisher gewohnt ist. Er hat das Stück behutsam modernisiert, gleichzeitig aber auch die zeitlosen Elemente der Handlung geschickt herausgearbeitet. Entgegen der Tradition ist Hoffmann bei ihm kein Dichter, sondern ein bildender Künstler, der im Foyer eines Opernhauses eine Ausstellung eigener Werke vorbereitet. Strenggenommen huldigt Hoffmann bei Lucassen nicht nur der bildenden Kunst, er ist vielmehr ein Allround-Künstler, der sich mehr oder weniger erfolgreich in den unterschiedlichsten Sparten versucht. Auch Lindorf erweist sich zu Beginn als Angehöriger der bildenden Kunst, der aber dann doch noch seinen Malerkittel ab- und einen Anzug anlegen darf. Es ist das erklärte Anliegen des Regisseurs, die Nähe des Titelhelden zu dessen historischem Vorbild E. T. A. Hoffmann aufzuzeigen, einem der besten Vertreter der schwarzen Romantik, der ja ebenfalls in den verschiedensten Metiers tätig war. So übte er nicht nur den Beruf eines Dichters aus, sondern zeigte sich auch als Komponist, Dirigent, Maler und Jurist versiert.
Ji-Woon Kim (Hoffmann), Cathrin Lange (Olympia)
Im Paris Offenbachs wurde die Kunst ganz groß geschrieben. Der Kampf um den ersten Platz fand nicht nur innerhalb der einzelnen Kunstrichtungen, sondern oft auch spartenübergreifend statt- genau wie in dieser Inszenierung, in der Hoffmann seine Ausstellung im Foyer desselben Operntheaters auf die Beine zu stellen versucht, auf dessen Bühne Stella gleichzeitig die Donna Anna in Mozarts „Don Giovanni“ singt. Schnell wird offenkundig, dass die Sängerin ihrem Anbeter in künstlerischer Hinsicht haushoch überlegen und demzufolge als im künstlerischen Wettbewerb ernstzunehmende Kontrahenten für ihn anzusehen ist. Aus dieser Auseinandersetzung geht Stella als Siegerin hervor, denn Hoffmann befindet sich in einer ausgemachten Schaffenskrise, die ihn an seinem eigenen Werk zweifeln lässt. Er weiß nicht, ob ihm mit seiner Ausstellung Erfolg beschieden sein wird, und hat Angst, die Produkte seiner Kreativität dem Publikum zu präsentieren. Nicht aus noch ein wissend kürt er seine Abgöttin Stella, deren stilles, rückwärtsgewandtes Bild im Hintergrund aufragt und sich irgendwann auch einmal umdrehen darf, zum allgemeingültigen künstlerischen Maßstab, wobei er sich der eigenen Unvollkommenheit durchaus bewusst ist.
Andréana Kraschewski (Antonia), Dr. Miracle
Nachdrücklich versucht Hoffmann, aus dieser Schaffenskrise auszubrechen. Als Mittel dazu dient ihm seine Geschichte von den drei Geliebten. Diese sind in Lucassens Interpretation lediglich Ausfluss seiner Phantasie. Drei von Beginn an auf der Bühne befindlichen, aber zuerst noch verhüllten Skulpturen haucht er gleichsam Leben ein und nennt sie in seinen fiktiven Erzählungen Olympia, Antonia und Giulietta. Dabei begibt er sich in ganz verschiedene Welten. Olympia ist das Erzeugnis des Oberarztes einer Schönheitsklinik Spalanzani, der bei der Herstellung der Puppe auf die Mithilfe des Schönheitschirurgen Coppélius angewiesen ist. Olympia erscheint bei ihrem ersten Auftritt in einem aufreizenden Nacktkostüm, bevor ihr schließlich immer mehr Kleider umgeworfen werden. An der Figur der kurz vor ihrem Tod noch ein Flitterkleidchen anlegenden Antonia handelt Lucassen gekonnt die Unvereinbarkeit von Liebe und Kunst ab. Als einziges Mittel, um gänzlich in der Kunst aufzugehen, erscheint ihr der Tod – eine Option, die durch den boshaften Agenten Dr. Miracle Wirklichkeit wird.
