Karfreitag 19. April 2019
Grell-phantastisches Musiktheater
Neben der für ein Opernhaus wie der Staatsoper Hamburg zu erwartenden musikalischen Qualität waren die letzten Inszenierungen von Richard Wagner´s Bühnenweihfestspiel Parsifal durchaus spektakulär.
Die ab 1976 gezeigte Inszenierung von August Everding erregte besondere Aufmerksamkeit dadurch, daß der Wiener Künstler Ernst Fuchs dafür ein monumentales und in Jugendstil-Ornamentik farbiges Bühnenbild mit entsprechenden Kostümen schuf. (ML Eugen Jochum und Horst Stein)
Ab 1991 sorgte dann der Texaner Robert Wilson für eine Neuinszenierung und auch gleich für das manchmal etwas kunstgewerblich anmutende Bühnenbild. Die meisten Zuschauer erlebten damals zum ersten Mal seine fast ganz auf Lichteffekte reduzierte Regie mit gespreizten Bewegungen der Darsteller im Zeitlupentempo – heute wissen wir, daß das eine Art Masche ist, die er auf alle Operninszenierungen anwendet. (ML nacheinander Gerd Albrecht, Ingo Metzmacher und besonders Simone Young)
Diese Reihe wurde nun zu Beginn der vorigen Spielzeit weitergeführt. Nach Absetzung seiner sehr lange im Repertoire gehaltenen Inszenierung der Zauberflöte wandte sich Achim Freyer jetzt fast als Fortsetzung davon dem Parsifal zu und war unter der musikalischen Leitung von Kent Nagano wieder für Inszenierung, Bühne, Kostüme und Licht verantwortlich. Am vergangenen Karfreitag war Wiederaufnahme.
Prägend für den visuellen Eindruck der Aufführung war bekanntlich das Bühnenbild. Es bestand aus einer riesigen die ganze Bühne ausfüllenden kugelförmigen Spirale. Auf ihrer Vorderseite konnten auf einem bis zum Orchestergraben hin reichenden durchsichtigen Gazevorhang Worte projeziert werden, die irgendwie mit dem Bühnenweihfestspiel in Zusammenhang stehen sollten, heute fast schon üblich! Nach hinten waren Ringe der Spirale begehbar, zum einen für phantastische Gestalten der christlichen Mythologie, aber auch für weltliche Gegenstände wie ein Fahrrad – den Besucher aus Münster freut`s! Die kurze Projektion eines Hasen sollte vielleicht an Schlingensief´s Bayreuther Parsifal erinnern? Zum anderen konnten auf den Spiralen Solisten und Chöre stehen. Kundry etwa stürzte so von oben auf die Bühne. Die Gralsritter konnten zur Gralsenthüllung verteilt neben- und übereinander stehend singen – akustisch sehr eindrucksvoll. Während der Gralsenthüllung schritt eine Figur mit leuchtendem Unterrock von rechts nach links, die später als Skelett im Kinderwagen zurückgeschoben wurde. (auch Erinnerung an Schlingensief?) Sehr passend war, daß bei der militaristischen Chorstelle gegen Ende des ersten Aufzuges die von den Rittern getragenen weissen Lichter sich in rotweisse Grablichter verwandelten. Zwar war der Speer nur eine Neonröhre, die beim Zusammenbruch von Klingsors Reich am Ende des zweiten Aufzugs erlosch, durch Lichteffekt, die die Bühne zusammenstürzend in schmutziges Grau verwandelte, entstand trotzdem ein starkes Bild.
Durch Drehen der Kugel sollte wohl noch mehr zum Raum die Zeit werden sodaß gegen Ende des dritten Aufzuges sogar das Orchester verzerrt in den Zuschauerraum gespiegelt wurde..
Dagegen wirkten die grell geschminkten Gesichter und Kostüme teils befremdlich. Parsifal kam als Clown daher, Kundry sah aus wie ein dem Wald entsprungenes Zottelwesen, mehr furchtbar als furchtbar schönes Weib – der Versuch, Parsifal zu verführen, konnte da nur singend erfolgen. Als Superhirn, das alles weiß verfügte Gurnemanz im ersten Aufzug über zwei Köpfe. Titurel im Rollstuhl war eigentlich nur ein grosser Papst-Hut kleinem Kopf darunter (mit viel Vibrato Tigran Martirossian) Wie die Ritter waren die Knappen schwarz gekleidet – dazu bauhandwerkliche Instrumente tragend (Freimaurer?). Dabei sangen sie präzise. .
