Premiere am 11.3.2017
In der Berliner U-Bahnlinie 1, die damals im Westteil der Stadt zwischen dem Bahnhof Ruhleben und Berlin Kreuzberg via Bahnhof Zoo verkehrte, lernt ein Mädchen vom Lande auf der Suche nach ihrer großen Liebe, dem vermeintlich „großen Rockmusiker“ Johnnie, viele verschiedene Charaktere kennen und spürt das hektische, teils rücksichtlose Treiben in der Großstadt am eigenen Leibe. Sie trifft auf Abgehängte und Anschlusssuchende, auf Wutbürger, Sozialverlierer, Junkies, Alkoholiker, Zuhälter und Deutschnationale.
Gleich dem ersten Stück „Sechs Uhr vierzehn, Bahnhof Zoo“ hört man musikalisch die Entstehungszeit an. Das Musical von Birger Heymann und der Rockband „No ticket“ wurde 1986 am Berliner Grips-Theater uraufgeführt, wo es auch heute mehr als 30 Jahre später noch auf dem Spielplan steht. Doch schnell wird klar, warum das Stück dort in über 1.700 Vorstellungen bislang über 620.000 Zuschauer in den Bann zog und bis heute in insgesamt 15 Ländern inszeniert wurde. Die Musik entwickelt sich schnell zu einem zeitlosen, eindringlichen Rocksound und die Geschichten sind auch heute noch genauso aktuell wie zur Entstehungszeit. Dafür sorgen nicht zuletzt auch die Texte von Volker Ludwig. Wie schreibt das Programmheft an einer Stelle treffend, wegen der wichtigen Aussage ausnahmsweise einmal an komplett zitiert: „Es mutet surreal an, dass gerade in solch bizarren Karikaturen wie den „Wilmersdorfer Witwen“ der eigentliche Aktualitätswert der Grips-Revue liegt. In einer Zeit, in der Ausrufe wie „Armes Deutschland!“ wieder mehrheitsfähig werden und sich die verbalen und körperlichen Übergriffe auf Menschen anderer Nationalitäten mehren, besitzt „Linie 1“ mehr gesellschaftliche Relevanz als vielleicht je zuvor in seiner 30-järhigen Aufführungsgeschichte.“
Gleichzeitig zeigt dieser Song auch den teilweise bissigen Humor, werden die vier Witwen hier (keineswegs zu sehr auf Klamauk getrimmt) von vier Männern dargestellt. Allgemein kommt der Humor an diesem Abend nicht zu kurz, auch wenn das Thema ein eher tragisches ist. Hierfür sorgt auch ein hervorragend aufgelegtes Ensemble. Schauspielerisch immer auf der Höhe und gesanglich auf dem Punkt, so dass allen elf Solisten hier großer Anteil an dem gelungenen Abend gebührt. Als das absichtlich namenlose „Mädchen“ singt Yvonne Foster mit klarer Stimme. Ebenfalls großen Szenenapplaus bekam Jeanette Claßen mit „Marias Lied“. Universaltalent Joachim G. Maaß spielt sich sicher und schwungvoll durch verschiedenste Rollen, die er wie immer mit seinem dem Ohr schmeichelnden Bass ausfüllt. In weiteren Rollen ebenfalls ohne jeden Makel Annika Firley, Gudrun Schade, Christa Platzer, Sebastian Schiller, Jacoub Eisa, Benjamin Oeser, Edward Lee und Dirk Weiler.
Für die Inszenierung zeichnet sich Carsten Kirchmeier verantwortlich, dem es wunderbar gelingt den Kern des Stückes zu finden und weder ein nostalgisches 80iger-Jahre-Revival noch eine um jeden Preis in die Gegenwart verlegte Geschichte zu erzählen. Schön allerdings, dass man trotzdem die DM nicht zum Euro werden lässt und eben weiterhin von Kohl statt Merkel die Rede ist. Wie die Musik wirkt auch diese Inszenierung trotz einiger historischer Bezüge eher zeitlos, im sehr positiven Sinne. Unterstützt wird dies durch die passenden Kostüme von Teresa Grosser. Das Bühnenbild von Katrin Hieronimus beschränkt sich auf der Bühne im kleinen Haus hauptsächlich aus vier Metallelementen die die Buchstaben E, X, I, und T ergeben, mehr ist allerdings auch nicht notwendig, da diese geschickt eingesetzt werden. Für die Choreographie zeichnet sich Paul Kribbe verantwortlich. Die eingesetzte Band spielt unter der musikalischen Leitung von Heribert Feckler rockig aber niemals zu laut. Wer es abseits der Oper auch mal rockig mag, dem sei dieses Musical durchaus ans Herz gelegt. Das Premierenpublikum wollte nach rund 1 ¾ Stunde, die (ohne Pause) im Zuge verging, die Darsteller kaum von der Bühne lassen.
Markus Lamers, 12.03.2017
Fotos © MiR