Das Label Naxos präsentiert in diesen Tagen eine neue Veröffentlichung der Sinfonien von Dmitri Schostakowitsch. Nach der herausragenden Interpretation der zehnten Sinfonie folgen nun die beliebten Werke, die fünfte und neunte Sinfonie, unter der meisterhaften Leitung von Jaap van Zweeden und seinem exzellenten Hong Kong Philharmonic Orchestra. Die Zusammenarbeit mit diesem Komponisten erweist sich für Naxos erneut als glücklicher Griff, da bisher stets außergewöhnliche Produktionen hervorgebracht wurden. Dirigenten von verschiedensten Hintergründen wie Ladislav Slovak, Alexander Rahbari, Valery Petrenko und jetzt Jaap van Zweeden bieten jeweils einzigartige und gelungene Interpretationsansätze.
Die fünfte Sinfonie gilt als eine der triumphalsten Schöpfungen des Komponisten. Sie erwies sich als Lebensrettung für Schostakowitsch nach dem Skandal um seine Oper „Lady Macbeth von Mzsenk“, der seine Existenz bedrohte. Diese musikalische Rehabilitation gipfelt in scheinbarem Jubel. Dennoch offenbart eine genauere Analyse, dass der Komponist hinter den Noten eine tiefe Erzählung versteckt. Trauer und Gewalt werfen ihre Schatten. Diese Elemente stellen eine anspruchsvolle Herausforderung dar, der sich der Interpreten stellen müssen, um dieses Werk angemessen zu gestalten.
Mit energischem Schwung führt Jaap van Zweeden im einleitenden Moderato der fünften Sinfonie die Klage ein. Die Musik schimmert und pulsiert, und die Gefahr ist greifbar. Van Zweeden setzt klare Akzente, die gelegentlich spröde und nervös wirken. Sogar im ausgedehnten Cantabile, das etwa nach vier Minuten einsetzt, schenkt van Zweeden weder Ruhe noch oberflächliche Schönheit. Alles bleibt beunruhigend und dadurch fesselnd und kurzweilig. Besonders hervorstechend ist der Einsatz des Klaviers, begleitet von brutalen Angriffen der Hörner und Trompeten. Der Übergang zum beißend-ironischen Marsch ist meisterhaft. Hier zeigt sich die überragende Aufnahmetechnik in ihrer ganzen Pracht, in welcher das oft untergehende Xylofon deutlich hervorgehoben ist. Majestätisch brechen die Blechbläser in einem wahren Feuerwerk über die Zuhörer herein. Das übrige Schlagzeug agiert entfesselt und verleiht der Kulmination die Wirkung eines akustischen Erdbebens. Das abschließende Duett zwischen Flöte und Horn ist von beeindruckender Schönheit. Van Zweeden achtet auch hier auf ein fließendes Tempo, das die Spannung aufrechterhält. Die Solovioline am Ende hinterlässt einen intensiven, anhaltenden Klang.
Das ironische Allegretto beginnt herrlich derb und wird von van Zweeden als zugespitzte Groteske dargestellt. Das Orchester tobt und verführt gleichermaßen. Es gibt keine Zurückhaltung, und das sorgt für große Freude. Die Solovioline und die ironischen Holzbläser spielen frech und spitz miteinander, während die selbstbewusste Harfe und die knurrenden Fagotte als akustische Kommentatoren auftreten. Sogar das oft im Hintergrund verbleibende Xylofon wird auch hier deutlicher in den Vordergrund gerückt. Dann zieht van Zweeden das Orchester im bewegenden Largo zurück und lässt es wie eine Stimme singen. Wellen des Schmerzes und des Verlustes erzeugen einen sehnsuchtsvollen Klang, den das Orchester berührend gestaltet. Der ehemalige Geiger Jaap van Zweeden hat mit dem Hong Kong Philharmonic Orchestra eine meisterhafte Klangkultur in den Streichern entwickelt, die diesen Satz besonders beeindruckend macht. Die Dynamik und das Tempo dieser Musik wirken äußerst variabel und nie reproduktiv, sondern stets im Moment erschaffen. Der Höhepunkt dieses Satzes ist eine Steigerung des Schmerzes. Das Xylofon hämmert wie Peitschenhiebe, gefolgt von heftigen Streicherakzenten. Der letzte Satz beginnt furios und brutal, und das Orchester meistert ihn mit überragender Virtuosität. Hier geht es um alles, und diese Intensität ist leider selten anzutreffen, da die meisten Dirigenten ihre Orchester zu sehr zügeln. Diese mitreißende Aufnahme bietet ein wahres Feuerwerk an Energie… und mündet dann in einen choralartigen Mittelteil, der vorübergehend beruhigt. Der Übergang ist von Spannung geprägt. Das Finale behält konsequent das flotte Tempo bei, das Schostakowitsch so nicht vorgesehen hatte. Hier verpasst van Zweeden vielleicht die Gelegenheit, durch das gewünschte langsamere Tempo die „getarnten“ Dissonanzen stärker herauszuarbeiten. Somit erlebt der Zuhörer eine eher ungetrübte Jubelstimmung, die durchaus auch sehr wirkungsvoll ist.
Ein bemerkenswerter Kontrast ergibt sich mit der neunten Sinfonie. Auch hier zeigt van Zweeden eine kraftvolle und dynamische Darbietung. Die Holzbläser und die Soloposaune übertreffen sich in der Prägnanz ihrer Beiträge. Die Musik kommentiert nicht, sondern spricht offen, mit Ironie und beißendem Witz. Dies verleiht dem Werk Freude und einen hohen Unterhaltswert. Das einleitende Allegro ist temporeich und rhythmisch präzise. Die Klarinette eröffnet das beruhigende Moderato des zweiten Satzes mit feinem, lyrischem Ton. Die Streicher antworten mit Kraft und Bedrohlichkeit, während die innige Soloflöte Trost spendet. Auch hier versteht es van Zweeden erneut, die Musik ausdrucksvoll „sprechen“ zu lassen. Das Presto stürzt mit atemberaubender Geschwindigkeit vorüber, wobei Holzbläser und Streicher in einem intensiven Wettbewerb agieren. Doch plötzlich durchdringen die Blechbläser mit Schärfe und der drängenden kleinen Trommel das Geschehen. Wie die Posaunen von Jericho eröffnen die Blechbläser das klagende Largo, dominiert vom intensiven Klang der Fagotte. Nahtlos geht es über in das abschließende Allegretto, das wieder in eine fröhliche, überschwängliche Atmosphäre zurückkehrt. Van Zweeden scheut auch hier nicht vor kräftigen Effekten zurück, was die Musik unwiderstehlich macht.
Das Hong Kong Philharmonic Orchestra erbringt eine überragende Leistung auf höchstem Niveau. Die Streicher erklingen äußerst kultiviert und erzeugen vor allem in den Unisono-Passagen einen intensiven Klang. Die Holzbläser überzeugen mit einer breiten Palette an Klangfarben, die bis ins Markante gesteigert werden. Die herausragenden Blechbläser bewältigen ihre Anforderungen mit Ausdauer und souveräner Meisterschaft. Dazu eine offensiv agierende Schlagzeuggruppe, während die dynamische Aufnahmetechnik der extremen Dynamik der Musik hervorragend gerecht wird und jedes Detail einfängt.
Insgesamt eine sehr gelungene Aufnahme, die auf hohem Niveau viele Gefühlsmomente schenkt.
Dirk Schauss, 10. September 2023
Dmitri Schostakowitsch
Sinfonien 5 und 9
Hong Kong Philharmonic Orchestra
Jaap van Zweden, Leitung
Naxos 8.574549