Bei den Bayreuther Festspielen wurde Wagners Rheingold in der Regie von Valentin Schwarz, dem Bühnenbild Andrea Cozzis und den Kostümen von Andy Besuch wiederaufgenommen. Diese Inszenierung, die sich bei ihrer Premiere 2022 allgemeiner Unbeliebtheit ausgesetzt sah, ist für mich recht gelungen – nicht zuletzt aus dem Grund, weil Schwarz in strikter Anwendung des Bayreuther Werkstattgedankens an seiner Regiearbeit gefeilt und hier und da einige Verbesserungen in der Personenregie vorgenommen hat. Insgesamt ist diese Produktion nicht zu verachten, denn sie enthält einige qualitätsvolle Ideen. Daran können auch die vielen Buhrufe, die das Publikum am Ende spendete, nichts ändern. Der Gerechtigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass es auch Besucher gab, die begeisterten Applaus spendeten. Nicht jedem hat das Gesehene also missfallen.
Das Grundkonzept ist immer noch dasselbe wie in der vergangenen Spielzeit. Schwarz stellt Wagners großangelegte Tetralogie als Netflix-Familienserie auf die Bühne, was durchaus interessant anmutet. Mythische Fabelwesen wie Götter, Zwerge, Riesen und Nixen eliminiert er aus seinem Konzept und zeigt lediglich die Konflikte von Menschen auf. Auch mythische Requisiten sind aus der Produktion gänzlich verbannt. Wotans Speer, dem Tarnhelm, dem Hort und sogar dem Ring kommen in Schwarz‘ Interpretation keine Bedeutung mehr zu. Spannend ist, dass der Regisseur sie rigoros umdeutet, was ich als durchaus legitim ansehe. Eine kleine, in einem Glasbehälter aufbewahrte Pyramide symbolisiert Walhall. Wotan deutet Schwarz gekonnt als Chef eines neureichen, erstarkten Familienclans, der eine luxuriöse Villa bewohnt. Bei seinem ersten Auftritt trägt der fesche Obergott legere sportliche Kleidung. Erst im Nibelheim-Bild hat er einen Anzug an. Er und der in Jeans, Westernstiefeln und Lederjacke auftretende Alberich sind bei Schwarz Zwillingsbrüder. Das offenbart sich bereits während des Vorspiels, wenn beide in einer Video-Projektion noch ungeboren im Leib ihrer Mutter vorgeführt werden. Bereits in diesem frühen Stadium des Geschehens wird der Konflikt zwischen den beiden im Fruchtwasser schwimmenden Gegenspielern offenkundig. Alberich schlägt Wotan ein Auge aus. Der noch ungeborene Gott rächt sich umgehend und tritt seinem Bruder in das Geschlecht. Dem Verlust des einen Auges bei Wotan entspricht der Verlust der Manneskraft bei Alberich. Dieser Einfall Schwarz‘ war sehr eindrucksvoll.
Eindrucksvoll führt Andrea Cozzi verschiedene Räumlichkeiten innerhalb des Herrenhauses der Wotan’schen Unternehmerdynastie vor. Hier ist eine äußerst farbige Menschenclique versammelt. Fricka erscheint als Ehefrau des Clan-Chefs. Freia ist dessen Tochter. Loge versteht die Regie als einen ganz ausgekochten, in einem feinen Anzug erscheinenden, in jeder verzwickten Lage einen Ausweg wissenden Winkeladvokaten, dem indes eine Haarwäsche gut täte. Donner nennt bei Schwarz nicht einen Hammer sein eigen, sondern schlägt mit einem Golfschläger um sich. Beim Gewitterzauber fährt es ihm dabei einmal tüchtig ins Kreuz, was einen recht heiteren Eindruck macht. Die linke Seite der Bühne wird von einer Garage eingenommen, in der die beiden sympathischen Bauunternehmer Fasolt und Fafner ihre Luxuslimousine abstellen. Auf der Kühlerhaube derselbigen ermordet Fafner später seinen Bruder. Reichtum prägt die gesamte Villa. Im Rhein-Bild erblickt man einen Swimming-Pool, in dem einige Kinder planschen. Die Aufsicht über sie haben drei Kindermädchen – ursprünglich mal die Rheintöchter. Das Rheingold ist hier nicht gegenständlich, sondern ein kleiner, gelb gekleideter und eine Baseballmütze tragender Junge, der von Alberich am Ende des Bildes entführt wird. Dieser Knabe ist Hagen. Ähnlich verhält es sich in der dritten Szene mit dem Nibelungenhort, der bei Schwarz ebenfalls nicht aus irgendwie gearteten Wertgegenständen besteht, sondern von einem aus mehreren kleinen Mädchen bestehenden Kinderhort gebildet wird. Hagen gefällt sich im Drangsalieren dieser jungen Damen. Man spürt, dass Alberich ihn ganz nach seinem Gutdünken erzogen hat – sofern es überhaupt noch angebracht ist, hier von einer Erziehung, noch dazu von einer guten, zu reden. Das ist wohl zu verneinen. Mime kommt die Aufgabe eines Erziehers zu. Das Gold, das später zur Auslösung von Freia dient, interpretiert Schwarz als junges Mädchen, das die aus der Familie verbannte, die wahren Umstände deutlich erkennenden Erda am Ende mit sich nimmt.
