Premiere: 15.03.2020
Theater Krefeld trotzt der Corona-Krise mit vorbildlichem Kundenservice
Derzeit sind nahezu sämtliche Theater in Deutschland auf Grund des Corvid-19-Virus geschlossen, einem Thema, dem man sich in vielen Lebensbereichen gerade nicht entziehen kann. Das Theater in Krefeld hat sich allerdings dazu entschieden, dass die für heute angesetzte Premiere der Oper „Rusalka“ von Antonin Dvořák trotz der vorerst bis Ende März angesetzten Schließung des Hauses dennoch stattfinden soll. Um die Inszenierung von Ansgar Weigner hierbei so vielen Zuschauern wie möglich zugänglich zu machen, wurde diese Premiere live auf dem YouTube-Kanal des Theaters gestreamt. Bei dieser Gelegenheit entstand diese für den Verfasser erste „Livekritik“, die parallel zur Übertragung verfasst wurde.
Vorab aber noch ein paar kurze Worte zum (etwas abgewandelten) Inhalt der Oper, die in Krefeld zu einem wahren Familiendrama wird. Die auf Grund einer Gehhinderung zumindest zum Teil an den Rollstuhl gefesselte Rusalka vertraut ihrem Vater an, dass sie von einem Leben unter den Menschen träumt (bisher kennst sie wohl ausschließlich ihre Familie), um dort ihre Liebe finden zu können. Der alte Mann warnt seine Tochter vor diesem Schritt, denn die menschliche Welt ist eine durchaus grausame. Auch die Mutter Jezibaba will ihre Tochter nicht gehen lassen, gibt aber schließlich doch nach. Allerdings weist sie nochmals eindrücklich darauf hin, dass sie damit für immer ihr zu Hause verliert. In der Menschenwelt begegnet Rusalka einem Prinzen, der ganz ihren Träumen entspricht. Die beiden wollen heiraten, obwohl Rusalka von vielen als Außenseiterin abgelehnt wird. Doch bevor es zur endgültigen Hochzeit kommt, taucht Rusalkas Mutter als fremde Fürstin auf um ihr den Prinzen auszuspannen. Nur in ihrem Vater sieht Rusalka noch den Retter, der sie aus dieser feindlichen Gesellschaft wieder befreien kann. Rusalka wird von ihrer Mutter für den Ausbruchversuch bestraft und vom Familienleben ausgeschlossen. Sie verlangt zudem von der Tochter, sich am Prinzen zu rächen indem sie ihn tötet. Als dieser wieder im Haus erscheint, kommt es zu einer tödlichen Begegnung.
Diese Handlung wurde im Übrigen vor jedem Akt auch für die Zuschauer eingeblendet. Auch die Einblendung der Untertitel, der in tschechischer Sprache aufgeführten Oper funktioniert ganz wunderbar, damit aber zu der bereits erwähnten „Livekritik“. Bereits in der bespielten Ouvertüre wird schnell klar, dass die Mutter eine mehr als nur strenge Frau ist, die in dieser Familie das Sagen hat. Eva Maria Günschmann verkörpert diese Rolle der Übermutter bravourös, zu Beginn vor allem durch ihr Schauspiel, im Verlaufe des Abends auch durch ihre gesanglichen Darbietungen, einen ersten größeren Part hat sie erst nach einer knappen halben Stunde zu singen. Zu dieser Zeit werden mir im Übrigen 765 Zuschauer beim Livestream angezeigt, was in etwa 40 Plätze über dem ausverkauften Haus bedeuten würde. Stichwort bravourös, gleich im ersten Akt der Oper wird auch klar, dass die Rolle der Rusalka mit Dorothea Herbert, die bereits in Mönchengladbach als Salome vollkommen überzeugen konnte, ganz wunderbar besetzt ist, solch einen wunderbaren Sopran hört man nicht alltäglich. Hayk Deinyan gibt am Premierenabend einen überzeugenden Vater und rundet damit die Familienbesetzung ab, mal abgesehen von den drei Schwestern, die immer wieder einen kleinen Auftritt haben. Ein paar Worte noch zum Bühnenbild von Tatjana Ivschina, die zudem auch die Kostüme für diese Produktion entworfen hat. Die Oper spielt vor allem in einer klammen Kellerwohnung, in der auf der rechten Seite Rusalkas Zimmer angebracht ist. Ein brennender Eimer scheint offenbar die einzige Wärmequelle in diesem Heim zu sein. Die Wände schimmern etwas vermodert und auch auf dem Boden scheint sich Wasser zu spiegeln. In dieser Wohnung „verwandelt“ Jezibaba zudem ihre Tochter durch einen Zauber, der in diesem Fall durch Make-Up, Schmuck und Parfum dargestellt wird. Und in dieser Wohnung trifft Rusalka auch auf Ihren Märchenprinzen, der wie es scheint, allerdings nur in ihrer Fantasie besteht. Auch hier ist die Besetzung mit David Esteban treffend gelungen. Damit endet nach 50 Minuten der erste Akt sehr gewöhnungsbedürftig ohne jeglichen Applaus, der bei einer gewöhnlichen Premiere an dieser Stelle sicher bereits sehr euphorisch ausgefallen wäre. Etwas verborgen blieb mir allerdings, warum Rusalka am Ende des Aktes auf Ihren Rollstuhl verzichten konnte, ist dieser einfach in der Traumwelt nicht vorhanden oder wurde dies in der Inszenierung zumindest kurz angedeutet? Hier gebe ich an dieser Stelle zu, dass meine Aufmerksamkeit am Fernseher nicht ganz so gut wie im Opernhaus funktioniert, erst recht nicht, wenn man dabei versucht einen zumindest halbwegs verständlichen Text zu verfassen.
