Wolfgang Sawallisch wurde am 26. August 1923 in München geboren. Nach dem Examen an der Münchner Musikhochschule begann er 1947 seine Dirigentenlaufbahn an den Städtischen Bühnen Augsburg. Ab 1953 bekleidete er Musikdirektorenstellen in Aachen und Wiesbaden.
In Köln leitete er – bereits als Professor – eine Dirigier-Meisterklasse. Im gleichen Jahr stand er als jüngster jemals eingeladener Dirigent am Pult der Berliner Philharmoniker. Von 1957 bis 1962 dirigierte er bei den Bayreuther Festspielen. Von 1960 bis 1970 war er Hamburgischer Generalmusikdirektor und Erster Dirigent des Philharmonischen Staatsorchesters; Gleichzeit war er Chefdirigent der Wiener Symphoniker. Beide Orchester ernannten ihn zum Ehrenmitglied und Ehrendirigenten. Von 1973 bis 1980 war Sawallisch Direktor des Orchestre de la Suisse Romande in Genf. Im Jahre 1971 wurde Wolfgang Sawallisch Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, ab 1982 auch künstlerischer Gesamtleiter. Er blieb bis 1992 in diesem Amt. Daneben war er von 1993 bis 2003 war er Musik Director des Philadelphia Orchestra in den USA. Seit 2003 war er als Gastdirigent tätig. Er dirigierte regelmäßig das NHK-Orchester in Tokio (dessen einziger „Honory Conductor Laureate“ er war), das Orchestra Nazionale di Santa Cecilia, das Orchestra Filarmonica delle Scala in Mailand, das Philharmonia Orchestra London, das Orchestre de Paris, das Concertgebouw Orkest in Amsterdam, die Wiener Symphoniker und das Israel Philharmonic Orchestra. Sawallisch bescherte der Stadt München – von heute aus betrachtet – die letzten glänzenden Jahre als Musikstadt. Sowohl das Bayrische Staatsorchester als auch das Sängerensemble des Nationaltheaters waren in bestem Zustand. Nicht zu vergessen das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Sawallisch oft mit ihm zusammengearbeitet. Das Musikleben Münchens triumphierte, wie seither nicht mehr. Das Nationaltheater war eine hochkarätige Sängeroper, deren Produktionen in vielen Fällen nicht anders als fulminant genannt werden dürfen. Das große Repertoire umfasste fast den ganzen Straus und Wagner. Die wichtigsten der in München einstudierten Werke (die Sawallisch schon früher und an anderen Orten dirigiert hatte) hat das Label Warner Classics jetzt in einer Box mit 31 CDs herausgebracht, mit sämtlichen Opern-Gesamt-aufnahmen, die Sawallisch bei Warner produziert hat.
Daneben allerdings auch drei Aufnahmen, die er mit dem Philharmonia Orchestra London aufgenommen hatte. Er hat seine Aufnahmen ja auch bei anderen Labels veröffentlicht (z.B. bei der Deutschen Grammophon, bei EMI, Philips und Orfeo). Man darf aber wohl sagen, dass die Warner-Box das Herzstück, sozusagen das Kern-Repertoire der von Sawallisch favorisierten Opern repräsentiert. Keine dieser Aufnahme war je vergessen, einige waren vergriffen. Nun sind sie wieder gebündelt und remastered zu haben. Wolfgang Sawallisch war ein Operndirigent von Weltrang. Aber er hat sich ein Leben lang als Kapellmeister im besten Sinne des Wortes verstanden. Präzision, Sängerfreundlichkeit und Zurückhaltung als Dirigent, der sich nie in den Vorder-grund stellte, waren kennzeichnend für ihn. Sawallisch war ein „Arbeitstier“ ein Probenfanatiker und ein Verfechter von uneitler Werktreue. Ein Dirigent, der für genaue Partituranalyse stand, für eine klare Schlagtechnik und ausgefeilte, durchdachte und ausbalancierte Interpretationen jenseits des Spektakulären. Besonders im Livemitschnitt seines klug disponierten „Rings des Nibelungen“ (Regie Nikolaus Lehnhoff), den er im November 1989 in München mit Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper aufnahm, kommen diese Charakteristika bestens zum Vorschein. In der großen, auch in en kleinen Partien beeindruckenden Besetzungsliste sind Sängerautoritäten wie Robert Hale als Wotan und Wanderer, Hildegard Behrens als souveräne Brünnhilde, Julia Varady als geradezu betörende Sieglinde, René Kollo als jugendlich strahlender, allesandere als heldentenoraler Siegfried, Matti Salminen als angsteinflößender Hagen, Ekkehard Wlaschia als Alberich und Hanna Schwarz als Erda, Kurt Moll als Fafner und Marjana Lipovšek als imposante Fricka und die noch junge Waltraud Meier als Waltraute zu hören, alle auf dem Zenit ihrer sängerischen Möglichkeiten, ein Großaufgebot an markantesten Sängerdarstellern jener Zeit, ein imposantes „Ring“-Ensemble. Der insgesamt frische und doch sensible interpretatorische Zugang dieses Livemitschnitts fern aller Studioklangästhetik nimmt für sich ein.