In diesem Rahmen spielte – einziger Sänger einer Hauptrolle aus der Premierenbesetzung – Vladimir Baykov beweglich, fast akrobatisch, den unglücklichen Klingsor. Sein Kostüm wurde geprägt durch eine riesige rosa Krawatte die die Stelle bedeckte, wo er die Frevlerhand an sich gelegt hatte Dabei sang er textverständlich sowohl Dämonie als auch Verzweiflung mit kernigem Baß ausdrückend. Mit Hilfe eines Laptops und Lichteffekten konnte er Parsifal rechtzeitig zu Kundry´s Erweckung kommen sehen und die Blumenmädchen aktivieren. Letztere fielen vor allem durch gross aufgeblasene Brüste auf, versuchten aber trotzdem nur mit Luftballons, Parsifal zu verführen – dafür sangen sie verführerisch schön.
Alle anderen Darsteller der Hauptpartien standen meist nur singend auf der Bühne mit gestischen Bewegungen der Arme, die an Wilson´s Inszenierung erinnerten.
Als eigentliche Hauptpartie des Stücks sang Attila Jun für zwei Aufführungen den Gurnemanz. Hatte man im ersten Aufzug Bedenken, ob der die riesige Partie bis zum Schluß meistern würde, so konnte er sich im dritten Aufzug erheblich steigern – für die langen Töne etwa bei Gesegnet sei oder im Karfreitags-Zauber das will ihr Gebet ihm weihen hatte er den langen Atem ohne falsches Vibrato. dies alles mehr mit kraftvollem denn mit salbungsvollem Timbre. Als Amfortas überzeugte Egils Silins mit starkem textverständlichem Baß, mächtigen Erbarmen – Rufen und ekstatischem Schlußaufschrei. Spielen brauchte er nicht viel, denn er wurde wie ein gekreuzigter Jesus mit Dornenkrone von zwei Ku-klux-Clan Figuren getragen. Im letzten Aufzug riß der dies dann doch weg und zeigte seine Wunde. Für einen Tenor, der Tristan und Otello gesungen hat, ist der Parsifal eine kleinere Partie. Robert Dean Smith sang sie mit gut geführter Stimme, den Aufschrei Amfortas die Wunde oder auch den Schluß Nur eine Waffe hat man schön kräftiger gehört. Stimmlich grosse Klasse war Tanja Ariane Baumgartner als Kundry. Trotz ihres unvorteilhaften Kostüms beeindruckte sehr sowohl das tiefe p bei Herzeleide starb als auch der grosse stimmliche Sprung bei und lachte. Furiengleich besang sie ihr danach wiederkehrendes Lachen und den Fluch an Parsifal.
Ihren besonderen musikalischen Rang erhielt die Aufführung einmal durch den von Eberhard Friedrich einstudierten Chor der Staatsoper. Mächtig erklangen die Herrenchöre der Ritter – für alle sei stellvertretend genannt Ks. Jürgen Sacher als erster Gralsritter. Ergreifender war noch, wenn der gesamte Chor p im ersten Aufzug ohne Orchesterbegleitung selig im Glauben sang oder verklingend im dritten Aufzug Erlösung dem Erlöser
Hauptträger des Bühnenweihfestspiels ist das Orchester. Hier liessen Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester auch mit von weither angereisten Aushilfen eine Glanzleistung hören. Angepaßt an deren stimmliche Möglichkeiten wurden die Sänger rücksichtsvoll begleitet. Dynamisch und betreffend Tempo disponierte der Dirigent genau überlegt – der erste Akt dauerte trotz langsamen Vorspiels gut fünfundneunzig Minuten, wie schon bei seinem Dirigat vor langer Zeit in Baden-Baden. Innerhalb dieses Rahmens gab es ganz dramatisch schnelle Stellen und fast Stillstand, etwa nach Titurels Enthüllet den Gral. Natürlich konnte im offenen Orchestergraben kein Bayreuth-ähnlicher Mischklang entstehen, dafür erfreuten um so mehr der ruhige runde Klang der Hörner oder die jetzt deutlich zu hörenden Soli einzelner Holzbläser und Streicher. Ein musikalischer Höhepunkt war das Vorspiel zum dritten Aufzug.
Nicht nur musikalisch erfreulich war der Schluß, auch szenisch war er positiv gestaltet. Kundry starb nicht. Sie und Parsifal standen bei den Schlußakkorden mit erhobenen Armen auf der Bühne, während das Wort Anfang darüber projeziert wurde – vielleicht Erlösung für beide?
Das Publikum in der gut besuchten Staatsoper – gut besucht trotz zum Karfreitags-Zauber passenden Frühlingswetters – dieses Publikum spendete allen Sängern, besonders der Kundry, und dem Chor grossen Beifall mit Bravos, Es steigerte sich zum Bravo-Geheul, als Kent Nagano – inzwischen in Hamburg sehr beliebt, wie schon der Beifall vor der Aufführung zeigte – die Bühne auch mit Dank ans grosse Orchester betrat.
Sigi Brockmann 22. April 2019
Fotos Hans-Jörg Michel- ausser dem Darsteller des Klingsor jeweils die Mitwirkenden der Premiere. Dank Schminke und Kostümen sind sie allerdings ohnehin kaum zu unterscheiden.