Buchkritik: „Die Feenkönigin“, Martin Weichmann

2022 kam im fränkischen Weißenburg ein Musiktheaterstück auf die Bühne, dessen Fassung als „doppelt historisch informierte“ Version bezeichnet werden könnte. Mozarts Apollo et Hyacinthus wurde vor bald 100 Jahren von Erika Mann, der Tochter des „Zauberers“ – wie man Thomas Mann in der Familie nannte  –, ins Deutsche gebracht und von Karl Schleifer musikalisch bearbeitet, doch kam die für Weißenburg projektierte Aufführung erst 2022 zustande. Über diese kulturell reizvolle Verbindung Mozarts zu Mann und einem nicht ganz unbedeutenden Musiker des 20. Jahrhunderts erschien 2022 ein sorgfältig gemachtes Heft der Gruppe Weißenburg des Frankenbunds (https://deropernfreund.de/buecher-discs/buecherecke/buch-kritik-apollo-und-hyazinth/).

Nun kann der Opernfreund, der sich für historisch gewordene Bearbeitungen älterer Opern interessiert, ein weiteres Heft aus der Feder Martin Weichmanns daneben legen. Diesmal geht’s um Purcells Fairy Queen, die, wieder von Schleifer (und von Ernst Leopold Stahl) und den Übersetzern Max und Dorothea Förster als Feenkönigin eingedeutscht wurde. Damit liegt die Monographie einer niemals auf einem Tonträger verewigten, wenn auch 1949 vom Bayerischen Rundfunk gesendeten Neubearbeitung eines Werks vor, das zwar meilenweit von der heutigen HIP (der „historisch informierten Praxis“) entfernt ist, aber auf dem Weg zu eben dieser Praxis einen frühen Meilenstein darstellt – einen Meilenstein, dessen Spuren tief in den Archiven vergraben waren, bevor man im Weißenburg der Gegenwart auf die Idee kam, dem Apollo-Projekt ein zweites nachfolgen zu lassen. Freilich rekonstruierte man die Instrumentation der 30er Jahre, die nach dem zweiten Weltkrieg im BR zum Erklingen kam, nicht in toto. Auf eine Celesta, mehrchörig besetzte Posaunen und moderne Ventiltrompeten musste man in Weißenburg verzichten; dafür kam neben den Flöten und „normalen“ Oboen auch eine Oboe da caccia in Einsatz, die man eher mit Bach als mit dem englischen Barock assoziiert. Was gleich blieb, war die Einteilung des Purcell’schen und Betterton’schen Fünfakters, der „Shakespeares“, also Edward de Veres, des 17. Earls of Oxford, Midsummer Night’s Dream nur sehr lose folgt, in drei Akte, in denen aus dem Bottom / Zettel der Vorlage ein „Wamme“ und aus dem indischen Knaben, sehr zeitgeistig, ein „Rabindranath“ (nach Rabidranath Tagore) wurde. Weichmann erläutert die Entstehungsgeschichten des Originals und der Neufassung, auch die Bearbeitung konzis und, wie schon beim Vorgängerbändchen, sehr genau auf die Entstehungszeit bezogen. So erfährt man fast im Nebenbei, dass Mendelssohns Musik zwar zu Beginn der NS-Zeit nicht offiziell verboten war, aber, mit wenigen Ausnahmen, nicht gespielt wurde. Zu den Ausnahmen gehörte eine letzte Aufführung des Sommernachtstraums im Jahre 1935 in Meiningen: mit Mendelssohns Schauspielmusik – Egon Schmid, der  dies wagte, war seit 1931 auch Intendant des Bergwaldtheaters in Weißenburg gewesen. Im Übrigen sah man bald ein, dass man „Shakespeares“ Stück wohl eher nicht mit Purcells Musik koppeln sollte, da die  dramaturgischen Unterschiede denn doch zu groß waren. Aufführungen der Komödie, in denen Purcells Musik erklingt, sind heute selten: so wie die, die 1998 im Markgräflichen Opernhaus zu Bayreuth veranstaltet wurde.

Versehen mit insgesamt 16 farbigen Fotos und zwei Notenbeispielen bietet die Broschüre also einen durchaus spannenden Einblick in eine historisch gewordene Form der Aufführungspraxis eines barocken Meisterwerks, die durch die praktische Wiederentdeckung eine weitere Überarbeitung erfuhr. Wer die „wahre“ Fairy Queen hören will, hat inzwischen dank mehrerer Neuaufnahmen die beste Chance, den Purcell von 1692/93 zu erleben. Wer sich hingegen für die Archäologie der Aufführungsgeschichte einer einstmals „Alte Musik“ genannten Kunstform interessiert, bekommt mit Weichmanns Broschüre über die Feenkönigin einen Einblick in eine ferne Welt, die heute kaum auf Tonträgern vorliegt. Mit einem populären Wort: Klein, aber fein.

Frank Piontek, 25. September 2024


Martin Weichmann: Die Feenkönigin. Tanzoper mit Musik von Henry Purcell (Fairy Queen).
London 1692 – München 1935 – Weißenburg i.Bay. 2024
Herausgeber: Frankenbund, Gruppe Weißenburg

40 Seiten, mit 17 Abbildungen. 5 Euro.

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