Wiesbaden: George Li, Moskauer Philharmoniker: Borodin, Rachmaninov, Tschaikowski

Besuchtes Konzert im Kurhaus Wiesbaden am 31. Januar 2020

Im aktuellen Wiesbadener Meisterkonzert waren die traditionsreichen Moskauer Philharmoniker mit einem russischen Programm zu Gast im Kurhaus Wiesbaden.

Alexander Borodin: Fürst Igor – Ouvertüre

Eine wechselvolle Geschichte erlebte die 1890 uraufgeführte Oper „Fürst Igor“ von Alexander Borodin. Dieser hinter-ließ dieses Werk unvollendet. Die Komponisten Rimsky-Korsakoff und Glasunow komplettierten die Oper, so dass es bis zum heutigen Tag zum Kernrepertoire der russischen Opernhäuser gehört. Vor allem die berühmten „Polowetzer Tänze“ und die Ouvertüre sind auch immer wieder im Konzertsaal anzutreffen.

Zum Auftakt spielten die Moskauer Philharmoniker unter Leitung ihres langjährigen Gastdirigenten Yuri Botnari eine schneidige Version der „Fürst Igor“ Ouvertüre. Klar in der Kontur und dazu schwungvoll im Grundtempo. Wuchtig und erdig erklangen die üppigen Streicher im einleitenden Sehnsuchtsmotiv, welches die Titelfigur prägnant kennzeichnet. Ungemein virtuos dann das Wechselspiel der Blechbläser, die den Weg für die Tanzrhythmen bereiteten, die in diesem Werk so präsent sind. Beste Gelegenheit also, dass die russischen Gäste ihre klanglichen Vorzüge ins beste Licht stellen konnten.

Sergej Rachmaninov: Klavierkonzert No. 3 d-moll op. 30

Solist des Abends war der 24jährige vielfach ausgezeichnete Pianist George Li, der sich eines der schwersten Klavierkonzerte ausgesucht hatte.

Sergej Rachmaninow komponierte mit seinem dritten Klavierkonzert ein zeitlich umfangreiches Werk mit z.T. horrenden Anforderungen an den Pianisten. Gerade einmal zwei Takte Orchestereinleitung genügen, ehe das Klavier mit leichten Oktaven einsetzt. Die kantable, prägnante Melodie gemahnt an russische Volksmusik, war aber lediglich etwas, wie Rachmaninow es formulierte, was sich von selbst formulierte. Bereits der erste Satz ist in seinen Anforderungen ein Konzert in sich, was z.T. auch der ausführlichen Kadenz geschuldet ist.

Im Adagio des zweiten Satz wird ein sensibler Ruhepunkt gebildet, in welchem Themen aus dem ersten Satz aufgegriffen und verarbeitet werden. Nahtlos ist der Übergang dann in den virtuosen Schlußsatz, welcher am Ende in einen Klangrausch größter Farbigkeit mündet und in einer kurzen Stretta endet.

Es war schon eine außergewöhnlich reife Leistung, die George Li am Flügel zeigte. Allein die technische Bewältigung dieses Konzertes geriet verblüffend souverän. Mit viel Energie und starker Kraft, vor allem in der linken Hand, bediente er die kaum spielbaren Herausforderungen mit entwaffnender Leichtigkeit. Aber er konnte auch die Dynamik zügeln und vor allem im zweiten Satz kontemplativ agieren. Der dritte Satz kam wie ein Hexentanz auf Tasten daher. Zugespitzte Tempi, unendliche Energie, rasende Akkordwechsel und doch dann auch in dem großen Cantabile am Ende des Werkes, ein deutliches Ausbremsen. Im Verein mit dem sehr sensibel reagierenden Orchester wurde nun rubatoselig ausgesungen, dass es die pure Freude war.

Und natürlich brandete mit einem Aufschrei des Publikums nach dem furiosen Finale berechtigter Jubel auf. Li dankte mit einer ruhigen Zugabe.

