TURANDOT auf der Seebühne für Folklore- und Varietéfreunde
Zuviel Kitsch zuwenig Oper
Mit der neuen Intendantin
Elisabeth Sobotka deutet sich eine Ära an, die sich anscheinend dem aktuellen Zeitgeist verbunden sieht, dass auch in der Opernszene der tausenden von Sommer-Festivalitäten primär das Geldverdienen im Vordergrund stehen muss. Verständlich aus Sicht der Politik und der Kämmerer. Aber muß man dafür wirklich ab sofort auf der traditionellen Bregenzer Seebühne die künstlerischen Ansprüche der letzten 20 Jahre quasi tief im Bodensee versenken?
Zumindest erweckte die Produktion vom "Bebilderer" Marco Arturo Marelli bei mir diesen Eindruck. Dass er sich auch als Regisseur bezeichnet – der Begriff des Bühnenbildners wäre für mich ja noch in Ordnung – ist schon fast eine Beleidigung gegenüber heutigen Musiktheater-Regisseuren, die an den meisten europäischen Bühnen spannende Oper, also wirkliches MusikTHEATER professionell unterhaltsam auf die Beine stellen.
Natürlich darf man hinterfragen, ob solches Musiktheater auf eine Show-Bühne wie Bregenz überhaupt möglich ist. Ich kann dies aus meiner Erfahrung – zumindest der letzten 12 Jahre – eigentlich nur bejahen; durchaus anspruchsvolle Produktionen.
Bisher gab es keine puren Rampensteher-Zirkus-Abende, nie sah ich so ein albernes Kung Fu-Fighting Gehoppse, seltes gab es früher derartig völlkig sinnlose Statistenaufmärsche oder solch nichtssagendes Folkloreballett – alles Ingredienzien wie sie z.B. bei den Volksfest-Veranstaltungen wie in der Arena di Verona natürlich einfach dazu gehören, bisher in Bregenz aber nicht als Selbstzweck erschienen. Immerhin verkauft man während der Aufführung auf der Bregenzer Seebühne weder Gelato noch kühle Getränke; dies könnte allerdings zukünftig Einiges an Zusatz-Gewinn einbringen. Oder der Salzburger Fächer mit dem jeweiligen Jahresmotiv – das wäre auch eine schöne Einnahmequelle und Souvenir fürs Volk.
Die diesjährige "Turandot" ist nun leider nicht mehr als eben eine weitere Folklore-Veranstaltung im unseligen Reigen der Sommerfestivalitäten in Steinbrüchen, Amphietheatern, auf Ritterburgen, Schiffen oder an größeren Badetümpeln. Eigentlich könnte man diese Produktion auch als "Oper für Kinder" untertiteln.
Uncharmant hölzerner teurer Budenzauber, besser zu betiteln als "China-Zirkus", der reichlich wenig Platz für Puccinis Operndramaturgie und Spannung zulässt, auch wenn anfangs mit riesigem Feuerzauber die Enthauptungs-Säbel textgetreu geschliffen werden; schon kurz danach wird eine simple Schaufensterpuppe recht läppisch vom Turm ins Bodenseewasser geworfen – da haben wir schon besseres und überzeugendere Wasser-Actionen auf dieser Bühne gesehen. Cheforganisator Marelli zeigt einen Chinawaren-Großhandel schlimmen Kunstgewerbes: eine verkleinerte Chinesische Mauer, viele Lampions, permanent illuminierte Papp-Drachen; natürlich darf auch die legendäre Terrakotta-Armee nicht fehlen – ein Teil taucht sogar aus dem Wasser des Bodensees wieder auf. Das ist China, wie es sich klein Fritzchen oder, mit Verlaub, der klassische Amerikaner vorstellt.
Dabei hätte es durchaus Sinn gemacht diese Mauer, quasi als Schutzschild jener eisumgürteten Prinzessin, tatsächlich am Ende sinnvoll aufzubrechen, nämlich dann recht passend, wenn ihr vereist kühles Herz im Finale durch Kalafs Liebe auftaut – doch nein…
…mit viel Donner, Rauch und Getöse öffnet sie sich schon zu den ersten Takten, nur um einer gläsernen Terrakotta-Armada Platz und Sicht zu bieten, deren tönerne Soldaten im weiteren Verlauf der Oper dann kitschig von innen illuminiert und sukzessive nach vorne geschoben werden – beleuchtet jeweils im Sinne einer Lichtorgel, also passend zur entsprechenden Situation auf der Bühne.
Allerdings fragte mich, warum beim "Spiel am See" sich dann Liu doch höchst theatralisch das Messer gibt, – statt einfach dem Ambiente der Schwimm-Insel entsprechend – als eventueller Nichtschwimmer vom Rand ins Wasser zu springen und zu ertrinken. Was hätte der große David Pountney daraus Tolles gemacht…
Genug der Unsäglichkeiten; dies ist halt eine Produktion fürs Kirmesvolk und für Menschen, die außer "Nessun dorma" (von Pavarotti einst in der Hitparade und später von Paul Potts ähnlich revitalisiert) nie mehr von dieser Oper gehört haben und nun endlich einmal schauen können, was urtümlich dahinter steckt. Alles in Ordnung, wenn man es musikpädagogisch, quasi als Einstieg in die Oper für die MacDonalds Generation betrachtet. Da schalte ich mich allerdings dann aus…
Bregenz bleibt bei den Preisen durchaus relativ volkstümlich; immerhin sind weiterhin tolle Karten (mein Geheimtipp: Kategorie 5 f/g für Schwindelfreie mit wahnsinnigem Blick über den Bodensee !) möglich. Vorbildlich: Für Schüler und Studenten gibt es eine Ermäßigung von 75 % – das ist Weltklasse! Wann gibt es das in Bayreuth und Salzburg?