Premiere: 13.10.2018
Positiv immerhin die musikalische Seite
Einleitung: Inbegriff von Weiblichkeit, Sinnlichkeit, aber auch von Emanzipation und Unabhängigkeit. Alles in einer Opernfigur zusammengefasst und von Georges Bizet genial in seinem großen Meisterwerk vertont. Leider war es dem Komponisten nicht mehr vergönnt, den Siegeszug seiner Oper zu erleben, die mittlerweile von den Spielplänen der Opernhäuser dieser Welt nicht mehr wegzudenken ist. Die Theaterbesucher kommen zumeist mit vielen eigenen Vorstellungen, die zugegebenermaßen auch klischeehaft sein mögen, in diese französische Oper um das Drama um Carmen und Don Jose mitzuerleben. Und sie dürfen viel erwarten. Hat doch Bizet in seinem Opernklassiker einen „Hit“ nach dem anderen komponiert und die Spannung von Akt zu Akt immer mehr erhöht bis hin zum grandiosen Finale – dem Showdown vor der Stierkampfarena. In Essen verpufft diese Spannung im letzten Bild, war schon vorher oftmals nicht zu spüren und lässt viele Opernbesucher enttäuscht zurück. Das kann Regie nun mal auch. Aber die großartige Musik von Bizet ficht das alles nicht an!
So waren Zustimmung und Ablehnung im fast voll besetzten Aalto Musiktheater am Ende deutlich hörbar zu vernehmen. Jubel und viel Applaus für Solisten, Chor, das Orchester und den musikalischen Leiter des Abends Sébastien Rouland und laute und kräftige Buhrufe, sowie deutlich zurückgenommener Applaus der Premierengäste beim Erscheinen des Regieteams um Lotte de Beer.
Die niederländische Regisseurin sieht natürlich Carmen im Mittelpunkt. Als Sinnbild für vieles, was die Frau und das weibliche und das Miteinander der Geschlechter betrifft. Sie zeigt Don Jose als einen von mehreren Frauen abhängigen, schwachen Mann, der einerseits das Muttersöhnchen, dann der brave zukünftige Ehemann von Micaëla und dann der völlig verblendet liebende Mann von Carmen zu sein scheint. Nichts neues eigentlich. Kann durchaus so gedeutet werden. Aber Carmen ist nun mal auch etwas scheinbar ganz banales: eine Liebesgeschichte. Zwar eine ohne Happy-End und mit mehr Tiefen als Höhen, aber immer ist sie auch eine Art Mikrokosmos der menschlichen Beziehungen und Obsessionen.
Leider deutet Lotte de Beer vieles hinein und vieles um und manches bleibt – oder wirkt -unverständlich. Sie lässt die Rezitative von Kinderstimmen sprechen, während auf der Bühne die „Erwachsenen“ dazu agieren. Zwei Kinder stellen pantomimisch Carmen, Micaëla und Jose (?) dar. Oder wen sonst? Jedenfalls sind sie oft auf der Bühne zu erleben. (Machen die beiden jungen Darsteller aber sehr gut, das sei hier erwähnt!). Der kindliche Don Jose führt sogar im Finale die Hand mit der Klinge des „großen“ Don Jose zum Todesstoß. Und wenn die Regisseurin am Ende den gesamten Chor und den Kinderchor vor der (imaginären) „Stierkampfarena“ in blutigen Gewändern auftreten lässt, mag das ja durchaus eine gewisse Schärfe und Stärke im Ausdruck haben. Aber das eigentliche Drama, welches sich in der Oper CARMEN abspielt, ist die finale Begegnung zwischen Carmen und dem unglücklichen und von Eifersucht zerfressenem Don Jose. Und wenn diese einfach atmosphärisch nicht vermittelt wird, kann eine Regie noch so viele Einfälle haben, dann mag sie sich eventuell selbst verwirklicht sehen, aber hat dem Werk ein gutes Stück seines Zaubers beraubt. Erst vor wenigen Tagen habe ich mir in einem Artikel (Oper.Wunsch.-Gedanken eines Opernfans) darüber Gedanken gemacht, wie eine Oper auf die Zuhörer wirkt, welche Emotionen, ja sogar welchen Zauber, sie vermitteln kann, wenn die Regie genau diesen auch erkennt und bestenfalls umsetzt oder, sogar noch, verstärkt.
Für Heute jedenfalls, möchte ich mich hier vorzugsweise auf das Musikalische konzentrieren. Und von dort gibt es positives aus Essen zu berichten.
Gespannt war ich auf den Dirigenten und musikalischen Leiter des Abends, Sébastien Rouland. Der gerade neu ernannte Generalmusikdirektor des Saarländischen Staatstheaters in Saarbrücken begann schon beeindruckend mit der Ouvertüre der Oper, die er in flottem Tempo spielen ließ. Er leitete die glänzenden Essener Philharmoniker durch diese höchst bild- und farbenreiche Partitur und entfachte so manch musikalisch-emotionalen Höhepunkt im Orchestergraben. Absolut gefühlvoll auch das Zwischenspiel vor dem letzten Akt. Eine französische Oper, für viele DIE französische Oper, dirigiert von einem Landsmann des Komponisten weckt nun mal Erwartungen. Diese Erwartungen hat Sébastien Rouland voll erfüllt. Er sorgte für die Spannung, für das Gefühl und letztlich auch für diesen so unnachahmlichen Zauber, den gerade diese Oper entfachen kann. Bravo für diese Leistung! Dem DAS OPERNMAGAZIN war Rouland bereits im vergangenen Monat sehr positiv an der Staatsoper Hamburg aufgefallen, wo er eine höchst bemerkenswerte und von vielen hoch gelobte COSI FAN TUTTE dirigierte.
