am 14. Mai 2014
Mythos als Wahrheit…
Nach einem weitgehend spannend und abwechslungsreich erzählten „Rheingold“ beruhigte sich die Bildflut des Bühnen- und Kostümbildners Jürgen Rose in der Genfer Neuinszenierung des „Ring des Nibelungen“ durch Dieter Dorn in der „Walküre“ signifikant. Es beginnt mit Wotans runenübersätem Speer vor dem Vorhang, der im Folgenden ganz intensiv als Lenker des Geschehens auf der Bühne agiert, natürlich von den Betroffenen unbemerkt. Die Weltesche erinnert an eine dieser lianenartig über alte Tempel in Angkor Vat im fernen Kambodscha wachsenden, mythisch anmutenden Bäume. Auch in der „Walküre“ bleiben Dorn und Rose ihrem klar auf den „Ring“-Mythos setzenden Regiekonzept treu. Dramaturg Hans-Joachim Ruckhäberle stellte ja schon in einem Aufsatz zum „Rheingold“ fest, dass der Mythos zu allen Zeiten Wahrheit sei.
Dass im Rahmen dieser mythischen Bilder Wahrheit tatsächlich stattfindet, dokumentiert das Regieteam durch eine bis ins allerletzte Detail, den letzten auf das jeweilige Geschehen oder Gesagte bzw. Gefühlte abgestimmten Gesichtsausdruck der Protagonisten. Dazu trug die Arbeit am körperlichen Ausdruck durch Hans Wanitschek sicher bei. So ist der 1. Aufzug von knisternder Spannung geprägt. Will Hartmann singt den Siegmund mit großer Authentizität, baritonal schön grundiertem Timbre und durchaus guter Höhe, auch wenn seine Stimme (noch) nicht das große Volumen hat. Durch sein emphatisches Spiel kann er jedoch überzeugen. Michaela Kaune steht ihm an darstellerischer Intensität nicht nach und bringt auch die erforderliche stimmliche Kraft mit. Ihre Sieglinde ist aber nicht immer wortdeutlich, und die Höhen klingen etwas fahl. Günther Groissböck gibt einmal mehr eine ganz starke und ungewöhnlich intensive Darstellung des Hunding mit seinem für diese Rolle ausgezeichnet geeigneten kraftvoll prägnanten Bass, bei bester Diktion. Ein sehr intelligenter Sängerdarsteller im besten Sinne des Begriffs.
Im 2. Aufzug war endlich einmal ein sinnvoll dramatisierter Wotan-Monolog zu erleben. Tom Fox entledigt sich nach und nach seiner Umhänge und Rüstung und schließlich sogar der Binde über dem verlorenen Auge, so wie auch sein Monolog eine völlige Bloßstellung vor Brünnhilde ist. Dazu kommen zusätzlich zu der nicht nur hier sehr situationsgerechten Lichtregie ständig neue Spiegel von unten herauf und reflektieren Wotans ganze Tragik gewissermaßen in das Publikum, symbolisieren aber auch, dass seine Botschaften nicht so geheim bleiben, wie er es sich wünscht. So erhält dieser Monolog gewissermaßen eine orakelhafte Mystik und vermittelt dennoch viel Emotion. Fox ist immer noch ein imposanter Wotan mit großer darstellerischer und stimmlicher Autorität. Mit seiner guten Technik kann er den wohlklingenden Bassbariton auch in sichere Höhen führen. Kleinere und bei seinem doch schon fortgeschrittenen Alter verständliche Ermüdungserscheinungen fallen dabei kaum ins Gewicht. Zuvor war das Zwiegespräch zwischen ihm und Elena Zhidkova als erstklassiger jugendlicher Fricka ein dramatischer Höhepunkt dieser „Walküre“. Zhidkova beherrscht die Rolle perfekt und gestaltet sie intensiv und mit expressiver Mimik. Ihr bestens artikulierter, etwas heller, aber sehr ausdrucksstarker Mezzo ist bis auf jedes Wort zu verstehen. Auch bei diesem Dialog wird die Bühnentiefe gut ausgenutzt, was der Handlung immer wieder eine größere Dimension verleiht. Dabei setzt Rose auf oft wechselnde Zusammensetzungen kastenartiger Versatzstücke auf der Bühne – die schwarz neutralisierten Bühnenarbeiter sind meist zu sehen. Man will damit wohl dokumentieren, dass im „Ring“, wie ja auch im Leben, alles im Fluss und in Bewegung ist.
