Giacomo Puccini kommt im Allgemeinen recht häufig auf die Bühne des Athener Odeions. Im vergangenen Jahr wurde „Tosca“ gezeigt. Mehr als alle anderen Werke des Komponisten ist es aber seine letzte Oper „Turandot“, die sich zur optimalen Nutzung des großen Raumes eignet. Der aus Rumänien stammende Regisseur Andrei Şerban hatte in den 1980er Jahren eine spektakuläre Inszenierung von „Turandot“ am Royal Opera House Covent Garden verantwortet, von der man noch heute spricht. Das war wohl der Grund für die Einladung der Griechischen Nationaloper an den Regisseur, das Werk im römischen Odeion auf die Bühne zu bringen. Die Erwartungen waren dementsprechend hoch.
Zusammen mit der Ausstatterin Chloe Obolensky schickte sich der Regisseur an, ein ganz ungewöhnliches Raumkonzept für Athen zu entwickeln. Das Bühnenpodium ist komplett ummantelt, der Einbau gleicht sich ästhetisch der römischen Ruine an. Zugleich verweisen brückenähnliche Strukturen auf den Bühnenseiten auf das chinesische Milieu der Opernhandlung. Im mittleren Bühnenbereich ragt die erhöhte Spielfläche über den Orchestergraben hinaus. Eine Turmkonstruktion hinter der antiken Bühnenwand erlaubt es, Akteure gleichsam über dem römischen Mauerwerk auftreten zu lassen. Das Ensemble umfasst nicht nur Solisten und Chor, sondern auch einen grossen Bewegungschor. Der verstärkte Chor und Kinderchor der Nationaloper sind in den ersten Reihen des Auditoriums platziert, was akustisch eine gute Wahl darstellt. Und gleichzeitig wird damit die Grenze zwischen Bühne und Publikum überschritten. Man hat wohl noch nie den weiten Raum des Odeions so weitgehend genutzt gesehen. Diese Ausweitung der Spiel- und Gesangszone bringt in den besten Momenten tatsächlich das Geschehen näher zum Publikum, eröffnet ein Mehr an Erlebnis.

Im Detail zeigt sich aber, daß uns Şerban letztlich ziemlich traditionelle Kost serviert. Der Bewegungschor ist vor allem dazu da, die Bühne zu füllen, die seitlichen Brückenanlagen werden immer nur kurz bespielt und erscheinen darum mehr als Dekor, denn als Echo der Handlung. Der Regisseur hat sich aber, das muss man ihm zugutehalten, einige Gedanken zur Hauptfigur gemacht. Dies führt unter anderem zu einem stummen Vorspiel, in dem die Schändung von Turandots Ahnfrau gezeigt wird. Auch später taucht diese als Alter Ego der Prinzessin auf und dient als symbolische Figur, um das schwierige Verhältnis der Kaisertochter zu Männern zu erklären. Das kann man machen, allerdings hätte man auch die übrigen Charaktere wie Calaf und Liu besser charakterisieren sollen. Die Personen um Turandot bleiben doch etwas blass. Die Kostüme sind prächtig, aber gleichzeitig auch etwas klischeehaft ausgefallen. Sie eignen sich bestens für die Zurschaustellung des Personals. Şerbans und Obolenskys Interesse gilt offensichtlich mehr dem Anlegen szenischer Tableaus denn einer intensiven, zeitgenössischen Personenführung. Eindruck macht das Bühnengeschehen aber schon.
Der Italiener Pier Giorgio Morandi bietet am Pult des Opernorchesters ein solides Dirigat, welches das Orchester, das in einem Zuschauergang platzierte Bläserensemble, die Chöre und das Solistenensemble gut koordiniert. Manche musikalischen Details bleiben jedoch unterbelichtet und tempomässig fallen einige Stellen zu träge aus. Chor und Extrachor der Nationaloper (Einstudierung: Agathangelos Georgakatos) und der Kinderchor (Einstudierung: Konstantina Pitsiakou) machen ihre Aufgabe wirklich gut. Die Platzierung im Auditorium mag zum satten Klangbild der Kollektive beitragen.
Das unumstrittene, sängerische Zentrum der Aufführung ist Catherine Foster als Turandot. Sie überzeugt mit klarer Tongebung, großen Gestaltungsmöglichkeiten und dramatischer Kraft. Foster erweist sich als eine fabelhafte Turandot. Neben ihr beeindruckt die junge Maria Kosovitsa als Liu. Ihr souverän geführter Sopran schwingt sich zu leuchtenden Höhen auf. Riccardo Massi als Calaf bietet ebenso ein rollendeckendes Stimmporträt. Seinem dramatischen Tenor geht in der berühmten „Nessun dorma“-Arie nur etwas Höhenglanz ab. Neben den drei genannten Sängern bieten Tassos Apostolou als Timur, Nicholas Stefanou als Kaiser/Prinz von Persien, Haris Andrianos als Ping, Yannis Kalyvas als Pang, Andreas Karaoulis als Pong und Georgios Papadimitriou als Mandarin erfreuliche Leistungen. Die neue Athener „Turandot“ ist szenisch wie musikalisch bemerkenswert.
Das Publikum im ausverkauften Odeion des Herodes Attikus spendet reichlich Zwischenapplaus und zeigt am Schluß große Begeisterung.
Ingo Starz, 15. Juni 2025
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
Turandot
Giacomo Puccini
Athens, Griechische Nationaloper
Epidaurus Festival 2025
Odeion des Herodes Attikus
6. Juni 2025
Regisseur: Andrei Şerban
Dirigat: Pier Giorgio Morandi
Opernorchester Athen