Auf der Bühne ein bestens einstudierter Chor und Extrachor des Aalto-Theaters unter der Leitung von Jens Bingert. Der in Bizets Partitur reichlich bedachte Chor hat in vielen Schlüsselszenen zu agieren und zu singen. Großes Lob dafür und auch für den Kinderchor der Oper in Essen, der von Patrick Jaskolka geleitet wurde. Nicht unerwähnt soll hier auch die Statisterie des Hauses sein.
Frasquita und Mercédès waren mit Christina Clark und Liliana de Sousa gesanglich, wie auch darstellerisch höchst adäquat besetzt. Dies gilt in gleichem Maße auch für die beiden Schmuggler, Remendado und Dancaïro, die von Rainer Maria Röhr und Albrecht Kludszuweit verkörpert wurden.
Dem Morales verlieh Martijn Cornet großes gesangliches Profil und er gestaltete diese Partie in überzeugender Manier. Almas Svilpa gab einen kraftvoll singenden und körperlich kraftstrotzend wirkenden Escamillo.
Großartig die Leistung von Jessica Muirhead, die eine glänzende und warm singende Micaëla präsentierte, wie sie an jedem großen Haus dieser Welt begeistern würde. Bei ihrer berührenden Arie „Je dis que rien ne m‘ épouvante“ im dritten Akt ließ sie ihren Sopran nur so fließen und verzauberte das Publikum. Großer Schlussapplaus auch für sie, in denen sich viele Bravorufe mischten.
Die Partie des Sergeanten Don Jose ist stets eine große Aufgabe und Herausforderung für jeden Tenor, der sie auf der Bühne verkörpert. Neben dem wunderschönen Duett mit Micaëla im ersten Akt, „Parle-moi de ma mère!„, der schwierigen Arie im darauffolgenden Akt „La fleur que tu m’avais jetée„, ist es auch die besonders kräftezehrende Aufgabe der Gestaltung des Schlussduetts mit Carmen. Mit seinem erschütterndem Schrei „Ah ! Carmen! ma Carmen adorée!“ findet diese Tenorpartie, und auch die Oper selbst, ihr dramatisches Ende und ist gleichzeitig der letzte musikalische Höhepunkt den Bizet in seiner Carmen setzte. Luc Robert sang diese Partie mit all seiner Routine, die er mittlerweile vielfach auf internationalen Bühnen als Don Jose erwerben und zeigen konnte und mit dem nötigen Schmelz und Gefühl in seiner Stimme. Die sogenannte „Blumenarie“ gestaltete er sehr zurückgenommen, sehr zart und berührend. Im Finale dann steigerte er sich noch einmal und wurde am Ende völlig zu recht vom Publikum für diese tolle sängerische Leistung gefeiert.
Und natürlich ist die Interpretin der CARMEN immer von ganz besonderem Interesse. Von ihr wird stimmlich, wie auch schauspielerisch eine Menge erwartet. Oftmals auch eine Traumrolle für jede Mezzosopranistin. Bettina Ranch debütierte am gestrigen Abend in dieser Partie am Aalto-Musiktheater. Zu Beginn ein wenig verhalten wirkend, was sicher der Premierensituation geschuldet war, sang und spielte sie sich im Laufe der Oper zunehmend freier. Ganz besonders gefiel sie mir im Kartenterzett ( „Mêlons! Coupons! Rien, c’est cela !„) mit ihrem ergreifend gesungenen „Toujours la mort“ und dann auch im Finale, im packenden Duett mit Don Jose ( „C’est toi ! – C’est moi !„), wo sie auch in tieferen Lagen gesanglich sehr überzeugen konnte. Ein gelungenes Debüt für die gebürtige Berlinerin!
Die Geschmäcker sind nun mal verschieden. Und das ist auch gut so! Das mich die Regie, das eher spärliche Bühnenbild und auch die (Einheits-)Kostüme dieser CARMEN-Inszenierung nicht ansprachen, mir wenig sagten und mir oftmals auch, besonders bei entscheidenden Arien und im Finale der Oper eher mehr störend als der Handlung unterstützend zuträglich vorkamen, mag nicht allgemeine Gültigkeit haben. Aber es wäre auch nicht ehrlich, hier zu schreiben, es hätte mir gefallen. Hat es dieses Mal leider nicht. Musikalisch war das aber ganz anders. Hier reichten oft allein die Ohren um Bizets Oper zu verstehen, zu hören, zu spüren, zu lieben. Denn die wahre Kraft, das volle Gefühl, liegen in der Opernpartitur. Es ist zu hören! Wenn man hören will!
Detlef Obens 16.10.2018
Bilder siehe unten !