Ähnlich intensiv wie der Wotan-Monolog wird auch die Todesverkündigung durch Brünnhilde inszeniert. Erst hängt sie Siegmund Wotans liegen gelassenen königsblauen Herrschermantel zum Gang nach Walhall um, bis er langsam ihre Worte versteht und sich eine große Eigendynamik im Kampf um sein und Sieglindes Schicksal ergibt. Petra Lang, die in diesem Genfer „Ring“ alle drei Brünnhilden zum ersten Mal zyklisch singt, zeigt hier ihre große Wandlungsfähigkeit von der Schicksalsgöttin zur engagiert mit der Liebe der Wälsungen sympathisierenden Walküre. Sie geht mit ihrem warm timbrierten Sopran die Partie sehr gesangsbetont an. Auf jeder Note klingt die Stimme bei guter Phrasierung, stets zutreffendem Ausdruck und hoher Wortdeutlichkeit. Noch im Finale kann sie aufgrund einer offenbar sehr guten Technik mit strahlenden Abschiedstönen von Wotan beeindrucken. Ihr „Wer diese Liebe mir ins Herz gehaucht…“ klingt äußerst berührend. Menschlichkeit ist bei Dorn wohl von großer Bedeutung, denn sie tritt immer wieder bei den Protagonisten hervor. Sogar Günther Groissböck scheint als Hunding nach dem sehr authentisch im Bühnenhintergrund gestalteten Kampf mit Siegmund noch Gefühle zu zeigen. Auch Brünnhildes Miniaturpferd Grane, meist mit liebevollen Bewegungen marionettenhaft von zwei Bühnenarbeitern bewegt, gehört in diesen Zusamnenhang.
Der Walküren-Ritt nimmt mit menschlichen Pferdeattrappen und allzu unecht aussehenden Lederpuppen für die gefallenen Helden einen nicht ganz überzeugenden Gang. Allzu viel ist da auf der Bühne los. Dabei hätte die gute Choreografie des Walküren-Oktetts an sich schon gereicht. Fast alle singen mit guter Stimme und wirken im Ensemble sehr klangvoll – Katja Levin (Gerhilde), Marion Ammann (Ortlinde), Lucie Roche (Waltraute), Ahlima Mhamdi (Schwertleite), Rena Harms (Helmwige), Stephanie Lauricella (Siegrune), Suzanne Hendrix (Grimgerde) und Laura Nykänen (Rossweiße). Das emotional sehr einnehmende Finale von Tom Fox und Petra Lang mit einem großartigen Bannspruch setzt einen starken Schlusspunkt unter diese Genfer „Walküre“.
Ingo Metzmacher führte mit dem Orchestre de la Suisse Romande seinen im „Rheingold“ begonnenen Stil musikalischer Zurückhaltung fort. Nichts klang hier bombastisch, nicht einmal der Walküren-Ritt. Metzmachers leicht federndes, stets auf die SängerInnen eingehendes Dirigat sorgte stets für viel Harmonie zwischen Bühne und Graben, und das bei einem tief ausgespielten Bühnenraum, der doch einigen Klang „verschlucken“ kann. Dabei lag Metzmacher offenbar viel an flüssigen Tempi. Immer wieder waren die Soloinstrumente mit großer Transparenz und besonderer Artikulation herauszuhören, sodass manches direkt kammermusikalisch wirkte. Gleichwohl verstand er es, dramatische Akzente zu setzen, wo sie gefragt waren, um die emotionale Aussage auf der Bühne zu untermauern. So geriet diese Genfer „Walküre“ musikalisch aus einem Guss.
Klaus Billand 20.5.2014
Fotos: GTG/ Carole Parodi