Schwer tun sich die Opernbühnen mit Beethovens einziger Oper Fidelio, besonders wohl die Berliner, wo in der Komischen Oper einst Harry Kupfers Inszenierung eine Probensituation imitierte, ein Ensemble das Stück einstudierte und man dadurch auf Distanz zu seiner Botschaft gehen konnte, wo an der Rampe ein Geranientöpfchen stand und man gespannt, aber ohne zu zweifeln darauf warten konnte, dass Pizarro ihm einen Fußtritt verpasste. Die Staatsoper übernahm später diese Produktion und hat sie wohl immer noch im Spielplan. An der Deutschen Oper gab es seit ewigen Zeiten keinen Fidelio, der letzte, von Christof Nel blieb in Erinnerung nur durch eine hohe Hauswand, aus deren Fensterhöhlen nackte Babyleichen auf die Bühne geworfen wurden. Es konnte also mit dem neuen Fidelio nur besser werden.
Pein bereitet modernen Regisseuren offensichtlich die Jubelbotschaft des Schlusschors, der in der Vor-Kupfer-Produktion an der Staatsoper (unvergesslich durch die schwarze Haarpracht, die Catherine Malfitano zu „Töt erst sein Weib“ aus der Seidenmütze quellen ließ), deshalb auch aus dem Zuschauerraum von Chormitgliedern in Zivil dargeboten wurde als eine Utopie, nicht mehr zur Opernhandlung zugehörig.
So wurde es am 25.11. in der Deutschen Oper zwar besser, dem happy end aber wollte auch die Inszenierung von David Hermann nicht trauen, der den Schluss von einer anonymen Menge in der üblichen Zeitlos-Gegenwart-Gewandung ( Kostüme und Bühne Johannes Schütz ) singen ließ, während der Minister als pressegeiler Glücksverkünder eitel seines Amtes waltet und während seine Begleiter die sowieso von einem Absperrseil zurückgehaltene Menge noch weiter in den Bühnenhintergrund drängen, Leonore sich ihren Florestan schnappt und mit ihm verschwindet, wohl noch einiges psychisch mit ihm aufzuarbeiten haben wird, wenn er auch weniger gestört erscheint als seinerzeit Jonas Kaufmann in Salzburg.
Zuvor hatte die Regie sich weitgehend an die Handlung gehalten, auch wenn Marzelline zu Beginn nicht häuslicher Tätigkeit nachgeht, sondern einen Leichnam wäscht, der danach von Rocco mit Fußtritten in eine Grube befördert wird, in der später auch ein Mitgefangener Florestans verschwindet. Die Gefangenen sind im ersten Akt hinter weißen Pappmasken allgegenwärtig, können sogar einen Teil der Gefängnismauer einreißen, es wird viel auf Leitern geklettert und auf Mauersimsen balanciert, macht nichts, die Handlung schreitet voran, wie es sich gehört, die Charaktere bleiben unversehrt, und zunehmend rückt Rocco in den Mittelpunkt des Interesses, vollzieht vom goldgierigen Spießer und getreuen Vollstrecker der von ihm geforderten Übeltaten zum Verweigerer und schließlich selbstbewusst Handelnden eine erstaunliche Wandlung.
Die ist umso überraschender, als von Beginn an alle Mitwirkenden als Gefangene erscheinen, sich in eine Rolle gezwungen sehen, die sie eigentlich nicht spielen wollen, so wie es Leonore in der des von Marzelline geliebten Fidelio ergeht. Rocco trägt die orangefarbene Hose eines Guantanamo-Gefangenen, für den Berliner Zuschauer könnte er auch als Mitglied der Stadtreinigung gelten. Es ist nicht nur das Verdienst der Regie, dass man ihm seine Entwicklung abnimmt, sondern auch die des mit viel körperlicher Präsenz prunkenden Albert Pesendorfer, der zudem einen hochpräsenten Bass nicht nur für die Arie vom Gold, sondern auch für den zweiten Akt einsetzen kann. Pure Freude bereitet auch der klare, spritzige Sopran von Sua Jo, deren Marzelline man ein versöhnliches Ende mit dem mit einem klar konturierten Charaktertenor begabten Jaquino von Gideon Poppe gewünscht hätte. Ein schleimig tänzelnder Pizarro der eher grotesken Art ist Jordan Shanahan, der auch vokal die abgrundtiefe Schwärze seines Charakters nicht optimal zur Geltung bringen konnte und deswegen einige Buhs einstecken musste. Die hätte man auch beim Soloapplaus für den Florestan von Robert Watson erwarten können, der als weniger schwacher Siegmund gerade an der Staatsoper auf den Widerspruch des Publikums gestoßen war, nun aber noch mitleiderregender jedwede kraftvolle Gesangslinie vermissen ließ und der schon vom Timbre her die hohen Ansprüche an einen Heldentenor kaum erfüllen kann. Einen leuchtenden, nicht durchweg schmeichelnden, aber umso mehr beeindruckenden und für die Figur einnehmenden Sopranklang ließ die Leonore von Ingela Brimberg vernehmen und wurde dafür und für ihr die Partie mit Leben erfüllendes Spiel gefeiert. Salbungsvoll ließ Thomas Lehman als Don Fernando seinen Bariton strömen, frisch klangen die jungen Stimmen von Stipendiaten Kieran Carrel und Artur Garbas als Solo-Gefangene.
Gefangenen- wie Schlusschor ließen keinen Wunsch offen (Jeremy Bines), das Orchester unter Sir Donald Runnicles begann mit leichten Bläserwacklern, die jedoch, weil sich nicht wiederholend, schnell vergessen waren, ein nicht pathetischer, sondern zugleich kraftvoller und differenzierender Klangteppich wurde unter den Sängerstimmen ausgebereitet und Orchester und Dirigent wurden entsprechend vom Publikum entsprechend gefeiert. Buhs gab es für das Regieteam, dem einige Absonderlichkeiten anzulasten sind wie der Mord Leonores an einem Mitgefangenen des Gatten, das aber insgesamt den Mut gehabt hatte, Handlung und Figuren intakt zu lassen. Noch größeren Mutes allerdings hätte es bedurft, an die Botschaft des Schlusschors zu glauben und diesen entsprechend zu inszenieren.
Ingrid Wanja, 26.11.2022
„Fidelio“ Oper von Ludwig van Beethoven
Deutsche Oper Berlin
Besuchte Premiere am 25.11.2022
Inszenierung: David Hermann
Musikalische Leitung: Sir Donald Runnicles
Orchester der Deutschen Oper Berlin