Sally du Randt (Giulietta)
Sehr interessant geriet dem Regisseur auch der Venedig-Akt. Die Problematik von Hoffmanns verlorenem Spiegelbild hat er ausgezeichnet und mit hohem innovativem Können gelöst. Das reflektierte Abbild des Protagonisten erscheint als dessen im Kunstwerk manifestiertes Ich. Indem Giulietta, die dem berauschten Künstler gleich in dreifacher Ausfertigung erscheint, ihm dieses abringt, zerstört sie nicht nur seine künstlerischen Erzeugnisse, sondern gleichzeitig auch sein innerstes Wesen und damit auch ihn selbst. Nur gut, dass es noch die Muse gibt, die den Prozess rückhängig machen und bewirken kann, dass Hoffmann seine Kunst als Mittel der Identifikation am Ende doch erhalten bleibt. Die Erlösung von seinen Qualen durch die Kunst ist und bleibt seine Bestimmung. Der von allen Beteiligten gesungenen grandiosen Schlussapotheose schließt sich auch Stella an. Das war alles trefflich durchdacht und mit einer logischen, stringenten Personenregie auch einfühlsam umgesetzt.
Insgesamt ansprechend waren die gesanglichen Leistungen. Ji-Woon Kim brachte einen virilen, ausdrucksstarken Spinto-Tenor mit kraftvollem Bariton-Fundament für den Hoffmann mit, den er differenziert und farbenreich einzusetzen wusste. Indes neigte er im oberen Stimmbereich dazu, die Luft zu stauen, was nicht sein sollte. In der hohen Tessitura sollte er etwas weniger auf reine Stimmkraft setzen als vielmehr auf ein ebenmäßiges Dahinfliessen des Klanges. In dieser Produktion durfte die Stella, sonst meistens eine stumme Rolle, auch singen. Sandra Schütt tat das mit gut fundiertem, solidem Sopran. Man hätte gerne etwas mehr Solo-Gesang von ihr gehört. Mit brillantem, flexiblem und koloraturgewandtem Sopran stattete Cathrin Lange die Olympia aus. Wunderbare lyrische Eleganz bei bester Fokussierung ihres kostbaren Stimm-Materials verlieh Andréana Kraschewski der Antonia.
Christiane Bélanger (Muse/Niklausse), Ju-Woon Kim (Hoffmann)
Ihren Kolleginnen in nichts nach stand Sally du Randt, die mit tadellosem, gut sitzendem und sonorem Sopran die Giulietta sang. Eine solide Stimme der Mutter war Kerstin Descher. Sie und Frau Lange waren außerdem als Erscheinungen der Giulietta zu erleben. Mit volltönendem Mezzosopran und intensivem Spiel machte Christiane Bélanger die treue Anhänglichkeit der Muse/Niklausse an Hoffmann glaubhaft. Demgegenüber fiel Ricardo López etwas ab, der mit seinem an diesem Abend etwas trocken klingenden Bariton den Figuren von Lindorf, Coppélius, Dr. Miracle und Dapertutto kein sonderliches dämonisches Gepräge zu verleihen wusste. Sehr flach und maskig sang Christopher Busietta die drei Rollen Cochenille, Frantz und Pitichinaccio. Da war es um Mathias Schulz’ Nathanael und Spalanzani schon besser bestellt, aber auch er sang mit etwas zu hoher vokaler Stütze. Ansprechend waren der Hermann und der Schlemihl von Giulio Alvise Caselli. Mit den Partien von Luther und Crespel empfahl sich der voluminös und rund singende Georg Festl für größere Aufgaben. Eine ordentliche Leistung erbrachte der von Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek einstudierte Chor.
Am Pult arbeitete Lancelot Fuhry die verschiedenen musikalischen Stimmungen einfühlsam heraus. Unter seiner Leitung spielten die Augsburger Philharmoniker recht differenziert und mit großem Esprit, wobei das emotionale Moment groß geschrieben wurde.
Ludwig Steinbach, 4.12.2015
Die Bilder stammen von A. T. Schaefer