Premiere am 8. Dezember 2018
Nur teilweise witzig
Brian Davis/Ania Vegry/Dorothea Maria Marx
Manfred Trojahns 1998 in München uraufgeführte Oper „Was ihr wollt“, nachgespielt in Duisburg 2001 und in Weimar 2002, geht zurück auf Shakespeares gleichnamige Komödie, in der die Geschlechterrollen und Ordnungen gründlich durcheinander gebracht werden. Kurz zur Erinnerung: Nach einem Schiffsunglück findet sich die junge Viola an einem Strand wieder; ihren Zwillingsbruder Sebastiano, der ebenfalls an Bord war, hält sie für tot. In Männerkleidern als Page Cesario stellt sie sich in den Dienst des in die Gräfin Olivia verliebten Herzogs Orsino. Olivia ignoriert die Liebesbekundungen des Herzogs, findet aber Gefallen an Cesario/Viola. Diese allerdings verliebt sich in den Herzog. Damit nicht genug an Verwirrungen: Olivia wird von zwei verlotterten Edelmännern bedrängt; dahinter steckt ihr Onkel Toby, der sich die Reichtümer seiner Nichte unter den Nagel reißen will, indem er sie mit seinem Saufkumpan Andrew zu verkuppeln sucht. Damit der ordnungsliebende Verwalter Malvolio nicht dazwischenfunkt, benutzt man dessen stille Liebe zu Olivia für einen üblen Streich, der den respektablen Mann zur Witzfigur macht. Als schließlich Violas Zwillingsbruder Sebastiano auftaucht und Olivias Annäherungen erwidert, ist das Verwirrspiel perfekt. Bei Shakespeare gibt es ein Happyend, wie es sich damals für eine anständige Komödie gehörte, nicht so bei Trojahn und seinem Librettisten Claus H. Henneberg, die mit ihrem völlig offenen, etwas bitteren Schluss alle, die handelnden Personen und damit auch die Zuschauer, ziemlich ratlos zurücklassen. Ganz am Ende lassen sie den Narren wie bei Shakespeare das volkstümliche Lied vom „Regen, der jeglichen Tag regnet“, singen – Opernfreunden aus Nicolais „Lustigen Weibern“ wohlbekannt.
Stefan Adam/Martin Berner/Edward Mout/Brian Davis/Julia Sitkovetsky
In Hannover haben der Regisseur Balázs Kovalik und sein Team – Hermann Feuchter (Bühne) und Angelika Höckner (Kostüme) – das turbulente, nur teilweise witzige Treiben in eine geschäftsmäßige, zum Inhalt querstehende Welt versetzt, die an einen riesigen Lagerraum erinnert. Das Bühnenbild besteht aus übereinandergestapelten Kartons, die zwar Ordnung vorgeben, aber auch stets die Gefahr suggerieren, zusammenzubrechen. Die Geschlechterrollen im Stück sind schon in der Vorlage reichlich durcheinander geraten; der Regisseur setzt sogar noch einen drauf, indem er das Ganze fast in eine Travestie ausarten lässt. So tritt der Narr im hellblauen Tutu auf und Orsino gefällt sich darin, das Kleid der geliebten Olivia zu tragen. Im Übrigen wurde schnell deutlich, dass das ganze Spiel vom Narren arrangiert ist: Er sorgte anfangs noch vor Beginn der Musik dafür, dass die Zwillinge aus einem Karton stiegen und sich vor und hinter einem großen Spiegel wieder fanden. Wenn sich diese Position im Verlauf des Abends immer dann wiederholte, wenn ein Zwilling an den anderen dachte und von ihm sang, war das zunehmend irritierend, weil sich die beiden Darsteller abgesehen von der gleichen blonden Lockenperücke so gar nicht ähnlich sahen und das zusätzlich für Verwirrung sorgte. Insgesamt wurde vor der „Kartonwand“ ausgesprochen flott agiert; zusätzlich sorgten die von den Akteuren gefahrenen Gabelstapler für reichlich Bewegung und auch komische Situationen.
Simon Bode/Ania Vegry
Dass das turbulente Spiel so lebhaft wirkte, unterstrich die farbige, flexibel auf die jeweiligen Situationen eingehende Musik, die gleichfalls besinnliche Passagen zuließ, wie z.B. die große Liebesklage Orsinos oder Olivias Liebeserklärung an Cesario/Viola.
All dies war beim musikalischen Leiter Mark Rohde in besten Händen, der mit großer Umsicht und überaus präziser Zeichengebung das Niedersächsische Staatsorchester Hannover zu Höchstleistungen animierte, das in allen Gruppen technisch vertrackte Parts zu absolvieren hatte, was vorzüglich gelang. Zugleich gab der Dirigent dem Ensemble auf der Bühne genügend Raum, ihre sängerisch ungemein anspruchsvollen Rollen effektvoll zu gestalten. Da ist zuerst Ania Vegry zu nennen, die sich als geradezu perfekte Koloratursopranistin erwies: Wie sie die mit aberwitzigen Intervallsprüngen gespickte, fast nur in höchsten Lagen notierte Partie der Viola/Cesario blitzsauber beherrschte und auch die lyrischen Phrasen ausdrucksvoll zur Geltung brachte, das hatte ganz hohes Niveau. Ebenfalls positiven Eindruck hinterließ der meist belkantistisch dahinfließende Tenor von Simon Bode als liebestoller Orsino. Brian Davis, bisher als dramatischer Bariton erlebt, zeigte überraschend komödiantische Züge als gefoppter Malvolio; ein besonderes Kabinettstückchen war sein lang ausgehaltener Ton, währenddessen er sich selbst auf dem Gabelstapler in große Höhen beförderte. Einmal mehr gefiel der abgerundete, schönstimmige Sopran von Dorothea Maria Marx als Olivia. Martin Berners tragfähiger, angenehm timbrierter Bariton passte gut zur Rolle des Narren, der hier stets den Eindruck erweckte, alle Fäden in der Hand zu haben.
Edward Mout/Stefan Adam
Auf der Seite der Nebenfiguren gab es ebenfalls ausgezeichnete Leistungen: Die beiden im typischen Schotten-Dress auftretenden, dem Alkohol reichlich zuneigenden Adligen Sir Toby Belch, hier in mehrfacher Beziehung an Falstaff erinnernd, und der teilweise im wagemutigen Duell-Wahn befindliche und dadurch witzige Sir Andrew Aguecheek waren mit kräftigem Bariton Stefan Adam und klarstimmigem Tenor Edward Mout. Als prolliges Kammermädchen Maria trat Julia Sitkovetsky mit sicher geführtem Sopran auf. Jonas Böhm als „Zwilling“ Sebastiano und als dessen Retter Antonio Michael Dries sowie die Chorsolisten Tadeusz Slowiak, Thomas Kubitza, Mohsen Rashidkhan und Jong-Soo Ko ergänzten das sehr spielfreudige Ensemble.
Das Premierenpublikum im nur mäßig besetzten Haus bedankte sich bei allen Mitwirkenden durch kräftigen Beifall, in den auch der Komponist Manfred Trojahn einbezogen wurde.
Fotos: © Jörg Landsberg
Gerhard Eckels 9. Dezember 2018
Weitere Vorstellungen: 14.,27.12.2018+5.,8.,20.1.2019