Der zweite Akt beginnt mit einer Art Zwischenspiel bei dem Heger (Kairschan Scholdybajew) und sein Küchenjunge (Susanne Seefing) über die neue Frau an der Seite des Prinzen schlecht reden, bevor der Palast des Prinzen erscheint, in dem nun die große Hochzeit gefeiert werden soll. Hier erlebt Rusalka in ihrem bösen Traum allerdings statt des ersehnten Glückes, wie ihre Mutter als fremde Fürstin den Prinzen umgarnt und dieser sich auf der Hochzeitsfeier plötzlich gegen Rusaka wendet und sich stattdessen unter dem Jubel des Volkes an die Seite der Fürstin stellt. Diese Umsetzung gelingt Ansgar Weigner sehr gut, der in Krefeld u. a. mit „Die Liebe zu den drei Orangen“, „Frau Luna“ und „Otello darf nicht platzen“ drei Publikumsfavoriten der letzten Jahre inszenierte. Erwähnenswert an dieser Stelle noch der wie immer gut einstudierte Opernchor des Theaters, der insbesondere bei der Hochzeit eine wichtige Rolle einnimmt. Im Verlaufe des zweiten Aktes entwickelt sich zunehmend ein Familiendrama zwischen den Personen, in welches der Prinz irgendwie unabsichtlich hineingeraten ist. In der Pause erklärt der Regisseur auch diese familiären Ansätze der Inszenierung nochmal sehr anschaulich in einem sehr interessanten Video zu dieser Produktion. Eva Maria Günschmann und Diego Martin-Etxebarria gehen in diesem Pausenvideo auch nochmal auf die schwierige Einstudierung der tschechischen Sprache ein. Nach der Pause befinden wir uns wieder im gewohnten Bühnenbild des ersten Aktes und die Übermutter zieht Rusalka zur Verantwortung. Während die Familie aus Vater, Mutter und den drei Schwestern Weihnachten feiern, muss Rusalka die Zeit in einer Art Kellerraum unterhalb des Kellers verbringen. Diese Inszenierung ist nicht immer leichte Kost und wie es schnell passieren kann, sind bei solchen Übertragungen nicht immer alle Szenen komplett logisch. Dennoch gelingt es hier, dem Märchen eine gänzlich andere Interpretation zu geben und wenn man sich einmal darauf einlässt, erwartet den Zuschauer ein durchaus interessanter Opernabend, der musikalisch wie bereits erwähnt ebenfalls komplett überzeugen kann. Und das obwohl es in der Regel wenig förderlich ist, wenn man eine Darstellerin die Silbermond-Arie im Liegen singen lässt.
Auch die Niederrheinischen Sinfoniker unter der musikalischen Leitung von Diego Martin-Etxebarria klingen am TV-Bildschirm sehr gut, soweit dies eben bei einer solchen Übertragung möglich ist. Abgesehen von einigen kleineren Auflösungsproblemen verlief die rund 160minütige Übertragung zudem ohne jegliche Probleme, hier hat das Theater in sehr kurzer Zeit ein technisch sehr gelungenes Projekt bewerkstelligt, hierfür allen beteiligten Personen ein herzliches Dankeschön. Auch wenn am Ende nicht alle 765 Zuschauer bis zum Ende durchgehalten haben, bleibt zu hoffen, dass die geplanten Aufführungen dieser sehens- und hörenswerten Inszenierung ab dem 21. April 2020 dann wieder mit einem hoffentlich sehr gut gefüllten Zuschauersaal stattfinden können, denn trotz dieses vorbildlichen Angebots des Theaters Krefeld kann eben nichts einen echten Theaterbesuch ersetzen. Ich werde mir diese Produktion ganz sicher auch nochmal live im Theater anschauen. In diesem Sinne, bleiben Sie gesund und gehen Sie demnächst auch wieder zu möglichst vielen Theater- und Kulturveranstaltungen in Ihrer Umgebung.
Markus Lamers, 15.03.2020
Bilder: © Matthias Stutte