Berlin: „Der fliegende Holländer“, Richard Wagner

Während der Ouvertüre zu Wagners Fliegendem Holländer hat man an der Deutschen Oper Berlin viel Zeit darüber zu spekulieren, wer der junge Mann ist, der zunächst in einer Art Hexenkreis mitten auf der Bühne sitzt, sich dann aber meistens an der Seite in eine Ecke drückt. Ist es der Steuermann, der sich von der im Verlauf des Abends recht grob agierenden Mannschaft in Sicherheit bringen will? Ist es Daland, der es auf seinem Schiff nicht mehr aushält? Ist es gar der Holländer höchstpersönlich, der lange vor Die Frist ist um schon auf Landgang ist? Senta erscheint auch für einen kurzen Augenblick, aber die an der Wand kauernde, recht unglücklich wirkende Figur ist Erik, der eigentlich erst im zweiten Akt auftauchen dürfte, dem in der Inszenierung von Christian Spuck jedoch eine Fast-Dauerpräsenz gestattet ist, denn er erlebt die dann beginnende Geschichte als Rückblick bis hin zu dem Moment, in dem ihm Senta, um ihrem Treuegelöbnis folgen zu können, ins offene Messer rennt.

© Thomas Jauk

Die erst 15. Vorstellung nach der Premiere im Jahr 2017 war die zweite Inszenierung des jetzigen Intendanten des Berliner Staatsballetts nach Berlioz‘ Fausts Verdammnis an der Deutschen Oper Berlin, dem Holländer folgte noch Verdis Requiem mit dem Staatsballett und vor wenigen Tagen das Ballett nach Flauberts Madame Bovary.

Auch bei wiederholtem Besuch der Produktion kann man sich über einen respektvollen Umgang mit dem Werk freuen, eine besonders den Chor betreffende einfühlsame Personenregie schätzen und insgesamt die Optik der Produktion als zwar durchgehend sehr düster, aber doch nicht unangemessen einschätzen. Die bis auf einige bunter Haarbänder der Frauen durchweg dunklen Kostüme von Emma Ryott und die ebenfalls dunkle, von einem Wassergraben durchzogene Bühne von Rufus Didwiszus verstärken den Eindruck von Unerbittlichkeit und Ausweglosigkeit, durch die die Entscheidung Sentas umso mehr wie ein Akt der Selbstbefreiung wirkt.

© Thomas Jauk

Eigentlich war der Lockvogel der Aufführungsserie der Holländer von Michael Volle gewesen, der aber sämtliche Vorstellungen abgesagt hatte und am 2. November durch den Hawaiianer Jordan Shanahan ersetzt worden war. Er war ein optisch durchaus zufrieden stellender, akustisch alle Erwartungen übertreffender Holländer, dem keine Tiefe zu tief, keine Höhe zu hoch war und der darüber hinaus noch ein erotisch flirrendes Etwas in der Stimme hat. Dazu verfügt er über eine makellose Diktion, nicht nur akzentfrei, sondern auch überaus verständlich. Das alles konnte man leider vom Erik des amerikanischen Tenors Robert Watson nicht sagen, der mit starkem Akzent, seltsam verquollen klingenden Tönen, zwischen denen nur hin und wieder ein schönes Timbre aufleuchtete, irritierte. Das tat zunächst im ersten Akt auch Tobias Kehrer als Daland mit einer unausgewogenen Tonproduktion, während derer man seinen Ohren nicht zu trauen glaubte, ehe er zu der von ihm gewohnten Basssonorität zurückkehrte. Mit einer angenehmen Tenorstimme beschwor der Steuermann von Matthew Newlin den Südwind, Lauren Decker war eine sattstimmige Mary, von deren Alt man sich noch viel Gutes erwartet. Eine optisch hundertprozentig überzeugende Senta gab die Norwegerin Elisabeth Teige. Wer gerade das Buch über ihre Landsmännin Kirsten Flagstad liest, fragt sich, ob sie wohl bald in die Fußstapfen ihrer berühmten Kollegin treten wird. Im schlanken vokalen Korsett der Senta fühlt sich die helle, etwas kühle, mädchenhafte Stimme augenblicklich noch hörbar wohl und zeigt sich auch den vokalen Ausbrüchen bereits gewachsen.

© Thomas Jauk

Ein großes Sonderlob gebührt dem Chor der Deutschen Oper unter Jeremy Bines, der wirklich ganz große Oper an diesem Abend bot. Seine langjährige Erfahrung auch im deutschen Fach bewies als Einspringer für den wohl für längere Zeit erkrankten Generalmusikdirektor Sir Donald Runnicles Ivan Repušić.

Insgesamt konnte man mit dem Abend im ausverkauften Haus sehr zufrieden sein, auch generell mit dem Spielplan der Deutschen Oper, der nach einem italienischen Block mit Verdi und Puccini in teilweise großer Besetzung nun fast alle im Repertoire befindlichen Wagneropern anbietet.

Ingrid Wanja, 2. November 2023


Der fliegende Holländer
Richard Wagner

Deutsche Oper Berlin

Besuchte 15. Vorstellung am 2. November 2023
nach der Premiere am 7. Mai 2017

Inszenierung: Christian Spuck
Musikalische Leitung: Ivan Repušić
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin