DVD: „Götterdämmerung“, Richard Wagner, Tcherniakov-Inszenierung Berlin


Unsere Besprechungen zum kompletten Tcherniakov-Ring auf DVD:
Das Rheingold

Die Walküre
Siegfried
Götterdämmerung


Mit der Götterdämmerung geht bei dem Label Unitel die Veröffentlichung des aktuellen Rings der Berliner Staatsoper Unter den Linden auf DVD nun in die letzte Runde. Und wieder einmal hat Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov in Zusammenarbeit mit seiner Kostümbildnerin Elena Zaytseva hervorragende Arbeit geleistet. Seine Herangehensweise an Wagners Oper atmet voll und ganz den Geist der Moderne und ist von einer flüssigen Personenregie geprägt. Wie auch in den drei vorangegangenen Teilen spielt das Ganze in dem bereits bekannten Forschungszentrum. In dessen Einliegerwohnung mit Bett, Tisch, Stuhl, Kleiderhaken und einer Dusche leben im Vorspiel Siegfried und Brünnhilde. Siegfried darf die Dusche auch mal benutzen, wobei man indes nichts von ihm sieht. In der Götterdämmerung hat er seinen im Siegfried getragenen Trainingsanzug abgelegt und gegen ein schickes bürgerliches Outfit eingetauscht. Brünnhilde erscheint in einem Morgenmantel. Die Nornen sind jetzt sehr stark in die Jahre gekommen und gehen am Stock. Ihre von der Regie als Teekränzchen interpretierte Eingangsszene stellt einen Traum ihrer Halbschwester Brünnhilde dar – ein trefflicher Regieeinfall. Ein Seil gibt es bei Tcherniakov nicht. An der Stelle, wo dieses nach Wagners Anweisung reißen soll, geht nur das Teegeschirr der Nornen zu Bruch.

Das Forschungszentrum wird nun von den elegant gekleideten Gibichungen beherrscht. Sie haben umgebaut. Die verschiedenen Räume sind anders eingerichtet als bisher und der Einwegspiegel ist verschwunden. Heiter mutet es an, wenn die Gibichungen nacheinander Siegfrieds Tarnhelm aufsetzen und Gunther mit seinem Handy ein Photo von Gutrune macht. Spannend ist die ausgemachte Siegfried-Kritik, mit der der Regisseur hier aufwartet. Einen Vergessenstrank sucht man bei Tcherniakov vergebens. An seine Stelle treten die ausgeprägten Verführungskünste der oft kichernden Gutrune. Siegfried wendet sich, ohne einem Zauber zu erliegen, freiwillig ihr zu. Das wirft kein gutes Licht auf ihn. Nachdem Siegfried und Gunther Blutsbrüderschaft getrunken haben, legt Gutrune ihrem Bruder einen Verband an. Der bis auf eine große Windel unbekleidete Greis Alberich, der im Gegensatz zum Siegfried jetzt keine Gehhilfe mehr benötigt, wird Zeuge von Hagens Wachtgesang. Hier beweist Tcherniakov, dass er mit Tschechow` schen Elementen umgehen kann – desgleichen im zweiten Bild des ersten Aufzuges, wenn Waltraute früher als gewöhnlich bei Brünnhilde eintritt. Diese ist von der Erzählung ihrer Schwester derart erschüttert, dass sie sich erst einmal einen Schluck Wasser gönnt. Eine gute Idee seitens der Regie ist es, dass Siegfried Brünnhilde nicht in der Maske Gunthers, sondern ohne Verkleidung, ganz als er selbst, überwältigt. Sein äußerst rüdes Verhalten, das man in dieser Form so gar nicht von ihm gewohnt ist, tritt an die Stelle einer Verkleidung. Ehe Siegfried der ehemaligen Walküre den Ring entreißt, darf er sich noch schnell eine Bierdose öffnen und eine Stulle schmieren. Sehr eindringlich führt Tcherniakov hier seine Kritik an Siegfried fort.

Der zweite Aufzug spielt sich im Hörsaal des Forschungszentrums ab. Hier gelingt es zu Beginn dem sich ein Hemd strickenden Alberich, seinen Sohn Hagen gekonnt zu manipulieren. Am Schluss der Szene legt er sich zwischen die Stühle und wird – wohl unsichtbar – mit Hilfe einer Versenkung von der Bühne geschafft. Wie der zurückkehrende Siegfried und Gutrune ein munteres Tänzchen aufführen, bekommt er nicht mehr mit. Die Mannen, unter die sich auch Frauen mischen, bilden die Belegschaft der Gibichungen. Als Gunther und nach ihm Brünnhilde den Raum betreten, nehmen sie auf den Stühlen Platz. Die äußerst rasant in Szene gesetzten Eide von Siegfried und Brünnhilde filmen sie mit ihren Handykameras. Die Schlussszene des zweiten Aufzuges, in der Siegfrieds Tod beschlossen wird, atmet noch einmal enorme Spannung.

Die erste Szene des dritten Aufzuges wird von einem Stresslabor dominiert, in dem die seltsamerweise überhaupt nicht gealterten, anscheinend ewig jungen Rheintöchter in ihrer Funktion als Forscherinnen Siegfried einem Stresstest unterziehen. Das Experiment gelingt dann auch, denn dem Helden fällt es ungemein schwer, stillzuhalten und sich zu entspannen. Er verfällt zunehmend in Unruhe und leidet unter Stresssymptomen. Die Jagdgesellschaft führt der Regisseur als Basketball-Mannschaft E.S.C.H.E. vor, die sich in einer Sporthalle – das umgebaute Atrium, jetzt aber ohne Esche – zum Spiel versammelt hat. Einmal gelingt es Siegfried, den Ball erfolgreich in den Korb zu werfen, während seine Mitspieler links und rechts auf Bänken sitzen und seiner Erzählung von seinen Jugendtagen lauschen. Hagen ersticht Siegfried hinterrücks mit einer Fahnenstange. Im Sterben malt Siegfried mit einem Stift Flammen an die gläserne Wand des Stresslabors – eine Reminiszenz an Brünnhilde, die in der Walküre und im Siegfried dasselbe tat. Den Höhepunkt der gelungenen Produktion bildet der Trauermarsch, bei dem sich die Angestellten des Forschungszentrums – unter ihnen Gunther, die Rheintöchter, die Nornen und Erda – in stiller Trauer um den im Stresslabor aufgebahrten Siegfried versammeln. Zuletzt erscheint sogar der auf einen Stock gestützte Wotan in der Gestalt des Wanderers, um Abschied von seinem von Hagen ermordeten Enkel zu nehmen. Ein trauernder Wotan bei dem toten Siegfried: Ein zwar nicht mehr neuer, aber ungemein berührender Regieeinfall. In dieser Szene bringt Tcherniakov erneut gekonnt Tschechow`sche Elemente ins Spiel, die die Spannung ungemein steigern. Im Schlussbild kehrt die Szene wieder in die Sporthalle zurück. Gunther, Gutrune und sogar Hagen überleben in Tcherniakovs Deutung. Nachdem Gutrune von Brünnhilde von sich gestoßen wurde, nimmt Gunther die Schwester tröstend in die Arme – ein sehr emotionaler Moment. Nachdem außer Brünnhilde und dem toten Siegfried alle Personen die Bühne verlassen haben, erscheint noch einmal Wotan auf der Bühne und beobachtet still, wie seine Tochter von ihrem toten Gatten Abschied nimmt. Nachdem Brünnhilde Ruhe, ruhe, du Gott gesungen hat, verlässt er tief gebrochen die Sporthalle wieder. Gelungen ist das Ende. Brünnhilde findet den Weg aus dem Forschungslabor hinaus ins Freie. Erlösung bedeutet hier Freiheit. Ruhig schreitet die ehemalige Walküre mit Siegfrieds Reisetasche nach vorne an die Rampe. Währenddessen wird auf die Rückwand der von Wagner nicht vertonte Buddhismus-Schluss aus der Ring-Dichtung projiziert. Zu den Schlussklängen begegnet Brünnhilde noch einmal ihrer Mutter Erda, die den flatternden Waldvogel mit sich führt. Ein starkes Ende!

Am Pult glänzt Christian Thielemann mit einer bis in alle Einzelheiten ausgefeilten musikalischen Interpretation von Wagners Werk. Er geht mit äußester Raffinesse vor und erzeugt mit der hervorragend disponierten Staatskapelle Berlin einen sehr intensiven, kompakten und die zahlreichen Zwischentöne betonenden Klangteppich. Dabei werden die Mittelstimmen ebenfalls vorbildlich herausgearbeitet. Die von Thielemann angeschlagenen Tempi sind recht gemäßigt, wodurch viele Einzelheiten hörbar werden. Transparenz wird hier ganz groß geschrieben. Und die von dem Dirigenten sorgfältig aufgebauten und phantastisch durchgehaltenen Spannungsbögen, die in fulminante Höhepunkte münden, sind ein Kapitel für sich. Das ist eine wunderbare Leistung, mit der Thielemann sogar seine Bayreuther Deutung des Werkes übertrifft. Bravo!

Größtenteils überzeugend sind die sängerischen Leistungen. Die Brünnhilde von Anja Kampe zeichnet sich durch beeindruckende dramatische Attacken, eindringliche emotionale Momente und eine schöne Linienführung aus. Einen phänomenalen, kraftvollen und farbenreichen Heldentenor bringt Andreas Schager in die Partie des Siegfried ein. Mika Kares besticht als Hagen durch einen imposanten, sonoren und tiefgründigen Bass sowie eine gute Höhe. Einen geradlinigen, gut gestützten Bariton nennt Lauri Vasar, der einen gefälligen Gunther singt, sein Eigen. In nichts nach steht ihm Mandy Fredrich, die mit tadellosem, voll und rund klingendem jugendlich – dramatischem Sopran die Gutrune singt. Mit einem kräftigen, trefflich fokussierten Bariton und einer markanten Diktion stattet Johannes Martin Kränzle den Alberich aus. Ein solide Waltraute ist Violeta Urmana. Gut aufeinander abgestimmt sind die tiefgründig intonierenden Rheintöchter von Evelin Novak (Woglinde), Natalia Skrycka (Wellgunde) und Anna Lapkovskaja (Floßhilde). Die erste und die zweite Norn sind bei Noa Beinart und Kristina Stanek stimmlich bestens aufgehoben. Dagegen fällt Anna Samuil, die die dritte Norn flach und bar jeder soliden Körperstütze singt, ab. Bemerkenswert ist, dass in den stummen Rollen von Wotan und Erda die – im Booklet nicht genannten – Sänger der vorangegangenen Tage Michael Volle und Anna Kissjudit erscheinen. Bei dem von Martin Wright einstudierten Staatsopernchor überzeugen die Frauen und die Bässe mehr als die teilweise überhaupt nicht im Körper singenden Tenöre.

Ludwig Steinbach, 11. August 2024


DVD: Götterdämmerung
Richard Wagner

Staatsoper Unter den Linden, Berlin

Inszenierung: Dmitri Tcherniakov
Musikalische Leitung: Christian Thielemann

Unitel
Best.Nr.: 810408
2 DVDs