Drei neue Sichtweisen auf SCHWANENSEE
Choreografien: Jo Strømgren, Estefania Miranda, Ihsan Rustem
UA-Premiere: 2. November 2019
Das Konzert Theater Bern und seine Ballett-Direktorin haben es unternommen, eine andere Sichtweise, eine ungewöhnliche Interpretation der wahrscheinlich bekanntesten Ballett-Geschichte, nämlich "SCHWANENSEE", auf die Bühne zu bringen. Die Uraufführung des Ballettabends kann nur als sehr gelungen bezeichnet werden. Zwei Choreografen, der Norweger Jo Strømgren, der Engländer Isham Rustem sowie die Berner Tanzdirektorin Estefania Miranda zeigen in einem Ballettabend ihre Interpretation der Schwanengeschichte, welche auf uralten Mythen basiert.
Teil 1: DER UNERWARTETE GAST
Für seine Bilder vom schwarzen und weissen Schwan wählte der Choreograf und Bühnenbildner Jo Strømgren Musik des Norwegers Bergmund Skaslien. Er zeichnet ein poetisch romantisches Bild der Widersprüche, der Beziehungen zwischen schwarz und weiss, Yin und Yang, Gut und Böse. Bei ihm gibt es keinen Konflikt zwischen den ProtagonistInnen. Seine Tänzerinnen und Tänzer suchen ihre Individualität, ihr eigenes ich. Dabei wird der unerwartete Gast durch einen in Europa nicht heimischen schwarzen Schwan symbolisiert. Die Tanzcompagnie ist aufgeteilt in Schwarze und Weisse, Bewunderer des weissen, respektive schwarzen Schwans. Im Gegensatz zur Originalgeschichte aus dem Jahr 1877 gibt es in der Interpretation Strømgrens keine Feindschaft, sondern ein Miteinander, ein Suchen nach dem Partner, dem geeigneten Antagonist. Dies in Anlehnung an die Lebensweise der Schwäne, welche lebenslange Partnerschaften eingehen und diese erst durch den Tod getrennt werden.
Unter der Stabführung von Thomas Rösner unterstützt die eingängige, melodische Musik von Bergmund Skaslien, (Werk für Streichorchester und grosse Trommel) subtil und emotionell interpretiert vom Berner Symphonieorchester, die Intentionen und Darstellungsweise des Choreografen.
Die Kostüme (Bregje van Balen) und das Lichtdesign (Jonas Bühler) unterstreichen die märchenhafte Atmosphäre dieser Inszenierung. Die Gruppen Weiss und Schwarz, hervorragend getanzt von der Tanzcompagnie Konzert Theater Bern, überzeugten vom ersten Moment an und zogen die zahlreichen BesucherInnen, das Haus war ausverkauft, in den Bann der Handlung. ! BRAVI !
Teil 2: THE SIGN OF THE SWAN
In der klassischen Inszenierung von Schwanensee werden Odile (schwarzer Schwan) und Odette (weisser Schwan) meistens mit einer weissen Tänzerin besetzt. Dies um dem männlichen Anspruch auf gertenschlanke, hellhäutige Tänzerinnen zu entsprechen. Diversität und Gleichberechtigung fallen dieser Sichtweise zum Opfer. So sind dunkelhäutige Tänzerinnen im Theater noch stark in der Minderheit, dies im Gegensatz zu den dunkelhäutigen Tänzern. Die erste schwarze Odile/Odette war 2015 Misty Copeland vom American Ballet Theatre. Estefania Miranda inszeniert ihr Ballett, "DAS ZEICHEN DES SCHWANS", als Aufruf zur Gleichberechtigung, als Sinnbild der Universalität, der Gleichheit in der Diversität. Ihre ProtagonistInnen (Mahélys Beautes, Livona Ellis, Winston Ricardo Arnon, Yacnoy Abreu Alfonso) sind alle vier dunkelhäutig! Die tänzerische Arbeit dieses Tanzquartettes ist in seiner expressionistischen, schon fast exhibionistischen Ausführung beeindruckend und bringt den Anspruch Mirandas auf Gleichheit klar auf die Bühne.
So zum Beispiel die ähnliche Darstellung der Männer mit nacktem Oberkörper und der Tänzerinnen mit teilentblösstem Busen. Ich kann nur sagen: So subtil, unter die Haut gehend, muss eine Hinweis auf die heutige Ungleichheit in der sozio-ökonomischen Gesellschaft dargestellt werden. Nur so fühlen sich Zuschauerinnen und Zuschauer angesprochen, dargestellt! Als Musik, im Playback gespielt, wählte Miranda als Auftakt das Lied "My Heart’s in the Highlands" von Arvo Pärt. Diese Musik geht über in eine für diese Inszenierung neue Komposition des Holländers Jorg Schellekens. Die Musikauswahl für diese Art von Ausdruckstanz ist stringent, speziell die Komposition des Musikers und Sounddesigners Schellekens (Märchen im Grand Hotel, Theater Luzern).
Teil 3: O / O
Der englische Choreograf Ihsan Rustem wählte für seine Sicht auf Schwanensee die wichtigsten Teile aus der Originalpartitur von Pjotr I. Tschaikowsky. Die Musikauswahl des Abends umfasst einen Zeitraum von 142 Jahren (1877 bis 2019). Die musikalische Leitung für diesen Teil hat wiederum Thomas Rösner. Unter seiner Leitung interpretierte das Berner Symphonieorchester die Komposition Tschaikowskys, respektive Ausschnitte daraus, mit hoher Spielfreude und viel Gefühl für die Ästhetik russischer Musik des 19. Jahrhunderts.
Rustem besetzte die Rollen von Odile und Odette, von schwarz und weiss mit zwei Tänzern. Dies im Einklang mit dem Hinweis auf Gleichheit, welche schon Estefania Miranda in ihrer Choreografie, mit ihrer Auswahl von Künstlern gegeben hat. Weiss tanzt Andrey Alves und schwarz wurde interpretiert von Toshikata Nakamura. Alle "Pas de Deux" werden sehr ruhig mit spürbaren Emotionen getanzt, dies unabhängig vom Tempo in der Musik ohne Hektik, ohne Eile. Diese Ruhe, diese Emotionen gingen in den Gruppendarbietungen der Kompagnie etwas verloren. Hier hätte ich mir etwas weniger Aufregung, Hast gewünscht.
Das Berner Premierenpublikum belohnte den gelungenen Abend mit langanhaltendem Applaus für Tänzerinnen und Tänzer, Choreografin und Choreografen und auch für das Berner Symphonieorchester mit seinem Dirigenten.
Nach diesem Applaus gab es noch eine Zugabe. Hier muss ich bemerken, dass die Intendanz sich diese Zugabe hätte sparen sollen. Sie entliess das Publikum mit Lachen über die Zugabe anstelle von Gedanken zum Dreiteiler. Schade!
Peter Heuberger 3.11.2019