Die in dieser Edition zuletzt entstandene Einspielung ist Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“, die im Münchner Herkulessaal 1992 aufgenommen wurde. In ihr offenbaren sich exemplarisch Sawallischs Tugenden als Dirigent: Ein auf Transparenz zielender Klang, der den Sängern genug Luft zum Atmen lässt und das Orchester immer so zurückhält, dass sie nie gegen das Orchester ansingen müssen. Wobei das Bayrische Staatsorchester souverän musiziert und vor allem im dritten Akt Klang-Sinn fürs Komödiantische beweist. Hochkarätig ist die Sängerschar, die Sawallisch zur Verfügung stand: Bernd Weikls Hans Sachs, Kurt Molls Pogner, der Beckmesser von Siegfried Lorenz, Ben Heppners Walther von Stolzing und Cheryl Studers jubilierend strahlende Eva ragen aus dem Ensemble heraus. Dieser „Ring“-Livemitschnitt demonstriert beispielhaft das ehemals hohe Sängerniveau der Bayerischen Staatsoper.
Das Schwergewicht der Opern-Einspielungen von Sawallisch ist ohne Frage die Studioproduktion der „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss aus dem Jahre 1987, es ist die erste quasi vollständige Einspielung der Originalfassung mit nur „minimalen Auslassungen“, die üblichen (zuweilen größeren) Striche hat Sawallisch aufgemacht. Und er benutzt das vollständige, farbige und z.T. sehr exotische Instrumentarium mit dem er schillernde wie expressive Klänge und einen recht dramatischen Fluss der Oper entfaltet. Die Besetzung ist handverlesen: René Kollo singt einen jugendlich frischen Kaiser, Cheryl Studer bezaubert mit Sopran-Sphärentönen in der Höhe als Kaiserin, Hanna Schwarz ist eine kluge Amme und die auf dem Plattenmarkt unterrepräsentierte fulminante Sängerdarstellerin Ute Vinzing, eine Hochdramatische mit seltener Mezzogrundierung ragen aus dem großen Ensemble heraus. Die eher selten gespielte bürgerliche Komödie (mit sinfonischen Zwischenspielen) „Intermezzo“, in der Richard Strauss ironisch seinen eigenen Ehealltag spiegelt, gehört zu den Trouvaillen der Box, denn es ist die erste moderne, brillant klingende Aufnahme des Werks nach den „historischen Aufnahmen von Joseph Keilberth und Sir John Pritchard. Mit Lucia Popp als Christine und Dietrich Fischer-Dieskau als Hofkapellmeister Storch sind die Protagonisten bestens besetzt, aber auch die übrigen Sänger der 1980 entstandenen Studioaufnahme mit dem präzisen und klangschön aufspielenden Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks lassen keinen Wunsch offen. Die Produktion darf als Referenzaufnahme der Oper gelten.