Die Moskauer Philharmoniker waren ein hörbar gleichberechtigter Partner. Groß ist die Nähe des Klangkörpers mit dieser Musik. Auch hier gefielen wieder die herrlichen Streicher und die sensibel agierenden Holzbläser. Aber auch Blech und Schlagzeug ergänzten bestens den unverwechselbaren Klang der Philharmoniker. Völlig souverän im Einklang mit der Musik agierte Dirigent Yuri Botnari.

An dieser Stelle muss die große Konzentrationsfähigkeit aller Musiker gepriesen werden. Denn während des gesamten Klavierkonzertes (!) störten permanente hohe Pfeiftöne den Genuss des Konzertes erheblich. Erst nach der Pause war es damit vorbei. Unbegreiflich ist es, dass das Abstellen derart lang dauerte. Das hat kein Musiker und kein Publikum verdient!

Peter I. Tschaikowsky: Symphonie No. 6 h-moll „Pathétique“

Im zweiten Konzertteil erklang von Peter Tschaikowsky dessen sechste Symphonie, die „Pathétique“. Ahnte Tschaikowsky sein nahendes Ende? Das Schicksal spielt motivisch auch in diesem Werk eine dominante Rolle. Die Moskauer Philharmoniker gaben der Musik alle Ehre und den großen Respekt, die diesem Meisterwerk gebührt. Yuri Botnari war erkennbar tief in das Werk eingetaucht.

Überlegen und klar ausgewogen in der dynamischen Gestaltung entfaltete die Musik ihren so besonderen unwiderstehlichen Sog. Ruppige Akzente in den Streichern, infernalisch aufspielende Blechbläser in der Durchführung des ersten Satze, kantabel tönende Holzbläser und dazu die strahlend prasselnden Beckenschläge im berühmten dritten Satz. Der dritte Satz geriet derart mitreißend, dass danach spontaner Jubel aufbrandete. Danach im vierten Satz das Sterben, ein Aushauchen der Seele, der Tod kommt mit einem vernehmlichen Schlag auf das Tam-Tam. Bis zur Unhörbarkeit erstarben die Streicher im fahlen Pianissimo. Ein langer Moment der Stille. Wunderbar.

Die Moskauer Philharmoniker zeigten sich als Orchester mit unverwechselbarem Klang. Hier agierte ein Orchester, welches in seiner Spielbegeisterung kaum zu bändigen war. Begeisternd war der große, sehr üppige Tonfall des gesamten Orchesters. Herausragend die dynamische und gestalterische Bandbreite der Blechbläser. Diese konnten auf dem Höhepunkt der Durchführung im ersten Satz die Dynamik extrem ausweiten. Dabei arbeitete Botnari spannende Farbgebungen heraus, indem er die Tuba deutlich exponierte, die sonst wunderbar in der Gruppe eingebunden erklang. Strahlend und absolut sicher musizierten die Hörner, die vor allem im dritten Satz deutliche Akzente setzen konnten. Und immer wieder eine Freude in einem russischen Orchester ist die Gruppe der Schlagzeuger. Mit welcher Verve und rhythmischen Präzision zauberten Pauke und übriges Schlagwerk begeisternde Effekte. Dazu die sehr klang-intensiven Streicher, die vor allem in den Unisono-Stellen mitreißend agieren.

Das Publikum war zurecht sehr begeistert. Und die Moskauer Philharmoniker ließen sich nicht lange bitten. Yuri Botnari gewährte großzügig drei (!) Zugaben, Tänze aus den Balletten „Dornröschen“ und „Schwanensee“. Nun agierten die Musiker derart entfesselt, stampften im spanischen Tanz rhythmisch mit den Füßen auf dem Boden, dass das Publikum vollends in Euphorie geriet. Das komplette Publikum jubelte fortwährend. Stehende Ovationen!

Ein großartiger Konzertabend!

Dirk Schauß

01. Februar 2020