8. 2. 2020, Premiere
Mit Regie-Bildern zugepflastert
Im Oktober 2010 gab es an der Oper Graz die letzte Don-Giovanni-Premiere – damals in einer Inszenierung von Johannes Erath. Die Presse schrieb darüber: Wieder einmal wird auf der Opernbühne eine durchaus respektable musikalische Leistung durch einen absurden „Regie“-Spuk in den Abgrund gerissen. Ich selbst notierte: Die Inszenierung verlegt das Stück in ein Gefängnis sexuell verklemmter und outrierter Figuren. Und so wartete man gespannt, was sich 10 Jahre später das in Graz debütierende Leading-Team (Inszenierung Elisabeth Stöppler, Bühne Annika Haller, Kostüme Su Sigmund, Licht Sebastian Alphons, Video Sarah Derendinger, Dramaturgie Marlene Hahn) für ein Konzept ausgedacht hatte. Die Oper Graz hatte kundgetan: Die Arbeit von Videokünstlerin Sarah Derendinger wird darin eine wichtige Rolle spielen und zusätzlich vermerkt: Empfohlen ab 13 Jahren. Der ORF berichtete am Tag vor der Premiere: Die deutsche Regisseurin Elisabeth Stöppler holt die Oper in eine grell überzeichnete, übermedialisierte Welt. Man war als Premierenbesucher also „vorgewarnt“.
Auch wenn die lokale Nachtkritik wohlmeinend unmittelbar nach Aufführungsende schrieb Der "Don Giovanni" ist sowohl musikalisch als auch inszenatorisch gut, aber nicht groß geraten, halte ich es mit der FAZ vom Oktober 2018 zu Le Nozze di Figaro in Mainz (ebenfalls von Elisabeth Stöppler und Annika Haller inszeniert): Insgesamt wirkt die Oper mit Regie-Bildern zugepflastert: zu wenig Mozart und Lorenzo da Ponte, zu viel Stöppler….. Doch das Premierenpublikum reagiert mit freundlichem Applaus.
Genauso erlebte ich es jetzt in Graz!
Die Regisseurin äußert sich im Programmheft: Unser Raum ist eine Festung, ein Schloss, wirkt unentrinnbar und ist tatsächlich auch ein modernes Labyrinth, aus welchem keine der Figuren entkommen wird. Die Bühnenbildnerin hatte dazu gemeint, sie sei von den Gated Communities inspiriert worden. Gerne bekenne ich, dass ich keine Ahnung hatte, was damit gemeint sei – aber dank Wikipedia ist das alles aufklärbar: Eine Gated Community beschreibt einen geschlossenen Wohnkomplex mit verschiedenen Arten von Zugangsbeschränkungen. Natürlich ist auch diesmal bereits die Ouvertüre bebildert – die Gated Community rotiert ständig, die Figuren des Stücks sind isoliert in ihren „Einzelzellen“, offenbar auf sich selbst fixiert. Und es ist auch eine zusätzliche Figur eingeführt: Leporellos Frau, eine zarte Mädchenfigur, die ständig ein Baby mit sich trägt und sorgenvoll über die Bühne schreitet. Die Regisseurin begründet die Einführung dieser Figur damit, dass Leporello laut Text verheiratet sei – da stützt sie sich wohl auf das Rezitativ gegen Ende des 2. Aktes – Leporello: Ma se fosse costei stata mia moglie? Abgesehen davon, dass Lorenzo da Ponte hier den congiutivo trapassato einsetzt – also nur von einer theoretischen Möglichkeit gesprochen wird – trägt diese Kunstfigur nichts zum Handlungsgeschehen bei und die ratlose Frage eines Besuchers am Ende der Vorstellung an der Garderobe ist verständlich: Und was ist mit Leporellos Kind am Ende geschehen? Der Komtur erscheint nur in der 1.Szene persönlich. Im 2. Akt hört man seine Stimme nur über (verzerrenden) Lautsprecher. Dafür geistert den übrigen Abend sein Doppelgänger über die Bühne – eine zerbrechliche, an den großen Arik Brauer gemahnende Kunstfigur: Nicht zu Unrecht sprach ein anderer Besucher von einem szenischen Desaster der Komturszene.
Und so könnte man noch viele Details anführen, die das „Zupflastern der Oper mit Regie-Bildern“ belegen – also nochmals: zu wenig Mozart und Lorenzo da Ponte, zu viel Stöppler!!
