Der Stoff dieses Oratoriums in drei Teilen von Georg Friedrich Händel entnahm sein Librettist Charles Jennens (1700-73) dem alttestamentarischen Buch Daniel, welches die Ereignisse um das Sesachfest, das dem babylonischen Weingott gewidmet ist mit dem berühmt gewordenen Menetekel, schildert. Die Handlung spielt in Babylon, der Hauptstadt Assyriens um 538 v. Chr. Vor der Stadt lagern die Heere der Meder und Perser, mit König Cyrus an der Spitze. Jennens, der bereits die Libretti für Saul und Messias für Händel verfasst hatte, verwob die biblische Geschichte mit weiteren biblischen Quellen aus Jesaia 13 und Jeremia 25 sowie historischen Quellen, die er Herodots Histories apodexis, dort erscheint die Figur der Nitocris, und Xenophons Kyra paideia entnahm, wodurch er die Dramatik des Stoffes noch zu steigern verstand. Nach der biblischen Geschichte frevelt Belsazar gegen Jahwe, woraufhin wie von Geisterhand das „Menetekel“ an der Wand des Saales erscheint, die der Prophet Daniel als Untergang des Reiches und Tod des Gewaltherrschers deutet. Und die Weissagung erfüllt sich noch in der gleichen Nacht. Das sprichwörtliche Menetekel ist eine unheilverkündende Vorwarnung in akkadischer Sprache, die der Prophet Daniel folgendermaßen auslegt: Mene – gezählt (sind deine Tage), Tekel – gewogen (und für zu leicht befunden), U-parsin – und geteilt (wird dein Reich). Noch vor Händel wurde Telemanns Oper Das Ende der Babylonischen Monarchie oder Belsazer 1723 aufgeführt und auch der große Gioachino Rossini behandelte in seiner Oper Ciro in Babilonia 1812 das Gastmahl des Belsazar. Für die französische Regisseurin Marie-Eve Signeyrole dreht sich alles um die existenzielle Frage der Wasserversorgung für die Welt. Bei ihr beherrscht der Despot Belshazzar alle Quellen des mittleren Ostens und die vor der Stadt lagernden Perser drohen zu verdursten. Der Prophet Daniel ist hier ebenso wie Cyrus als Frau personifiziert. Nitocris, die Mutter Belshazzars, scheitert in ihrem Bemühen, ihren selbstsüchtigen und verschwenderischen Sohn zu bessern. Cyrus zettelt mit seiner Last Generation eine Klimarevolution an, die live an die Untertanen gestreamt wird. Im Gefolge von Daniel(a) befinden sich Biotechnologen beiderlei Geschlechts. Sie können aus Bäumen den Saft des ewigen Lebens ziehen. In dieses vordergründige Ökodrama bettet die Regisseurin noch das ödipale Mutter-Sohn-Drama. Die aus Trinidad und Tobago stammende Jeannine de Bique ist diese schillernde, herzergreifende Mutter Nitocris mit scharfem Sopran, der es nicht gelingt, den englischen Tenor Robert Murry als ihren zügellosen Sohn Belshazzar auf den rechten Weg zu führen. Dieser präsentiert sich als glitzernder Popstar und ein News-Ticker verrät dem Publikum, dass er seinen neuesten Hit „Discover THE KING’s latest Single“ bald zum Besten geben wird. Die französische Mezzosopranistin Eva Zaïcik war als blinde Prophetin Daniela darstellerisch wie gesanglich nicht besonders gefordert. Den Höhepunkt des Oratoriums erzielte sie beim Ertasten des berühmten „Mene Tekels“ auf der Haut des Oberkörpers Belshazzars.
Die US-amerikanische Mezzosopranistin Vivica Genaux gefiel als Cyrus in der Rolle der Anführerin der Klimarevolte. Ihrem Gefolge hat sich der Jude Gobrias angeschlossen, weil Belshazzar dessen Sohn ermorden ließ. Auf Grund einer Erkrankung von Michael Nagl sang Bariton Klemens Sander dessen Rolle aus dem Orchestergraben vom Blatt, während oben auf der Bühne der Regieassistent Taro Morikawa die Rolle spielte. Auf der vertikal zweigeteilten Bühne von Fabien Teigné tummeln sich unten die stets von Kammeraleuten umgebenen Protagonisten, während auf der darüberliegenden Videowand das eben Gefilmte im Detail – wie jüngst bei der neuen Staatsopern Salome – zu sehen ist. Die sich in babylonischer Gefangenschaft befindlichen Juden tragen anstelle eines Sterns eine rote Lampe als Kennzeichen am Hals (Kostüme: Yashi). Sie werden gequält und sind sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Am Ende des Oratoriums soll Belshazzar dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag vorgeführt werden, er wird jedoch erstochen… Sascha Zauner zeichnete noch für die Lichtregie verantwortlich und Céline Baril für die Videoeinspielungen. Das L’Arpeggiata-Ensemble unter der Leitung der Lautenistin und Harfenistin Christina Pluhar bot einen groovigen Händel ergänzt durch spannende Percussion Elemente, die orientalisches Flair vermitteln sollen. Der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schoenberg Chor agierte und sang wieder einmal exzellent. Auch wenn dies Produktion bei der Premiere auf geteilte Reaktionen stieß, so war an diesem Abend davon nichts zu bemerken. Alle Beteiligten wurden ausgiebig und wohlwollend beklatscht. Wer sich jedoch für eine historisierende Aufführung interessiert, der findet auf youtube eine Aufführung mit Jochen Kowalski als Daniel in deutscher Sprache 1985 aus Hamburg und eine aus Aix-en Provence 2008 mit Bejun Mehta als Cyrus.
Harald Lacina, 27. Februar 2023
„Belshazzar“
Georg Friedrich Händel
Theater an der Wien im MuseumsQuartier
24. Februar 2023
Premiere 20.2.223
Regisseur: Marie-Eve Signeyrole
Dirigat: Christina Pluhar
L’Arpeggiata