Dieses Kind ist offensichtlich eine der Nornen. Die vom Regisseur vorgenommenen Personalisierungen von Ring und Gold sind überhaupt nicht verkehrt. Kinder sind zweifelsfrei unserer aller Hoffnung. Und letztere stellt die Voraussetzung für eine gute Zukunft dar. Und genau diese beiden Aspekte zeigt Schwarz in seiner gelungenen Regiearbeit trefflich auf. Sein Ansatzpunkt trifft genau ins Schwarze und wird hoffentlich auch Skeptiker überzeugen. Nicht mehr neu, aber immer noch sehr für sich einnehmend, ist der Regieeinfall, die bei Fasolts Tod entsetzt aufschreiende Freia unter einem Stockholm-Syndrom leiden zu lassen. Deutlich wird, dass die junge Clan-Tochter ihrem Entführer sehr zugetan ist. Hier haben wir es schon mit ausgesprochen ernsten Themen zu tun, die in Schwarz einen klugen Fürsprecher haben. Neben dem bereits oben angesprochenen Hexenschuss Donners regt Schwarz insbesondere zu Beginn des vierten Bildes die Lachmuskeln an, als er Alberich den Ring in Unterwäsche verfluchen lässt. Wotan und Loge haben ihm seine Oberbekleidung wegpraktiziert. Es ist ein grausames Spiel der Demütigung, das die Götter hier mit dem Nibelungen treiben. Auf Tschechow’sche Elemente versteht sich der Regisseur ebenfalls phantastisch – so beispielsweise, wenn er Erda bereits in der zweiten Szene über die Bühne schreiten lässt. Da sie ein zuerst noch akzeptiertes Mitglied des Clans ist, ist dieser Regieeinfall durchaus sinnvoll. Im Großen und Ganzen ist Schwarz eine spannende, recht kurzweilige und von einer flüssigen Personenregie geprägte Inszenierung zu bescheinigen.
Am Pult erzeugte Pietari Inkinen mit dem gut disponierten Festspielorchester einen recht bodenständigen, durchsichtigen Klangteppich. Die Tempi, die der Dirigent dabei anschlug, waren weder zu schnell noch zu langsam. Insgesamt benötigte er für den Ring-Vorabend 2,5, Stunden. Die dramatischen Passagen lagen ihm ebenso wie die eher lyrisch angehauchten Stellen, denen er seine große Aufmerksamkeit schenkte und sie grazil herausstellte.
Insgesamt zufrieden sein konnte man mit den gesanglichen Leistungen. Ein markant und dabei mit vorbildlicher italienischer Technik singender Alberich war Olafur Sigurdarson. Bei ihm dürfte es sich um einen der besten heutigen Vertreter dieser schwierigen Partie handeln. Einen stimmstarken Wotan gab Tomasz Konieczny. Etwas störend waren indes die von ihm ständig an den Tag gelegten Vokalverfärbungen. Eine gute Leistung erbrachte Daniel Kirch, der dem Loge mit solidem Stimmsitz und trefflicher Textverständlichkeit ein passendes Profil verlieh. Pastoses Stimmmaterial und eine ebenmäßige Linienführung zeichnete Christa Mayers Fricka aus. Mit ordentlich fokussiertem Sopran brachte Hailey Clark die große Verzweiflung der an die Riesen verkauften Göttin Freia zum Ausdruck. Ausgezeichnet schnitt die ausgesprochen sonor und tiefgründig singende Okka von der Damerau als Erda ab. Der Fasolt von Jens-Erik Aasbo fiel durch ebenmäßig geführtes, helles Bass-Material und hohe Ausdrucksintensität auf. Übertroffen wurde er von dem stimmstarken, profund intonierenden Fafner von Tobias Kehrer. Mit sauber im Körper verankertem Tenor wertete Arnold Bezuyen die kleine Rolle des Mime auf. Mehr als man es von dieser nicht sehr umfangreichen Partie sonst gewohnt ist, machte der über ansprechendes Tenor-Material verfügende Attilio Glaser aus dem Froh. Gefällig schnitt Raimund Noltes Donner ab. Einen harmonischen Gesamtklang bildete das aus Evelin Novak (Woglinde), Stephanie Houtzeel (Wellgunde) und Simone Schröder (Floßhilde) bestehende Trio der Rheintöchter.
Ludwig Steinbach, 22. August 2023
„Das Rheingold“
Richard Wagner
Bayreuther Festspiele 2023
Premiere: 26. August 2023
Besuchte Aufführung: 21. August 2023
Inszenierung: Valentin Schwarz
Musikalische Leitung: Pietari Inkinen
Bayreuther Festspielorchester