Premiere am 27.3., besuchte Vorstellung 2.4
Die Wiener Gemütlichkeit wich der preußisch forschen Lesart
Glaubt man den einschlägigen Berichten, dann hat KS Brigitte Fassbaender den Rosenkavalier bereits viermal in Szene gesetzt. Für die Osterfestspiele in Baden-Baden hat sie nun ihre fünfte Version erarbeitet. Ihr Bühnenbildner Erich Wonder stattete dafür die Bühnentiefe mit bemalten Gazevorhänge aus, die einmal eine Art Krankenhaussaal, dann wieder ein Hallenbad mit leerem Schwimmbecken und schließlich einen Blick auf das Schloss Belvedere, wie es am Ende des Stummfilms von Robert Wiene (1925/26) erscheint, frei gibt. Die einzelnen Bilder wiederum verschwimmen mit der Zeit oder werden überblendet.
Die Requisiten werden auf das gerade Notwendigste reduziert: Ein Sofa im ersten Akt, auf dem sich wohl keine leidenschaftliche Liebesnacht zwischen Octavian und der Marschallin nachvollziehbar ereignet haben wird, ein paar Stühle im zweiten Akt und ein Tisch sowie ein „Lotterbett“ hinter einem Vorhang im dritten Akt, der jegliche Referenz an den Wiener „Shakespeare“, Johann Nestroy, im Kein erstickt. Diese szenische Tristesse versucht auch nicht eine Rokokozeit von Maria Theresia herauf zu beschwören, sondern erschöpft sich in einem Stilmix von Kostümen, die bis zur Gegenwart reichen (Kostüme: Dietrich von Grebmer) und einem Diener Leopold, der auf Inlineskates über die Bühne saust. Die gleiche Idee hatten allerdings schon Andreas Homoki und Werner Sauer für die Komischen Oper Berlin 2006!
Die Regisseurin konzentrierte sich in erster Linie auf die psychologische Charakterisierung der auftretenden Personen. Und hier ließ sie sogar den kleineren bis kleinsten Rollen ihre eine „eigene Geschichte“ erzählen. Als Fassbaender noch selber die Rolle des Octavian interpretierte, war es Usus, die Marschallin mit einer Frau mittleren Alters zu besetzen. Das Manko dabei ist aber, dass die Marschallin erst etwa 30 Jahre alt ist und der Ochs nur einige Jahre älter. Einer Frau mit dreißig Jahren nimmt man ab, über die ersten Anzeichen des Alterns zu erschrecken, während sich eine reife Frau um die fünfzig bereits an den Zustand des Vergänglichen gewöhnt und sich wohl auch damit in der Regel abgefunden haben wird.
Anja Harteros ist diese junge Marschallin, die nur für einen kleinen Moment wehmütig ihre verrinnende Jugendzeit betrachtet, um im nächsten Moment seelisch erstarkt, sich den neuen Herausforderungen ihres bevorstehenden Lebens und den damit verbundenen Situation offen und erwartungsvoll stellt. Mit ihrem schon reifen Spinto-Sopran gelingt ihr der Spagat zwischen voluminösem, kraftvollen forte und innigstem piano. Allerdings ließ sie den Wiener Dialekt in den Zeilen des berühmten Zeitmonologs „Siegst es, da geht’s die alte Fürstin Resi!“ vermissen. Denn im Wiener Dialekt wird die „Fürstin“ eben als „Fürschtin“ ausgesprochen.
Magdalena Kožená gab darstellerisch einen eher zurückhaltenden, eindimensionalen Octavian, der gerade in der Schlüsselszene, der Übergabe der Rose an Sophie, nahezu unbeteiligt wirkte. Als Gag von Fassbaender mag dabei erdacht sein, dass sich die in einer gläsernen Phiole befindliche Rose zunächst für das Publikum unsichtbar hinter einem weißen Rosenstrauß verbirgt. Stimmlich gesehen vermochte sie freilich weder der Marschallin noch der Sophie Paroli zu bieten. Zu wenig an Volumen verbreitete da ihr Mezzosopran in der Mittellage und auch in der Höhe wurde ihre Stimme etwas eng. Und das knisternd erotische Element der doppelten Travestie in der Rolle des Titelhelden, das so viele Interpretinnen vor ihr so genussvoll auszukosten wussten, vermochte sie leider überhaupt nicht zu vermitteln.
Gesanglich wie darstellerisch bot Anna Prohaska als noch etwas naive und verspielte Sophie für mich bei den drei Damen die beste Leistung an diesem Abend. Den Zauber bei der Überreichung der Rose konnte sie auf Grund des einengenden Korsetts der vorgegebenen Regie an dieser Stelle leider nicht vermitteln.
