Es wird kolportiert, der US-amerikanische Schauspieler und Filmproduzent Todd Fields habe fünfzehn Jahre an der Vorbereitung eines Film-Dramas über das Schicksal der erfolgreichen Musikerin Lydia Tár und deren Adoptivtochter Petra gearbeitet.
Weder das Wissen meiner zahlreichen betagten Musikfreunde noch die Internet-Suchmaschinen konnten Informationen zu einer Musikerin Lydia Tár etwas beitragen. Offenbar hat der mehrfach für einen Oskar-Nominierte fiktive Personen im Blickfeld.
Da der Handlungsort die deutsche Hauptstadt sei, wurde mit den Dreharbeiten im August dieses Jahres in Berlin begonnen. Die Hauptrolle hat Cate Blanchett übernommen.
Für die Konzertsequenzen des Filmprojekts wurde allerdings der Konzertsaal des Dresdner Kulturpalastes gewählt und zur Mitwirkung der russische Dirigent Stanislav Kochanovsky sowie 93 Musiker der Dresdner Philharmonie verpflichtet.
Ein Team von 120 Mitarbeitern der „X Filme International“ war zu den Dreharbeiten nach Dresden gekommen und hatte für die Maskenarbeiten, Catering bzw. als Aufenthaltsbereiche rund um den Kulturpalast Trucks geparkt sowie Zelte aufgestellt.
Gustav Mahlers fünfte Symphonie war für den Film möglicherweise wegen des Ohrwurm-Adagietto ausgewählt worden. Andererseits bietet sie aber wegen der Fülle von Themen, Gegenthemen, schnellen Stimmungswechseln und dem gewaltigen Dynamikumfang hervorragende Anknüpfungspunkte für eine reiche Filmmusik der Komponistin Hildur Guðnadóttir.
Jugendlich wirkende Dirigenten in den Vierzigern, die sich auch noch ordentlich bewegen und bereits akzeptabel Mahler interpretieren, sind nicht unbedingt häufig. Deshalb war die Wahl des 1981 in Leningrad geborenen Stanislav Kochanowsky für die Filmarbeit keine Überraschung, obwohl er im westeuropäischen Musikleben bisher wenig aufgefallen ist.
Dem ersten Satz der Symphonie des Dirigats fehlte doch der rechte Sinn für Balance, rhythmische Präzision und technische Sicherheit, wie die komplexe Partitur straffe Ansagen erfordert hätte. Auch drängte sich das Blech recht grob in den Vordergrund ohne die langen Passagen ordentlich freizulegen.
Den zweiten Satz empfand ich akzeptabel und das Scherzo richtig gut interpretiert, zumal ich mich inzwischen an die robusten Blechbläser gewöhnt hatte.
Seit Visconti mit seinem Film „Tod in Venedig“ das Adagietto einem breiten Publikum fast verramscht hatte, ist es für den anspruchsvollen Konzertbetrieb schwierig, beim Hörer die Kino-Assoziationen aus dem Kopf zu treiben. Ob bewusst, Kochanowsky ließ das Adagietto richtig verkitscht und süßlich spielen und bot damit einen regelrechten Gegensatz zum Scherzo und dem Finale. Eventuell deshalb auch die lange Satzpause vor der vermeintlichen Liebeserklärung an Alma Schindler und kaum Anklänge an Rückert „ich bin der Welt abhandengekommen“.
Die stationären Kameragruppen fielen im Konzertablauf letztlich nicht auf. Die 3-G- Regel, streng kontrolliert, erlaubte uns auf dem Platz die „MNB“ abzunehmen. Die Streicher spielten in klassischer „zwei-Musiker-ein Pult“ Anordnung und ein Statistenblock hatte ohne Zwischenleersitz platz genommen.
Mein persönlicher Glanzpunkt des „Events“ war das Gespräch mit einer Kameragruppe vor dem Konzert, die das Schließen einer Saaltür hinter „Besuchern“ aufzunehmen hatte. Mein Erstaunen, dass die Firma ARRI seit 1914, und noch immer in der Spitze der Filmaufnahmetechnik trotz kaum vergleichbarer Technik behauptet, brachte mir ein Altmännergespräch über meine Berührung mit der Arriflex16-Technik von vor fast sechzig Jahren und eine ausführliche Erläuterung des gestern zum Einsatz gebrachten Systems ARRI-ALEXA durch die jungen Männer ein.
Thomas Thielemann, 20.9.2021