Premiere am 04.02.2017
besuchte Aufführung am 08.02.2017
Die beste Tarnung ist die Wahrheit
Das Schauspiel „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch kennt jeder. Aber dass aus dem Stoff auch eine gleichnamige Oper komponiert wurde, dürfte für viele Musikfreunde neu sein. Der 1978 in Prag geborene Komponist Šimon Voseček schrieb sein Werk während seiner Studienzeit in Wien. Dort kam es auch 2013 zur Uraufführung, eine weitere Inszenierung erfolgte 2015 in London. Bremerhaven hat sich nun die deutsche Erstaufführung gesichert.
Die Geschichte ist bekannt. Der betrügerische und skrupellose Fabrikant Gottlieb Biedermann ist besorgt über immer neue Brandstiftungen in der Stadt. Dann tauchen die zwielichtigen Gestalten Josef Schmitz und Wilhelm Eisenreich auf. Trotz der Bedenken seiner Frau Babette lässt er sie ins Haus. Wenn sie schließlich Benzinfässer auf seinem Dachboden lagern, ahnt Biedermann zwar, dass er sich die gefürchteten Brandstifter ins Haus geholt hat, aber er verschließt die Augen vor den Tatsachen.
Auch als die beiden unverblümt über ihr Vorhaben sprechen, handelt er nicht und will an einen Scherz glauben. Wie sagt Eisenreich? „Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste ist Sentimentalität. Aber die beste und sicherste Tarnung bleibt immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.“ Eine Erkenntnis, die einer eher politischen Interpretation den Weg weisen könnte.
Regisseur Christian von Götz setzt in seiner gelungenen Inszenierung aber vorwiegend auf die komödiantischen, grotesken Aspekte des Stoffes. Die Charaktere werden dabei sehr prägnant und holzschnittartig gezeichnet. Babette ist eine mondäne, etwas zickige Fabrikantengattin, die ebenso genussvoll an ihrer Zigarette zieht wie Biedermann an der Zigarre. Ein vorweggenommenes Spiel mit dem Feuer. Die drei Feuerwehrleute (Thomas Burger, Stefan Hahn und Jovan Koščica) lugen immer wieder „spähend, horchend“ über den Rand des Orchestergrabens hervor. Das quirlige Dienstmädchen Anna (hervorragend von Alice Fuder gespielt) bekommt wiederholt eine Sektdusche ab – ein slapstickartiger „running gag“. Beim gemeinsamen Abendessen wird die „Jedermann“-Nähe bei Frisch in Vosečeks Oper durch eine Anlehnung an die Komtur-Szene im „Don Giovanni“ ersetzt, bei der Schmitz als Geist eines von Biedermann in den Selbstmord getriebenen Mitarbeiters auftritt.
Das Bühnenbild von Lukas Noll mit grauen Wohnräumen, bei denen die bonbonfarbenen Benzinfässer immer mehr in den Vordergrund treten, ist ausgesprochen reizvoll ausgefallen und zählt zu den positiven Eindrücken.
Den Biedermann singt Clemens Bieber mit ausdrucksvollem, etwas stentorhaft geführtem Tenor, Katja Bördner ist Babette mit gekonnt „keifigen“ Tönen. Die Brandstifter sind mit Leo Yeun-Ku Chu als der etwas derbe Josef Schmitz und mit Vikrant Subramanian als der smartere Wilhelm Eisenring überzeugend besetzt.
Die mit dreizehn Musikern besetzten Bremerhavener Philharmoniker werden von Thomas Kalb geleitet, der auch gleich die Minirolle des Wachmanns übernimmt. Die Musik von Šimon Voseček hat eigentlich nur begleitenden Charakter und unterstützt den fast immer gleichbleibenden Sprechgesang, auch wenn mit drei Posaunen und Schlagwerk eine mitunter bedrohliche Stimmung erzeugt wird. Prima la musica e poi le parole? Nein, hier steht das Wort im Vordergrund.
Als ein „Lehrstück ohne Lehre“ hat Max Frisch sein Schauspiel bezeichnet. Aber auch in dieser an der Komödie orientierten Inszenierung wird die mehr denn je aktuelle Lehre deutlich: Die Gefahr ist unter uns – wir müssen sie nur erkennen.
Wolfgang Denker, 09.02.2017
Fotos von Heiko Sandelmann