Peter Rose stattete seinen Baron Ochs von Lerchenau mit markigen Tönen aus, denen der Wiener Dialekt aber nur schwer über die Lippen rollte. Entweder man beherrscht diesen, oder man sollte besser ganz darauf verzichten.
Äußerst wortdeutlich gesungen und im Spiel starke Momente wies Clemens Unterreiner in der Rolle des reichen Neuadeligen Herrn von Faninal auf, der mit seinem guten Aussehen auch bei der Marschallin punkten könnte, wenn sie allzu jugendliche Liebhaber einmal satt geworden sein wird…
Als Sänger versprühte Lawrence Brownlee Schöngesang, der nur durch den skandallösen Zwischenruf des Baron „als Morgengabe“ unterbrochen wurde.
Das Intrigantenpaar Valzacchi/Stefan Margita und Annina/Carole Wilson, die im dritten Akt auch noch die „betrogene Ehefrau“ von Filou Ochs auf Lerchenau, mit einer Schar von Kindern gesegnet, mimt, wurden von Fassbaender mit subtilem Humor gezeichnet. Irmgard Vilsmaier gab eine köstliche, auf Sittsamkeit bedachte, Duenna Marianne Leitmetzerin, zwei Tage vor ihrem Geburtstag am 4. April. Ich gratuliere herzlichst!
John in Eichen durfte als Polizeikommissar dem Baron im dritten Akt noch deutlich zu verstehen geben, dass Standespersonen von einer pflichtbewussten Obrigkeit genauso behandelt werden andere Personen.
Die kleineren Partien wurden von Thomas Michael Allen in der Doppelrolle als Haushofmeister der Feldmarschallin und als Wirt, Kevin Conners als Haushofmeister bei Faninal, Martin Snell als Notar, Tamara Banješević als Modistin, Moritz Kallenberg als Tierhändler sowie Sonja Šarić, Felicitas Brunke und Susanne Kreusch als drei adelige Waisen, zufriedenstellend interpretiert.
Neben den vier Lakaien Norman Elsässer, Ronald Tettinek, Thomas Reisinger und Kiril Chobanov, den vier Kellnern Thomas Reisinger, Nenad Marinkovic, Boris Lichtenberger und Max Sahliger, dem Hausknecht im dritten Akt Kiril Chobanov und den acht Lerchenauern Ákos Banlaky, Michael Fischer, Christian Lusser, Tomasz Pietak, Manfred Schwaiger, Kerem Sezen, Michael Siskov und Marc Spörri listet das Programmheft noch zahlreiche Kleindarsteller in ihren stummen Rollen namentlich auf.
Dirigent Sir Simon Rattle versuchte am Pult der Berliner Philharmoniker offenbar eine völlig neue, entschlackte Lesart des Rosenkavaliers, die nur selten in einen weinseligen Walzerrhythmus fand. Schon das vom Tempo her unkonventionelle Vorspiel ließ erahnen, was den aufmerksamen Zuhörer und die aufmerksame Zuhörerin im Verlauf des Abends erwarten konnte: einen „preußischen“ Rosenkavalier, der weniger auf die feinen Zwischentöne der Partitur bedacht nimmt. So wurden beispielsweise die vielen Walzer perfekt umgesetzt, aber halt nicht mit wienerischem Flair unterlegt. Überhaupt, so scheint es, war Rattle mehr an manchen Details interessiert, als an dem pompösen und rauschhaften Sog, in den das Publikum gemeinhin durch die Musik des Komponisten gezogen wird. Das Rokoko als übersteigertes Spätbarock verstanden sollte doch gerade durch die opulente Farbpalette, die Strauss für die einzelnen Orchesterstimmen so genial komponiert hat, zum Ausdruck gebracht werden. Dieser Zauber wurde jedoch an diesem Abend vom Dirigenten nur ansatzweise und dann nur ziemlich zurückhaltend erfüllt. Schade!
Der Philharmonia Chor Wien unter der Leitung von Walter Zeh sowie die Mädchen des Cantus Juvenum Karlsruhe unter Anette Schneider wirkten mit großer Spiel- und Sangesfreude an dieser doch umstrittenen Produktion mit.
Das Publikum zeigte sich mit den gebotenen Leistungen des Sängerensembles, des Orchesters und seinem Leiter höchst zufrieden und spendete lang anhaltenden Applaus. Ob dieser wohl auch für das Regieteam am Premierenabend so schwelgerisch ausgefallen ist, entzieht sich leider meiner Kenntnis.
Harald Lacina, 4.4.15
Bilder: Monika Rittershaus