Die nachgerade legendäre Einspielung der Strauss-Oper „Capriccio“ hat Sawallisch mit Elisabeth Schwarzkopf, Eberhard Wächter Und Nikolai Gedda Sowie Dietrich-Fischer Dieskau und Hans Hotter, Christa Ludwig und Anna Moffo aufgenommen, um nur die wichtigsten Namen zu nennen. Eine Traumbesetzung, die getragen wird vom hervorragend disponierten Philharmonia Orchestra. Sawallischs Aufnahme der Mozartischen „Zauberflöte“ aus dem Jahre 1972 gehört bis heute zu den besten Aufnahmen des Werks überhaupt, sie vermeidet „allen puren Schönklang und balanciert zwischen Bewegtheit und Beweglichkeit, zwischen gleichmäßigem Pulsierten und gestischer Kultur, zwischen strengem Zeitmaß und frei einsetzendem Impuls. Sawallisch gelingt es, das Theaterhafte der Musik Mozarts sinnfällig zu machen und mit rein musikalischen Mitteln die innere Zerrissenheit der Oper hervorzukehren“ (Attila Csampai), ohne alle hörbaren Hintergedanken weltanschaulicher oder philosophischer Tiefgründelei und bei überwiegend erfrischend raschen Tempi. Sawallischs Sänger „glänzen denn auch weniger durch lupenreines Singen als durch sinnvolles Phrasieren. Anneliese Rothenberger etwa ist die erste Pamina der Schallplatte, die die g-Moll-Arie korrekt phrasiert.“ Die Rothenberger war einmal eine überragende Sängerin. Ihre berührende Pamina erinnert daran. Aber auch ansonsten ist die Besetzung superb: Kurt Molls bassedler Sarastro, Peter Schreiers keusch-forscher Tamino, Edda Mosers fulminante, mit lupenreinen Spitzentönen aufwartende Königin der Nacht und Walter Berrys Papageno, um die Wichtigsten Partien zu nennen, sind unvergleichlich.
Es ist eine der Zauberflöten- Einspielungen, die man haben muss. Sawallischs Münchner Studioproduktion der „Elektra“ aus dem Jahre 1990 ist die aufregendste Einspielung dieser Edition. Er weiß mit großer Umsicht den riesigen Orchesterapparat von Richard Strauss sängerdienlich zu organisieren. Ihm stand allerdings auch ein denkbar gutes Sängerensemble zur Verfügung: Eva Marton lässt in der Gestaltung der Titelpartie (im Gegensatz zu ihren späteren Verkörperungen der Rolle) keinen Wunsch offen, Cheryl Studer brilliert als Chrysothemis und beweist, dass sie damals eine der herausragenden Sopranistinnen war. Die Klytemnästra der (zum Zeitpunkt der Einspielung eine der führenden Mezzosopranistinnen und eine Primadonna der Bayerischen Staatsoper war), Marjana Lipovšek, singt eine sehr differenzierte, hell timbrierte Klytemnästra auf der Mitte zwischen Hexe und Dame, vom sprechenden Flüsterton bis zu hochexpressivem Gesang. Freilich, die Dämonie und psychologische Einfühlung einer Martha Mödl oder Jean Madeira, Regina Resnik oder Brigitte Fassbaender besitzt sie nicht. Bernd Weikl als Orest und Kurt Moll als sein Pfleger sowie Hermann Winklers Ägisth ragen aus der insgesamt beeindruckenden Aufnahme heraus. Schon sehr früh kamen Wolfgang Sawallisch und das Philharmonia Orchestra zusammen.
1956 nahmen sie „Die Kluge“ auf, ein Jahr später „Der Mond“. Der Komponist Carl Orff selbst war bei den Aufnahmen anwesend. Walter Legge, der Produktionschef der EMI hatte seine Aversion gegen Orff und seine „Stempelmusik“ inzwischen aufgegeben (wie John Culshaw, der Aufnahmeleiter bekannte) und diese beiden Märchenopern mit ihrem tönenden Spektrum des Daseins, des Himmels und Erde, zwischen Leben und Tod bestmöglich besetzt: Unter den Sängern Gottlob Frick, Elisabeth Schwarzkopf, Rudolf Christ, Hans Hotter, Benno Kusche, Paul Kuen, Hermann Prey, Gustav Neidlinger und Karl Schmitt-Walter, eine für die beiden schlichten Werke geradezu luxuriöse Besetzung. Selten eingespielt und aufgeführt werden die Raritäten der Box: Carl Maria von Webers „Abu Hassan“ und Franz Schuberts Singspiel „Die Zwillingsbrüder“ beide Stücke wurden 1975 vom Orchester und dem Chor der Bayerischen Staatsoper eindrucksvoll unpathetisch und vital ausgegraben. Die Besetzung ist in beiden Fällen hochkarätig: Nicolai Gedda, Edda Moser, Kurt Moll Und Helen Donath, damalige Stars des Münchner Nationaltheaters. Die 31 CDs der Box demonstrieren einerseits den Ausnahmerang des Dirigenten Wolfgang Sawallisch, aber auch das hohe Niveau der Sängerleistungen während seiner Münchner Ära. Tempi passati.
Dieter David Scholz, 16. Oktober 2024
The Warner Classics Edition
Complete Opera Recordings
Wolfgang Sawallisch, Aufnahmen von 1956-1993
Erscheinungsdatum 20. September 2024
31 CDs. CD-Nr. 5054197949463