Premiere am 4. November 2018
Großer Spaß
Sung-Keun Park/Stella Motina/Chor
Da ist so allerhand los im Königreich Krokodyne, wo es einen korrupten Polizeichef, einen königlichen Schwarzmagier sowie speichelleckende Minister gibt. Regent ist der vergnügungssüchtige, laufend Schulden anhäufende Prinz Fridolin XXIV., der vom guten, zauberkräftigen Geist Robin zum Wohle des Landes mittels einer Reise in fantastische Welten auf den Pfad der Tugend gebracht werden soll. Robins Gegenspielerin ist die Hexe Kalebasse, die die den Prinzen liebende Grafentochter Rosée-du-Soir gefangen hält, die erst einmal befreit wird und – zunächst als Mann verkleidet – mit dem Prinzen auf Reisen geht. Kalebasse verhext derweil die Mitglieder des königlichen Gemüsebeets, die als König Karotte und Gefolge aus Radieschen, Porree und Roten Beten die Macht übernehmen. Fridolins Reise geht zum Zauberer Quiribibi, der ihn auf die Suche nach dem magischen Ring des Salomon ins antike Pompeji kurz vorm Vesuv-Ausbruch und in den Arbeiterstaat der Ameisen schickt. Schließlich kommt es auch mit Hilfe Fridolins und seiner Getreuen zum Aufstand gegen den welkenden Karottenkönig, also zu einer richtigen Revolution. Nach allen Turbulenzen beschließt das turbulente Spiel um die Macht in Krokodyne natürlich ein Happyend.
Mit König Karotte schufen Jacques Offenbach und der Librettist Victorien Sardou eine gelungene Verbindung von märchenhaftem Zaubertheater – als opéra-féerie seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert bis weit in die französische Romantik sehr beliebt – und komödiantischer opéra bouffe, in der es wie immer in Offenbachs Operetten zahlreiche literarische und politische Anspielungen gibt, die heute kaum noch verständlich sind, aber doch teilweise erstaunliche Aktualität aufweisen. Die Uraufführung 1872 am Pariser Théâtre de la Gaîté wurde zu einem von Offenbachs größten Erfolgen. Nach 193 Vorstellungen in sechs Monaten und Folge-Produktionen in London und Wien verschwand das muntere Werk jedoch fast 150 Jahre in der Versenkung. Nach der erfolgreichen Wiederentdeckung 2015/16 in Lyon gibt es nun zum Offenbach-Jahr 2019 (200. Geburtstag) in Hannover die deutsche Erstaufführung der neuen Edition der Musik mit der Neuübersetzung von Jean Abel.
Eric Laporte/Byung Kweon Jun/Stella Motina/Uwe Gottswinter/Pawel Brozek/Daniel Eggert/Frank Schneiders
Das Inszenierungsteam des Regisseurs Matthias Davids erlag nicht der Versuchung, das märchenhafte Geschehen gewaltsam zu aktualisieren – die Parallelen zu den Diktaturen dieser Welt oder dem unberechenbaren Präsidenten einer Weltmacht sind da deutlich genug. Zu den hierzulande bekannten Problemen blieb es bei Andeutungen, die zu Lacherfolgen führten: So war eine der ersten Amtshandlungen von König Karotte das Zeigen der Merkel-Raute, oder es gab eine spitze Bemerkung zum Zustand der aktuellen Regierung. Im Übrigen machten die mit verblüffend einfachen Mitteln bewirkten, überaus raschen Wechsel der Szenen staunen (Bühne: Mathias Fischer-Dieskau – Licht: Sascha Zauner), in denen geradezu eine Kostümorgie ablief. Susanne Hubrich hatte den Fundus gründlich geplündert, um die vielen Choristen und Statisten immer wieder unterschiedlich einzukleiden, was bis zu dem tollen Auftritt von acht Statisten in vollständiger Ritterrüstung führte. Damit sind wir bei dem Agieren auf der Bühne: Wie es dem Regisseur und der Choreographin Kati Farkas gelungen ist, das Ensemble und den Chor zu den flotten Tanz-Bewegungen bei Can-Can, Walzer und anderem zu animieren, das machte richtig Spaß anzusehen, zumal alle mit unbändiger Spielfreude bei der Sache waren. Sicher, manche der zum Verstehen des Inhalts wohl erforderlichen Sprechtexte zogen sich ein bisschen hin, aber insgesamt war es ein rundum gelungener Musiktheater-Spaß.
Mareike Morr/Athanasia Zöhrer
Wesentliches Element des großen Premierenerfolgs war natürlich die mitreißende Musik Jacques Offenbachs, die bei Valtteri Rauhalammi am Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters in guten Händen war. Er sorgte in den vielen großen Szenen für den nötigen Zusammenhalt, kostete aber auch die etwas ruhigeren Abschnitte gut aus, wie z. B. das schöne Quintett bei der Ankunft in Pompeji oder das Liebesduett Rosée/Fridolin zu Beginn des 4. Akts.
Das hannoversche Ensemble bewies mit durchweg guten Leistungen hohe Qualität; die vielen Wechsel von den gesprochenen Texten zu den Musiknummern – nicht gerade eine Lieblingsbeschäftigung von Opernsängern – gelangen ausgezeichnet. In der Titelrolle stellte Sung-Keun Park, seit vielen Jahren im ernsten, lyrischen Tenorfach zu Hause, seine stimmliche Vielseitigkeit unter Beweis, indem er die hohe Tessitura der Partie blendend beherrschte und dazu einen urkomischen König Karotte gab. Prinz Fridolin war mit großer Beweglichkeit in Körper und Stimme Eric Laporte, der seinen ausgeglichenen, tragfähigen Tenor wirkungsvoll einzusetzen wusste. Einmal mehr überzeugte als Robin Mareike Morr mit lebhaftem Spiel und klugem Einsatz ihres charaktervollen Mezzosoprans.
Als zunächst unglückliche, später treue Begleiterin des Prinzen mit dem schönen Namen Rosée-du-Soir trat Athanasia Zöhrer auf, die einen in allen Lagen abgerundeten, intonationsreinen Sopran hören ließ. Eine total flippige Prinzessin Kunigunde gab Stella Motina mit heller, zu ihrer Gestaltung passender manchmal fast schriller Stimme. Der Hexe Kalebasse und dem Zauberer Quiribibi gab der Schauspieler Daniel Drewes jeweils herrlich albernes Profil. Mit ausgesprochen flexibler Führung seines charakteristischen Basses und witziger Darstellung war Frank Schneiders der Polizeichef Pipertrunck, der im Laufe des Stücks mehrmals die Seiten wechselte, ein wahrer Wendehals. Zum Gefolge des Prinzen und zwischenzeitlich zu König Karotte gehörten in aberwitzigen Kostümierungen der Schwarzmagier Truck (Byung Kweon Jun), Baron Koffre (Uwe Gottswinter), der eher als Piraten-Kapitän ausgestattete Marschall Trac (Pawel Brozek) und Finanzminister Graf Schopp (Daniel Eggert). In mehreren kleineren Rollen machte
Carmen Fuggiss gute Figur; zahlreiche tüchtige Chorsolisten ergänzten. Schließlich gefiel in besonderem Maße der wieder klangprächtige Chor (Lorenzo Da Rio).
Das rundum begeisterte Premierenpublikum im nahezu ausverkauften Haus bedankte sich bei allen Beteiligten mit starkem, lang anhaltendem und mit Bravo-Rufen gemischtem Beifall für den höchst unterhaltsamen Abend.
Fotos: © Jörg Landsberg
Gerhard Eckels 5. November 2018