Giuseppe Verdis 1862 in St. Petersburg uraufgeführte und mit verändertem Libretto dann 1869 erstmalig in der Mailänder Scala gespielten Oper La forza del destino (Die Macht des Schicksals) ist eine mit herrlichster Musik erzählte Liebesgeschichte, die in Zeiten von Krieg und Verzweiflung – und zwischen Schlachtfeld und klösterlicher Abgeschiedenheit – ein für Verdi so unnachahmlich tragisches Ende findet. In Essen feierte Verdis Meisterwerk am gestrigen Abend seine Premiere. Das Premierenpublikum im gut besuchten, aber nicht ausverkauften, Haus war allerdings zwiegespalten: viel Applaus und Jubel für die teils überragend guten sängerischen Leistungen, für den auftrumpfenden Chor des Aalto-Theaters und besonders für die glänzend aufspielenden Essener Philharmoniker unter ihrem GMD Andrea Sanguineti, der Verdis Komposition so leidenschaftlich und gefühlvoll dirigierte. Aber auch deutliche Buhrufe und Unverständnis für das Regieteam um Sláva Daubnerová, die zwar einerseits manch eindrücklich-schöne Bilder auf der Bühne schuf, aber andererseits dieser Oper ein zu Viel an martialischen Deutungen aufstülpte und dadurch dem emotionalen Kern der Oper, – eben der unerfüllten Sehnsucht zweier Menschen nach erfüllender Liebe-, zu wenig Raum gab. Denn gerade diese Oper ist voll von emotionaler Wucht und Qualität, die musikalisch zu Tränen rühren kann. Die das Herz des Opernfans umfasst. Das sollte genutzt und zugelassen werden. Denn das ist nun mal Verdi. In all seiner musikalischen Größe.
Die Handlung der Oper ist zugegebenermaßen ein wenig verworren. Zeitliche und inhaltliche Sprünge reihen sich aneinander. Ähnlich seinem Il trovatore (Der Troubadour). Zwei Opern, die sicher szenisch nicht gerade einfach auf die Bühne zu stellen sind, die aber von Verdi musikalisch überreich ausgestattet wurden. Jede für sich genommen ein wahres Fest für Opernliebhaber. Hat der italienische Meister doch hier für Tenor, Bariton, Sopran und Mezzosopran jeweils höchst anspruchsvolle und melodienreiche Hauptpartien erschaffen. In beiden Opern ist das tragische Liebespaar der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Die liebende Frau von adeligem Stand und der Mann ihres Herzens, der von ihrer Familie, als für sie nicht würdig erachtet wird. Menschen, die ihnen nach dem Leben trachten und auf Rache sinnen, umgeben sie. Vermeintliche Zuflucht bieten ihnen der Glaube und die Kirche. Kriege, bzw. kriegerische Auseinandersetzungen, trennen die jeweiligen Paare, um sie wieder zusammen zu führen. Aber ohne ein ersehntes Happy End. Während es beim Troubadour beiden Liebenden am Ende das Lebens kostet, bleibt bei der Macht des Schicksals der unglückliche Alvaro überlebend zurück.
Die herrliche Musik von Verdi ist aber die verbindende Klammer für diese beiden großartigen Bühnenwerke. Daher auch im folgenden mein Hauptaugenmerk auf die musikalische Umsetzung der Essener Neueinstudierung von La forza del destino.
Regisseurin Sláva Daubnerová legte bei ihrer Inszenierung großen Wert auf die Darstellung der Grauen eines Krieges und der damit verbundenen zwischenmenschlichen Verwerfungen und Leiden. Für sie ist Donna Leonora schon vor Beginn der eigentlich Opernhandlung ein mitschuldiges Opfer der nachfolgenden Tragödie und nutzt dafür bereits die Ouvertüre, in der Leonora und eine Statistin (Alter Ego?) mit einer Pistole herumfuchteln. Das Ganze zusätzlich untermalt von großflächigen Videoprojektionen (Andreas Deinert) die auf einen zusätzlichen Gazevorhang geworfen werden. Ganz klar wird mir diese Sequenz allerdings nicht. Eigentlich nicht nur die…
Die Handlung selbst spielt in dieser Inszenierung in einer eher zeitlosen Epoche, welches auch durch die Kostüme (Cedric Mpaka) und das teils mächtige Bühnenbild (Volker Hintermeier) verdeutlicht werden. Eine meterhohe Statue inmitten der großen Essener Bühne ist Mittelpunkt des Kriegstreibens und ist im weiteren Verlauf der Handlung – wohl als Sinnbild für Zerstörung und Leid von Kriegen – zerbrochen.
Musikalisch ist dem Aalto-Theater aber in jeder Hinsicht ein großer Wurf gelungen!
Zunächst sei hier der Opernchor des Aalto-Theaters genannt. Opernchef Klaas-Jan de Groot hat die Damen und Herren seines Chores hervorragend auf die Premiere vorbereitet. Zu Recht und hochverdient großen Jubel beim Schlussapplaus für den Essener Opernchor.
Astrik Khanamiryan konnte mit strahlendem und durchsetzungskräftigem Sopran in der Partie der Donna Leonora überzeugen. Ihre große und anspruchsvolle Arie „Pace, pace, mio dio“ aus dem vierten Akt (die sie zunächst auf einem Felsen sitzend und später in einem Koffer kramend singen musste) wurde vom Publikum mit Bravorufen bedacht. Sehr berührend auch ihr Gesang in der Klosterszene im zweiten Akt. Das Publikum feierte sie für ihre gesanglich-darstellerische Leistung.
Bettina Ranch war als Preziosilla eine wahre Idealbesetzung. Die Mezzosopranistin verlieh der Rolle der kriegslüsternen Wahrsagerin großes Profil. Schauspielerisch, aber- und vor allem, gesanglich! Sinnlich, kraftvoll und durchschlagend beschreiben ihre gesangliche Leistung an diesem Premierenabend wohl am besten. Bravo für diese Essener Preziosilla!
Jorge Puerta ließ in der anspruchsvollen Tenorpartie des Alvaro seiner höhensicheren und wohlklingenden Stimme freien Lauf. Glaubhaft verlieh er dem verzweifelten und später im Glauben geläuterten Geliebten und Kriegsherrn Gestalt und Stimme. Der Bariton Massimo Cavaletti als sein erbitterter Erzfeind Don Carlo di Vargas überzeugte mit kräftiger und imposanter Stimme und erhielt bereits nach seiner großen Soloszene viel Applaus und Bravorufe.
Großartig Roberto Scandiuzzi als Padre Guardiano! Der italienische Bass begeisterte vom ersten Moment seines Auftretens an das Publikum mit seiner großen und für diese Partie idealen Stimme. An seiner Seite Karel Martin Ludvik, der einen überzeugenden und spielfreudigen Fra Melitone bot. Die Partie des Vaters von Leonora, Marchese di Calatrava, wurde von Andrei Nicoara souverän dargestellt.
In den kleineren Partien waren Tina Drole, Hyeong Joon Ha, Alejandro Del Angel, Yangcheng Chen und Stefan Kellner zu erleben und rundeten zusammen mit der Statisterie des Aalto- Theater die Premiere hervorragend ab.
Die musikalische Leitung des Abends hatte Essens GMD Andrea Sanguineti. Mit sehr viel Gefühl, aber auch mit großer Leidenschaft für Verdis Komposition führte er die Essener Philharmoniker durch die Partitur. Schon bereits die sehr populäre Ouvertüre mit ihrem bekannten Schicksalsmotiv wurde zu einem ersten musikalischen Highlight des Abends. Dass Verdi bei Sanguineti in allerbesten Händen ist, war über die gesamte Dauer der Oper zu hören und zu spüren. Hochverdienter Jubel für Dirigent und sein Orchester!
Detlef Obens, 11. November 2024
Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN
Macht des Schicksals
Giuseppe Verdi
Aalto-Theater Essen
Premiere am 9. November 2024
Inszenierung: Sláva Daubnerová
Musikalische Leitung: Andrea Sanguineti
Essener Philharmoniker