Es gab in den letzten Jahren viele Opernproduktionen in Graz, bei denen ich Einwände gegen die szenische Umsetzung hatte. Da wurde das eigentlich immer durch sehr gute musikalische Leistungen „ausgeglichen“. Diesmal war das für mich leider nicht so! Das lag wohl zunächst an der musikalischen Leitung von Andrea Sanguineti Er wählte von Beginn an straffe, ja drängende Tempi. Aber das allein war nicht entscheidend – ich hatte den Eindruck, dass er sich in seiner Interpretation von der unruhigen Regie geradezu getrieben fühlte, die durch permanenten Einsatz der Drehbühne und durch die wechselnden, überlagernden Video-Projektionen keinerlei Ruhepunkte zuließ. Da wurde speziell im 1.Akt in permanenter Einheitslautstärke musiziert. Sanguineti begleitete alle Rezitative selbst am Hammerflügel – oft mit ein wenig manieriert wirkenden Zitaten (Figaro, Lohengrin, Türkischer Marsch und anderes). Auch dadurch gab es für mich sehr oft einen überstürzt-abrupten Übergang von den Rezitativen zum Orchester. Damit wurde auch auf die Gesangssolisten ständiger Druck ausgeübt, die gar nicht dazu kamen, Phrasen zu modellieren und den Ausdruck zu variieren. Es wurde einfach ständig in einem Einheitsforte gesungen. Das ist vor allem deshalb besonders zu bedauern, weil die Solisten allesamt über reiche und für ihre Partien geeignete Stimmen verfügen. Alexey Birkus als Don Giovanni ist ein schöntimbrierter, echter Basso cantante, Neven Crnić ein robuster Leporello und Katerina Tretyakova eine höhensichere, dramatische Donna Anna. Die spanische Mezzosopranistin Anna Brull bewältigte die Elvira eindrucksvoll und Pavel Petrov war als Don Ottavio ein italienischer Belcantist. Dariusz Perczak war ein souveräner Masetto – und nur die stimmlichen Leistungen von Opernstudio-Mitglied Eva-Maria Schmid als Zerlina und von Dmitrii Lebamba als (vor allem aus dem Off recht tremolierend klingender) Komtur sind noch ausbaubar. Sie allen waren zu einem recht undifferenzierten Singen angehalten. Man war im 2. Akt froh, dass zumindest an drei Stellen Mozart zu seinem Recht kam: in Ottavios Arie Il mio tesoro und in den beiden großen Szenen von Donna Elvira und von Donna Anna erlebte man erfreulich gestalteten Mozartgesang.
Die eindimensionale musikalische Gestaltung liegt natürlich auch – und wohl vor allem an der Regie, die ausdrücklich die zu Mozarts Zeiten übliche gesellschaftliche Trennung zwischen Adel, Bürgertum und Bauern negiert. Alles spielt sich in einem Einheitsbrei moderner Spaßgesellschaft ab, alle Figuren sind gleichgeschaltet – entsprechend modern können sie sich um ihre libidinösen Bedürfnisse kümmern und sind dabei alle existenziell-gefährdet unterwegs – so die Regisseurin im Programmheft. Kein Wunder, wenn bei einem derartigen Konzept die musikalischen Subtilitäten der Mozart-Partitur untergehen! So empfindungslos und sich permanent bloß um Selbstbespiegelung mit Selfies und – um ihre libidinösen Bedürfnisse kümmernd – hat man die Mozart-Figuren selten erlebt. Ihre Zwiespältigkeit, Doppelbödigkeit und auch Rätselhaftigkeit waren nicht zu erleben – schade! Die stimmlich ordentliche Leistung des Chors (Einstudierung: Georgi Mladenov) soll nicht unerwähnt bleiben. Szenisch waren seine Aktionen – als Klone von Zerlina und Masetto – eher peinlich – ebenso wie das zwanghafte Mittanzen der (sauber musizierenden!) Bühnenmusik.
Bleibt zu hoffen, dass die folgenden Aufführungen eine Steigerung der musikalischen Leistungen mit sich bringen werden – die Grazer Philharmoniker und das Solistenensemble können es deutlich besser! Der freundliche Applaus des Publikums am Ende – auch für das szenische Team – zeigte, dass ich diesmal mit meiner Einschätzung wohl etwas einsam dastehe. Aber ich bleibe dabei: „zu wenig Mozart und da Ponte, zu viel Stöppler“ – Graz muss weiterhin auf eine gültige Don-Giovanni-Produktion warten!
Hermann Becke, 9. 2. 2020
Szenenfotos: Oper Graz © Werner Kmetitsch
Hinweise:
14 weitere Vorstellungen bis Juni 2020 (mit wechselnden Besetzungen)