Christoph Zimmermann 25.2.2018, Premiere: 2.12.2017
Vorwort des Regieduos zur Produktion IL TROVATORE
„Wir befinden uns in Europa in fünf Jahren. Es gibt einen Brexit hier, einen Trump dort, eine Marine Le Pen hier, einen Erdogan dort. Es gibt einen Hass zwischen Einheimischen und Fremden. Was passiert, wenn dieser Hass an die Macht kommt? Bürgerkrieg? Flüchtlinge?“, skizziert Moshe Leiser ihr Angstszenario für morgen. „Es gibt viele Situationen, die so nah sind. Deshalb machen wir keine historische Erzählung.“ (Auszug Caurier/Leiser im WAZ-Interview)
Il Trovatore im unaufgeräumten Keller
S’ist halt a Kreuz, sagt bei Thomas Mann der Herr Permaneder während seiner Aufwartung bei Konsulin Buddenbrook. Diese Worte lassen sich unschwer übernehmen für den Umgang mit dem allseits heißgeliebten „Trovatore“ in Essen. Bezüglich der szenischen Realisierung ist das Mittelstück von Verdis “trigolia popolare“ bekanntermaßen ein besonders problematisches Werk. „Rigoletto“ wartet immerhin mit sublimer Psychologie auf (Vater/Tochter-Konflikt) und ist stark gesellschaftkritisch gefärbt. Dieser Aspekt intensiviert sich bei „Traviata“, Verdis einzigem „Zeitstück“, um Etliches. Seinen über dem Textbuch verstorbenen Librettisten Salvatore Cammarano forderte der Komponist auf: „Je ungewöhnlicher und bizarrer, desto besser.“ Das ist die Überzeugung eines totalen Musikdramatikers, welche in ihrer Absolutheit heute aber nicht mehr gelten kann. Im Gegenteil: Verdis theatralische Auffassung ist Bremsklotz für Inszenierungen, welche zu einer stimmigen Abgleichung mit dem Heute verpflichtet sind.
Unter den Produktionen, welche Pipers „Enzyklopädie des Musiktheaters“ aufführt, wird für die neuere Zeit im Grunde einzig der Arbeit von Dietrich Hilsdorf in Essen 1992 ein (weitgehendes) Gelingen attestiert. Eine überarbeitete Konzeption bot der Regisseur 2012 in Bonn. Nun offeriert das Aalto Musiktheater nach „angstbesetzten“ (?) 25 Jahren einen neuen Deutungsversuch (in Zusammenarbeit mit der Seattle Opera). Er ist, was das Szenische betrifft, mächtig in die Hosen gegangen, um es gleich unumwunden zu sagen. Man sollte beim Regieduo Patrice Caurier/Moshe Leiser freilich nicht das Sprichwort in Anwendung bringen, wonach viele Köche den Brei verderben. Es gibt durchaus Erfolge zu dokumentieren, etwa drei Salzburger Produktionen mit Cecilia Bartoli.
Der „Trovatore“ bietet eine ziemlich krude Handlung, der Cammarano-Text, dem Aalto-Zuschauer per Übertitel aufs Auge gedrückt, verbale Klischees, welche die Fantasie eines Regisseurs eigentlich verdorren lassen müssten. Wäre „konzertant“ für das Werk nicht wirklich eine bessere Lösung, wie an vielen anderen inszenatorisch heiklen Opern vorteilhaft ausprobiert?
Zugegeben: die Herren Caurier/Leiser mühen sich um eine sinnfällige optische Umsetzung. Mehrfach sieht man die Projektion von ein, zwei Babygesichtern, Anspielung auf die Kindertragödien in der Opernvorgeschichte. Das Bruderverhältnis von Luna und Manrico wird hingegen kaum evident. Dass am Schluss Luna sowohl Manrico als auch Azucena erschießt und anschließend hohnlachend abgeht, unterstreicht zwar dessen brutalen Charakter, passt aber nicht zur vorgegebenen Story.
Die Regisseure stimmen auf Kriegsmilieu ein, vor allem beim Chor der Soldaten, welche ihre Gewehre in Richtung Publikum in Anschlag bringen. Ein besonderer Brutalo vergewaltigt eine Gummipuppe nach allen Regeln der Kunst. Zu Beginn sieht man eine choreografisch geordnete Soldateska, welche dann – angeführt von Ferrando – geflüchtetes Zigeunervolk drangsaliert. Ein Mann wird gar erwürgt, ein anderer abgeknallt. Die Überlebenden rächen sich am Ende des Klosterbildes, indem sie Manrico (an einer Krücke humpelnd) bei seinem Überfall auf Lunas Entführer zu Hilfe kommen. Der Chor ist in Essen ohnehin immer irgendwie zur Stelle, wenn er gebraucht wird.
Ansonsten passiert nicht viel, was politisches Klima erfahrbar machen könnte. Die von Christian Fenouillat belanglos gestaltete Bühne (die wenig bedeutsamen Kostüme stammen von Agostino Cavalca) wird zuletzt ein wenig demoliert. Freilich könnte man auch lediglich von einem unaufgeräumten Keller sprechen.
In der Hoffnung, nichts Bedeutsames übersehen zu haben, ist nunmehr zum musikalischen Teil der Aufführung zu kommen, was im Grund gleich zu Anfang hätte geschehen sollen. Giacomo Sagripanti verwirklicht mit den fantastischen Essener Philharmonikern Verdis geniale Musik mit Glut, lässt ihren dramatischen Puls machtvoll schlagen, aber auch die feingetönten Passagen der Partitur wie instrumentale Nebenstimmen zu Ihrem Recht kommen. Blendend der Chor (Jens Bingert).
Alle Sängerprotagonisten sind festspielwürdig. Deswegen sollte aber nicht unterschlagen werden, dass Liliana De Sousa die Ines ungemein stark gibt und Albrecht Kludszuweit aus dem Ruiz das Möglichste macht. Ensemblemitglied Nikoloz Lagvilva gibt einen kraftvollen, in der Höhe ausladenden Luna. Dass er in der Premiere am Ende des zweiten Aktes konditionell etwas abbaute, ist festzuhalten, soll aber keine wirkliche Kritik bedeuten. Eher missfällt, dass er dem Dirigenten rhythmisch mitunter vorauseilt. Gaston Rivero, aus Uruguay stammend, hat den Manrico schon oft und an vielen großen Häusern gesungen. Er versteht es, kraftvollen Gesang mit lyrischer Geschmeidigkeit zu verbinden. Ein sehr maskuliner Ferrando ist Baurzhan Anderzhanov.
Besondere Eindrücke kommen allerdings von den Damen. Die Litauerin Carmen Topciu gehörte einige Jahre dem Aalto-Ensemble an. Ihre Gast-Azucena ist ein einziges Mezzo-Glühen. Bis zum hohen D macht ihre Stimme ohne Kräfteverlust mit. Um sogar noch einige Grade imponierender setzt sich die Rumänin Aurelia Florian in Szene. Verdis Violetta ist ihre derzeit bevorzugte Partie. Koloraturversiertheit kommt auch der „Trovatore“-Leonore zugute. Höhe wie Tiefe sind gleichermaßen volltönend. Ihre mirakulöse Belcanto-Fähigkeiten beweist sie ein letztes Mal im finalen Gefängnisbild.